Ist das Faulheit oder Angst? – Darum prokrastinierst du wirklich

Artikel: Julika Ude | Aus welchem Grund schiebst du auf? [Illustration: Vincent Will]

„Diamanten entstehen nur unter Druck“, grinsen wir Studis, wenn wir uns mal wieder von den vielen aufgeschobenen Hausarbeiten erzählen. Was unter Student:innen ein Running-Gag ist, ist in der Ursache gar nicht so witzig: Was Aufschieben mit Angst zu tun hat und welche verschiedenen Prokrastinationstypen es gibt, erfährst du hier.

Prokrastinieren, der wissenschaftliche Begriff für extremes Aufschieben, ist allzeit präsent. Besonders bei uns Studis fällt das Wort häufig. Meistens ist es mit einem Lachen oder einem kleinen Battle gepaart, wer denn jetzt mehr Aufgaben in kürzerer Zeit zu erledigen hat. Häufig schwingt mit, dass die Prokrastination Folge von stumpfer Unorganisiertheit oder gar Faulheit ist. Dabei ist Prokrastination nicht immer gleich Prokrastination und hat in manchen Fällen mehr mit Angst als mit Faulheit zu tun.

Um die Ursachen von Prokrastination zu verstehen, ist es sinnvoll zu klären, was Prokrastination überhaupt ist. Nach dem Diplom-Psychologen und Psychoanalytiker Hans-Werner Rückert ist es im Kern folgendes: Du vermeidest eine oder mehrere Aufgaben, die du aus eigener Überzeugung eigentlich erledigen solltest. Du tust dies nicht, obwohl du weißt, dass du dich später deswegen schlecht fühlen wirst. Laut Rückert ist dieses Verhalten dem Verlust der Handlungskontrolle an der Schnittstelle zwischen Persönlichkeit, Motivation und Aufgaben geschuldet.

Was passiert in unserem Gehirn?

Das bestätigt auch die Studie The Structural and Functional Signature of Action Control von der Ruhr-Universität Bochum, die 2018 in der Zeitschrift Psychological Science veröffentlicht wurde. Laut ihr liegt eine Ursache des Aufschiebeverhaltens in der Bewertung und Auswahl möglicher Handlungen, die wiederum durch die Beschaffenheit zweier Hirnregionen beeinflusst werden.

Durch MRT-Aufnahmen fanden die Forscher:innen heraus, dass die Größe und Verknüpfung zweier Hirnbereiche, der Amygdala und dem sogenannten dorsalen anterioren cingulären Kortex (dorsaler ACC), Einfluss auf die Handlungskontrolle einer Person haben. Menschen mit schlechter Handlungskontrolle haben laut der Studie tendenziell eine größere Amygdala und eine weniger ausgeprägte Verbindung zwischen der Amygdala und dem dorsalen ACC.

Die Amygdala bewertet Situationen und ihre möglichen Folgen, um uns vor potenziell negativen Konsequenzen einer Handlung zu warnen. Der dorsale ACC hingegen verwendet Informationen über die möglichen Konsequenzen einer Handlung, um diejenige auszuwählen, die schlussendlich ausgeführt wird. Er unterdrückt zusätzlich andere Handlungen und Gefühle, damit die gewählte Handlung erfolgreich abgeschlossen werden kann.

Das Forscher:innenteam vermutet, dass durch ein beeinträchtigtes Zusammenspiel der beiden Hirnregionen die Handlungskontrolle nicht mehr problemlos ausgeführt werden kann. „Menschen mit höherem Amygdala-Volumen könnten eine größere Furcht vor den negativen Konsequenzen einer Handlung haben – sie zögern und schieben Dinge auf“, vermutet Prof. Dr. Erhan Genç von der untersuchenden Arbeitsgruppe. „Die geringe funktionelle Kopplung zwischen der Amygdala und dem dorsalen ACC könnte diesen Effekt weiter verstärken, indem störende negative Emotionen und Handlungsalternativen unzureichend reguliert werden“, führt er der Pressestelle der Ruhr-Universität-Bochum gegenüber aus. 

