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Die Multilevel-Masche

Artikel: Nikita Verbitskiy | Oft kommen dubiose Anfragen von alten Bekanntschaften auf Social Media Plattformen. [Screenshot: Nikita Verbitskiy]

Wenn von passivem Einkommen die Rede ist, solltet ihr lieber aktiv weghören. Mehr Emojis als Schamgefühl und für Fotos geliehene Sportwagen gehören zur Grundausrüstung. Die Rede ist von Strukturvertrieben, Multi-Level-Marketing Firmen oder schlicht und einfach Schneeballsystemen. 

Genau genommen gibt es da schon Unterschiede – eine Tatsache, die man von den Mitarbeiter:innen oft genug zu hören bekommt. Das erzählt uns auch Alessia*. Sie war selbst für kurze Zeit Teil eines Multi-Level-Marketing Vertriebs, kurz MLM. „Bei mir kam es durch einen guten Freund. Ich habe ihm vertraut und auch einiges an Kompetenz und Intelligenz zugesprochen”, verrät sie. „Dann hat er mal beim Spazieren gehen plötzlich angefangen von Reichtum und großen Träumen zu reden.” Interesse hatte Alessia daran zunächst  wenig, aber sie stand kurz nach dem Abitur vor ihrer ungewissen Zukunft mit Zeit ohne Ende. Da es sich um einen engen Freund handelte und eine Vertrauensbasis bestand, hat sie es sich „einfach mal angehört“. 

So kam sie 2018 zu der Firma Imarketslive, heute umbenannt in IM Academy. Das Produkt ist dabei ein Kurs, mit dem man Trading erlernen soll. Forex, Crypto und mehr. Für eine Aufnahmegebühr von (damals) etwa 200 Euro und einen monatlichen Beitrag von 150 Euro erhielt sie Zugriff auf die Videos, die finanzielle Unabhängigkeit versprachen. „Reichtum war mir nie wichtig”, betont Alessia. „Aber die Idee, weniger arbeiten zu müssen, fand ich nicht schlecht, da hätten glaube ich die wenigsten etwas gegen“. Bereits im Vorstellungsgespräch schwingt das Thema jedoch schnell vom eigentlichen Produkt zur anderen Seite des Ganzen über. Man könne sich ja auch ein eigenes Business aufbauen, wird beteuert. „Es hieß, wenn ich selbst drei Leute akquiriere, könnte ich schon daran Geld verdienen. Ich meinte dann schon, dass es für mich ein bisschen nach einem Schneeballsystem klingt, aber es kam direkt das Argument, dass die in Deutschland verboten seien und die Firma schon über Jahre existieren würde.“ Auch Versicherungen von einer Person, der sie vertraute, ließen ihre Zweifel zunächst verstummen. 

Legaler Betrug?

Das Argument mit der Illegalität ist ein regelmäßig genutztes Schlupfloch von MLM-Firmen. So kam es auch bei den Auseinandersetzungen auf TikTok zwischen dem Content-Creator Levi Penell und Mitarbeitenden der Firmen iGenius und Hyla zur Sprache. Zwei Unternehmen, die er öffentlich bezichtigte, Schneeballsysteme zu sein. Es ist zwar richtig, dass Schneeballsysteme oder auch Pyramidensysteme in Deutschland verboten sind, allerdings lässt die Definition eines Schneeballsystems Lücken für diese Firmen. Da der Verdienst bei IM Academy zum Beispiel in der Theorie auch ohne weiteres Anwerben durch Trading erfolgen könnte, ist sie nicht dingfest offiziell als solche einzuordnen. Hier wird der Schein eines validen Produktes verwendet, um der Illegalität zu entgehen. Dadurch entstand die Unterscheidung zu sogenannten Strukturvertrieben, Netzwerkvertrieben oder eben MLM-Systemen. 

Ob das Produkt dabei wirklich genutzt wird, ist dann erst mal egal. So bestätigt auch Alessia, dass sie in ihrer Zeit von Trading kaum etwas mitbekommen hat. „Ich hab mir sogar ein Konto mit echtem Geld angelegt und es versucht, aber da waren am Ende vielleicht 30 Euro drauf”, fügt sie mit einem Lachen hinzu. „Es hat sich auch angefühlt wie ein Gamble, ich glaube das war das gleiche, als hätte ich es bei Tipico verwettet. Ich habe es aber probiert, weil es mir unangenehm war, meine Mitmenschen zu belästigen”, was allerdings die deutlich lukrativere Variante und bei den Kolleg:innen Priorität Nummer eins war.

