Illustration: Clara Chowanitz
Posted in

Wieviel ist dein Abschluss wert? 

Artikel: Julika Ude, Moritz Karrer & Volker Strauß 

 „Während eines Uni-Kurses hat er angeboten: ‚Gegen Geld ist da was möglich'“ – Wie Notenmanipulation an der UDE ausgesehen hat, überhaupt erst möglich war, und welche Konsequenzen für Beteiligte und Uni folgen.

Seit dem 19. März 2025 läuft vor der I. Großen Strafkammer (Wirtschaftsstrafkammer) des Landgerichts Essen der Prozess um manipulierte Prüfungsnoten gegen Bestechungsgeld an der Universität Duisburg-Essen (UDE). Angeklagt sind die 42-jährige ehemalige Verwaltungsmitarbeiterin der UDE, Nicole T., und der 39-jährige Ex-Student, Andreas L.. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen besonders schwere Bestechlichkeit und Bestechung vor, denn Nicole T. soll in über 100 Fällen unter Verletzung der Dienstpflicht Prüfungsbewertungen zugunsten von mindestens 40 Studierenden falsch eingetragen oder verändert haben. Andreas L. habe den Kontakt zu den Studierenden gehabt und die Geldeinnahmen verwaltet, so der Tatvorwurf laut Anklageschrift der Staatsanwaltschaft. Insgesamt sollen die beiden dafür insgesamt rund 120.000 Euro Bestechungsgeld als Gegenleistung erhalten haben. Der Prozess wurde mit mehreren Verhandlungsterminen bis in den Mai angesetzt.

Schon zum Prozessauftakt legten beide Angeklagte Geständnisse ab. „Ich hatte die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen“, bekundete die 42-Jährige vor Gericht. Sie räumte ein, bis 2021 über Jahre hinweg Noten gegen Geld verbessert zu haben. Als Sachbearbeiterin in der Prüfungsverwaltung, zuständig für die Verbuchung von Noten im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, hatte sie Zugriff auf das IT-System der Uni – was sie dort eintrug, wurde zunächst nicht weiter kontrolliert. Der Mitangeklagte Andreas L., der früher selbst Student der Uni war, gestand ebenfalls. Im Laufe des Verfahrens berichteten Zeug:innen davon, wie sie im Rahmen von zum Beispiel Uni-Crashkursen mit ihm ins Gespräch gekommen seien. Er habe Studierenden, die bei Prüfungen „auf der Kippe standen“, den Tipp gegeben: „Gegen Geld ist da was möglich“. Der 39-Jährige fungierte also als Mittelsmann, der die Deals einfädelte und den Kontakt zwischen Studierenden und der Mitarbeiterin herstellte.

„Wegen hoher Nachfrage sei der Preis auf bis zu 900 Euro gestiegen.“

Beide Angeklagte beschrieben vor Gericht ein arbeitsteiliges Vorgehen. Zunächst hätten sie einen Tarif ausgehandelt, laut Staatsanwaltschaft verlangten sie für Notenänderungen anfangs mindestens 500 Euro. Zeit online berichtet, diese Geldsumme sei zuerst verlangt worden, um eine gerade noch nicht bestandene Prüfung (Note 5,0) auf „bestanden“ (Note 4,0) anzuheben. Wegen hoher Nachfrage sei der Preis im Laufe der Zeit auf bis zu 900 Euro gestiegen. Für jede weitere schrittweise Verbesserung der Note  sollen zuletzt 50 Euro fällig gewesen sein. Einige Studierende mussten die Prüfungen, für die sie zahlten, gar nicht erst antreten, denn teilweise seien Prüfungsleistungen bis hin zur Note 1,0 im System verbucht, obwohl die jeweiligen Studierenden nie mitgeschrieben hatten. Das Geld für die Notenänderung habe Andreas L. in bar von den Studierenden in einem Umschlag entgegengenommen, dem ein Zettel mit der gewünschten Note beilag. Diese Information habe er an die Sachbearbeiterin weitergegeben, die anschließend im Uni-System die Prüfungsliste mit der gewünschten Note manipulierte. Die Angeklagten hätten das Bestechungsgeld gleichmäßig unter sich aufgeteilt.

