Und dann plötzlich Stadttaube

Eine Kolumne von Lisa Büche | Das Bild der Taube hat sich drastisch verändert. [Foto: Lisa Büche]

Aus Olivenzweigen sind indes Essensreste geworden. Tauben, das einstige Symbol für Reinheit, lösen bei vielen Menschen Ekel aus. Ihre Präsenz? Ein Zeichen für Dreck. Jetzt versuchen Städte wie Limburg, Pläne durchzusetzen, bei denen die Zahl der Tauben von einem Fachmann dezimiert werden soll. Per Genickbruch. Ein Sinnbild dafür, was mit Tieren passiert, die plötzlich keinen Nutzen mehr haben. 

Dabei begleiten sie uns schon sehr lange. Dort, wo Menschen Agrikultur betrieben, lebten auch Tauben. Je vertrauter die Tiere wurden, desto mehr wuchs auch ihre Bedeutung in Kultur, Kunst und Religion. Eine Taube brachte das Versprechen von Land. Brieftauben versprachen Nähe, wenn zu viel Distanz da war. Nicht nur deshalb sind Turteltäubchen immer noch ein Begriff: vor allem auch, weil Taubenpaare ein Leben lang verbunden bleiben. Auf so mancher Hochzeit wurden als Liebesritual früher Tauben aus Käfigen freigelassen. Oder bei den Eröffnungsfeiern der Olympischen Spiele: Feiern nur unter dem gefiederten Flügelschlag der personifizierten Freiheit. In Seoul 1988 mit tragischer Konsequenz: Nach nur einem kurzen Moment der Freiheit fielen die Tauben der Entzündung des Olympischen Feuers zum Opfer. Ikarus reinkarniert. Und wir schauen weiterhin ohnmächtig zu, wie die Nächstenliebe tausendfach in Flammen aufgeht. Wie Tauben getreten, vertrieben, auf brutalste Weise getötet werden. Karriere vom geflügelten Friedenssymbol zum grauen Stadt-Schandfleck. 

„Zutiefst missverstandene Lebewesen”

An jedem Hauptbahnhof tummeln sich die „Ratten der Lüfte“ zuhauf. Passt das Bild der Ratte überhaupt noch? Zumindest hat der Pixar-Film Ratatouille doch ordentlich an dem ekelbehafteten Bild der pelzigen Wesen gerüttelt. Zeit, dass das auch für Stadttauben passiert. Vielleicht tut sich in der Richtung doch was: Einige Menschen setzen sich dafür ein, dass sich die Wahrnehmung von Tauben ändert, Malte Zierden beispielsweise. Bekannt über Instagram und TikTok setzt sich der Hamburger für die „zutiefst missverstandenen Lebewesen“ ein. Seine Freundschaft zur Taube Oßkar ist im Internet viral gegangen; Mehrere Hunderttausend Menschen verfolgten, wie er vor seinem Badezimmerfenster einen Platz für seinen geflügelten Freund einrichtete. Jetzt hat Malte Zierden ein Bilderbuch über die ungewöhnliche Freundschaft veröffentlicht: Malte & Oßkar und das Glück, Pech zu haben. Eine Geschichte über Ängste und Unsicherheiten und gleichzeitig auch ein Appell an die Menschlichkeit. Indirekt auch an den Bürgermeister von Limburg gerichtet, dem Malte per Post eine Ausgabe zukommen lässt, mit einem Brief und dem P.S.: „Bitte lassen Sie es nicht dazu kommen, dass der zweite Teil Malte, Oßkar & der Bürgermeister von Schlimmburg heißen wird.“

Der Bedeutungslosigkeit entgegen?

Malte ist nicht alleine mit seinem Kampf für eine bessere (Tauben-)Welt. Auch hier in Essen setzen sich Menschen für die Tiere und ihre Wahrnehmung ein. Der Verein Stadttauben Essen verkündet auf seiner Website: „Wir bemühen uns außerdem durch Öffentlichkeitsarbeit, dem negativen Image der Tiere entgegenzuwirken.“ Und in Essen-Steele kümmert sich beispielsweise Monika Hedtkamp mit den Mitgliedern des Vereins Arbeitsgruppe Stadttauben Steele öffentlichkeitswirksam um die überwiegend grauen Vögel.

Gerade bei den Vereinen in Essen sorgen Einzelne dafür, dass die Wehrlosen und Vernachlässigten eine Stimme und die Chance auf ein besseres Leben bekommen. Aber auch in diesem Kampf machen sich Probleme bemerkbar, die die überwiegende Mehrheit von uns kennt: Kein Geld und keine Zeit. Und die Tauben werden einmal mehr sich selbst überlassen. Nur mehr Schatten ihrer einstigen Bedeutung, die jetzt gespenstisch durch die Straßen gurren und verdreckte Erinnerungen an eine schönere Vergangenheit tragen.


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