Ihre Mitmenschen zu belästigen, gehörte daher auch seit Tag Eins zu ihren Hauptaufgaben. Sie sollte eine Liste mit allen Menschen erstellen, die sie jemals kennen gelernt hat. Und die sollte abgearbeitet und nach und nach angeschrieben werden. Die möglichen Interessenten sollten dann zu wöchentlichen Meetings des Teams ihrer Stadt mitgebracht und dadurch ebenfalls akquiriert werden. „Ich glaube aber eigentlich war kaum jemand wirklich interessiert“, fügt sie hinzu. „Vermutlich hat man ihnen einfach Leid getan.“ Ihr näheres Umfeld hat sie von Anfang an rausgehalten. Darum wurde sie auch eindringlich gebeten. Auf unsere Nachfrage, wie sie denn reagierten, erzählt sie: „Meine Freunde und Familie haben mich damit aufgezogen und das als Sekte betitelt“, was sie heutzutage auch gut nachempfinden kann. Sie erinnert sich genau an das familiäre Gefühl der Wärme, dass sie bereits am ersten Tag von anderen Mitarbeiter:innen und Vorgesetzten bekommen hat. 

Vom Highperformer zum Ehrenamt

Doch wenn sie mal einen Tag zu wenig „hustlete“ oder mal ein Meeting verpasste, schlug der Ton auf einmal schnell um. „Ich war mal an einem Wochenende feiern“, erinnert sich Alessia zurück. „Das habe ich auch auf Instagram gepostet und auf einmal bekam ich eine Nachricht von dem Freund, der mich zu IML gebracht hat, in der er meinte, dass sei aber nicht sehr Highperformer von mir“. Ihr wurde vorgeworfen, sie könne diese Zeit viel besser in ihr Business investieren und wenn sie jetzt auch noch feiern geht, sei der nächste Tag ja auch für die Katz. „Danach waren die anderen auch plötzlich super unfreundlich und kalt zu mir. Da hab ich dann verstanden, dass ich die ganze Zeit manipuliert wurde und die Leute nur nett waren, solange ich versuchte Ihnen Geld einzubringen”. 

Zu diesem Zeitpunkt begann Alessia auch ihr FSJ und stieg unter dem Vorwand der mangelnden Zeit aus. Geld hat sie in ihrer Zeit nicht verdient. „Ich habe definitiv Geld verloren, als ich da war“, bestätigt sie. Es stimmt schon, dass man rein rechnerisch in so einem System vierstellige Beträge verdienen kann, in der Realität sieht es aber anders aus – eine so große Menge an Menschen zu akquirieren, die dann selbst wiederum auch noch mehr Personen dazu holen, funktioniert eben nur in der Theorie. 

Spotting the Scam

Im Zeitalter von Social Media ist die Gefahr von Schneeballsystemen immer allgegenwärtiger. Die meisten Menschen haben vermutlich auch schon Fremde in ihren Anfragen gehabt, die sie fragen, ob sie sich „grundsätzlich vorstellen könnten, sich nebenbei noch was dazu zu verdienen“ oder eine ähnliche Floskel. Besonders gefährdet sind, so auch laut Alessias Erfahrung, Menschen mit mangelnder Stabilität und Zufriedenheit, ob im sozialen Bereich oder karrieretechnisch. „Ich hatte zu der Zeit nicht das stabilste Umfeld und das hat das Team dann gut ausgeglichen“, bestätigt Alessia. Auch weil sie sich in dieser Umbruchphase ohne einen richtigen Plan für ihr Leben befand, war sie besonders empfänglich für die Manipulation seitens der Firma. Habt ihr bei Freunden oder Familie das Gefühl, dass sie in so eine Masche reingezogen werden, kann es also hilfreich sein, das Gespräch zu suchen und herauszufinden, ob da nicht ein ähnliches Problem vorliegt. 


Um nicht in ein betrügerisches System reingezogen zu werden, ist laut Alessia wichtig: „Immer hinterfragen! Oft wollen diese Unternehmen wenig über das Unternehmen selbst verraten, damit man nicht auf die Idee kommt zu googeln.“ Und wenn es etwas zu googeln gibt, steckt meistens mehr dahinter. So hat zum Beispiel die Financial Services and Markets Authority (FSMA) bereits im Januar 2018 vor Imarketslive gewarnt. Es gibt aber auch Unternehmen, die Netzwerkvertriebe nur verwenden, um das Produkt effektiv zu vertreiben, wie zum Beispiel Thermomix. Hier könnt ihr euch selbst überlegen, ob das Produkt euch den Preis wert ist. Die Hauptsache ist, dass kein Druck gemacht wird, es selbst zu vertreiben. „Die Idee, schnell reich zu werden, sollte einen immer stutzig machen“, schließt Alessia ab.

*Name von der Redaktion geändert. 

Pyramidensystem oder Schneeballsystem?
Dabei handelt es sich um exakt das Gleiche. Eine Unklarheit, die auch oft von diesen Firmen genutzt wird, da in der deutschen Rechtsprechung nur das Wort Schneeballsystem verwendet wird. Die Definition eines solchen Systems liegt darin, dass es entweder gar kein Produkt oder ein extrem überteuertes oder wertloses Produkt vertreibt und die Einnahmen alleine durch Neuakquise von weiteren Kund:innen und somit auch Verkäufer:innen generiert werden. Bleibt exponentielles Wachstum aus, bricht das System zusammen. Betriebe, die unter diese Beschreibung fallen, sind in Deutschland und vielen weiteren Ländern verboten.