Bereits die ersten „Kund:innen“ zahlten großzügig: Zwei Studierende hätten für ihre verbesserten Noten gleich rund 1.500 Euro ausgegeben. Der 39-Jährige berichtete über die lukrative Anfangsphase des Geschäftsmodells und erzählt: „Wir konnten unser Glück kaum fassen“. Von seinem Anteil am Geld habe er später unter anderem seine Hochzeit finanziert. Die ehemalige Uni-Mitarbeiterin Nicole T. gab an, sie sei chronisch in finanziellen Schwierigkeiten gewesen und „konnte nicht mit Geld umgehen“ – was sie empfänglich für die Bestechlichkeit gemacht habe. Lange Zeit blieben die Notenmanipulationen unentdeckt, weil die zuständigen Dozent:innen die von der Verwaltung erfassten Notenlisten zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr kontrollierten.

Erst 2021 flog das System auf, als ein anonymer Hinweis bei der Universität einging. Es folgten umfangreiche Nachforschungen seitens der Universität und der Strafverfolgungsbehörden: Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen die verdächtige Mitarbeiterin und ihr Umfeld, während die UDE intern tausende Notendatensätze prüfte. Zu einem entscheidenden Durchbruch in den Ermittlungen verhalf eine Beteiligte, die sich unter dem Druck der laufenden Ermittlungen bereiterklärte, mit der Polizei zu kooperieren; eine damals 28-jährige Referendarin aus Essen, die Berufsschullehrerin werden wollte, und die selbst von der Notenmanipulation profitieren sollte. Sie hatte für insgesamt neun Prüfungen fast 9.000 Euro an die beiden Angeklagten gezahlt und dadurch unrechtmäßig ihren Bachelor- als auch ihren Master-Abschluss erhalten. Sie gab insbesondere den Hinweis auf den Mittelsmann Andreas L..

„Es geht um einen respektvollen Umgang miteinander, um Fairness und Ehrlichkeit.“

Die internen und polizeilichen Ermittlungen dauerten über Monate an. Nach der Identifizierung der Verantwortlichen wurden Konsequenzen gezogen: Die verdächtige Sachbearbeiterin Nicole T. wurde nach Bekanntwerden der Manipulationen, und nach über zwanzig Dienstjahren, im Sommer 2023 fristlos entlassen. Sämtliche manipulierten Noten wurden annulliert und Abschlüsse, die durch Täuschung zustande gekommen waren, wieder aberkannt. Eine Sprecherin der UDE betonte, man habe aus dem Vorfall gelernt und sofort Gegenmaßnahmen ergriffen. So sei das Prüfungsverfahren geändert worden, sodass nachträgliche Notenänderungen durch Verwaltungskräfte ohne Wissen der Lehrenden ausgeschlossen sind. Auf Nachfrage hin teilte das Prüfungsamt mit, dass „ein Vieraugenprinzip und digitale Sicherungssysteme” eingeführt wurden und der Prozess der Noteneingabe grundlegend überarbeitet wurde. Das bestätigt auch Prof. Dr. Erwin Amann, Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der UDE: „Wir haben sofort Konsequenzen gezogen und für die Übermittlung der Noten ein fälschungssicheres Verfahren etabliert”, erzählt er uns. Die Noten und Notenänderungen seien jederzeit nachvollziehbar und würden regelmäßig überprüft. Außerdem seien auch andere Fachbereiche auf Unregelmäßigkeiten untersucht worden, allerdings ohne weitere Auffälligkeiten. „Es sei ausgeschlossen, dass sich so ein Fall wiederhole“, versicherte die Uni bereits einige Zeit nach Bekanntwerden des Skandals.

Prof. Amann blickt angesichts des Bestechungskandals nach vorn. Man hätte sich „zu sehr darauf verlassen, dass unsere Mitarbeiter grundsätzlich integer sind.” Davon ginge man zwar nach wie vor aus, müsse aber, ohne Generalverdacht, in Betracht ziehen, dass dies nicht für absolut jede:n auch zutrifft. Die Universität sei in diesen Bereichen aber sensibler geworden. Das Vertrauen in die Abschlüsse der UDE sei trotzdem ungebrochen, externe Partner hätten die konsequente Aufarbeitung positiv wahrgenommen. Trotzdem wolle man künftig mit Studierenden offensiv in einen Dialog, auch über Werte und Integrität treten, so Amann: „Das Thema ist wesentlich vielschichtiger, als nur der Versuch, Noten zu manipulieren. Es geht um einen respektvollen Umgang miteinander, um Fairness und Ehrlichkeit.“

Für Studierende, deren Abschlüsse aberkannt wurden, gibt es keine zweite Chance an der UDE: Sie können ihren Abschluss nicht nachholen, aber könnten ihr Studium an einer anderen Uni wiederholen. Strafrechtlich mussten sich insgesamt mindestens 45 Studierende bezüglich der Notenmanipulationen verantworten, die in die Vorfälle verwickelt waren. Gegen drei von ihnen wurden die Verfahren aus der Ak[due]ll unbekannten Gründen eingestellt. Laut der Uni erhielten andere Beteiligte eine Geldstrafen in der Größenordnung von 300 bis 400 Tagessätzen oder Freiheitsstrafen auf Bewährung. Informationen, die der Ak[due]ll-Redaktion außerdem vorliegen belaufen sich die Geldstrafen teilweise auf weitaus über 20.000 Euro. Einige der Betroffenen klagten vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen gegen die Aberkennung ihrer Abschlüsse, der WDR geht hierbei von zehn Klagen aus. Die Klage einer Lehramtsstudentin sei bereits abgewiesen worden.

Welche Strafe droht den Angeklagten?

Die Angeklagte Nicole T. war als Uni-Angestellte im öffentlichen Dienst tätig und musste sich dementsprechend an die Dienstpflichten halten. Sie nahm Geld für Notenfälschung an ihrem Arbeitsplatz vor, und ist im Sinne des Tatbestands der Bestechlichkeit angeklagt. Andreas L. laut Anklage für das Vermitteln zwischen der Angeklagten und weiteren Studierenden sowie der Verwaltung des Geldes. Weil die Anklage davon ausgeht, dass sich die Beiden eine dauerhafte Einnahmequelle verschaffen wollten, klagt die Staatsanwaltschaft beide Fälle als besonders schweren Fall von Bestechlichkeit/Bestechung gemäß § 335 StGB an, erzählt uns Richter Mathias Küsters, Pressesprecher des Landgerichts Essen. In solchen Fällen sieht das Gesetz bei Schuldigsprechung eine Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsentzug vor; der Strafrahmen reicht bis zu zehn Jahren Haft.

Im Prozess wurden zahlreiche Beweise und Zeugenaussagen aufgenommen, um die Tathergänge nachvollziehbar zu machen. Nach Abschluss der Beweisaufnahme stehen nun die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung sowie die Urteilsberatung des Gerichts an. Ein endgültiges Urteil soll voraussichtlich am 20. Mai 2025 verkündet werden. Der Prozessverlauf hat gezeigt, dass der Bestechungsskandal gründlich aufgearbeitet wird – nicht nur strafrechtlich, sondern auch durch organisatorische Änderungen an der Universität, um zukünftigen Täuschungen vorzubeugen. Wie das Gericht über Schuld und Strafe für Nicole T. und Andreas L. entscheidet, bleibt abzuwarten.