Prokrastination ist nicht gleich Prokrastination

Tatsächlich ist es schwer, über „das Prokrastinieren“ zu sprechen, da es unterschiedliche Gründe für Aufschiebeverhalten gibt – und unterschiedliche Schweregrade des Verhaltens. Denn gelegentliches Aufschieben ist in der Regel unproblematisch und nicht jede:r Prokrastinierende hat ein Problem, erzählt uns Psychologin und Expertin für Arbeitsblockaden Dr. Anna Höcker. „Das wäre auch unlogisch – nur 2 Prozent aller Menschen kennen das Aufschieben von sich selbst als Verhalten gar nicht“, erklärt sie.


Bild von Dr. Anna Höcker. Dr. Anna Höcker ist Psychologin, Expertin für u.a. Arbeitsblockaden, Selbstwert & Stressmanagement und tätig als Coach in Düsseldorf und online.

„Oft sind es zusätzlich Gedanken oder Glaubenssätze, die Menschen hindern mit Leichtigkeit an ihre Arbeit zu gehen. Zum Beispiel Perfektionismus oder zu hohe Ansprüche an sich.“


Dr. Anna Höcker ist Psychologin, Expertin für Arbeitsblockaden und Stressmanagement. [Foto: Dr. Anna Höcker]

Grundsätzlich lässt sich Prokrastination in zwei Typen unterteilen, die Psychotherapeut Hans-Werner Rückert in seinem Buch „Schluss mit dem ewigen Aufschieben” erläutert. Demnach gebe es jene Menschen, die aufschieben, um Spannung ins Leben zu bringen, sogenannte Erregungsaufschieber:innen. Und es gebe Vermeidungsaufschieber:innen, die versuchen, durch Prokrastination negative Gefühle zu vermeiden.

Erregungsaufschieber:innen prokrastinieren laut Rückert, weil Aufgabenerledigung kurz vor knapp ein „Hochgefühl” erzeugt, das sie mit strukturiertem Zeitplan bei Erledigung nicht spüren würden. Sie entscheiden sich also bewusst zum Verschieben, um Druck für „besseres“ Arbeiten aufzubauen.

Die Gründe für die Prokrastination der Vermeidungsaufschieber:innen sieht der Psychotherapeut eher in der Unlustvermeidung und in dem Bedürfnis nach Selbstschutz. Letzteres trifft zum Beispiel zu, wenn Personen generell nicht an ihren Erfolg glauben oder die Ziele sowie die Belohnungen für ihren Aufwand zu weit in der Zukunft liegen. Treibende Kräfte für das Aufschieben können also Ängste sein, insbesondere vor Versagen. Aber auch aus Scham, Ohnmacht und Minderwertigkeitsgefühlen könne Vermeidungsverhalten resultieren.

Dr. Höcker betont, dass es Gedanken und Glaubenssätze sein können, die Menschen daran hindern, mit Leichtigkeit an Ihre Arbeit zu gehen und die zu übermäßigem Druck, Perfektionismus oder zu hohe Ansprüche an sich führen können. „Leider führen gerade die oft zu hartnäckigen Arbeitsblockaden, die ohne Impulse von außen manchmal nicht mehr allein zu beheben sind”, stellt sie fest. Die Arbeit an diesen Glaubenssätzen aber führe nicht selten zu Aha-Erlebnissen, die in der Folge das Arbeiten leichter machen.

Was hilft gegen das Aufschieben?

In allen Fällen ist es hilfreich, dich selbst und dein Prokrastinationsverhalten besser kennenzulernen, wenn du etwas daran ändern willst. Dazu kann es helfen, die Gefühle zu hinterfragen, die du mit den aufgeschobenen Aufgaben verbindest. Spürst du Angst, Ärger, Unlust? Hoffst du bei der Erledigung der Aufgabe auf Erfolg oder Anerkennung durch Andere? Außerdem kannst du den Selbsttest zu Prokrastination der Prokrastinationsambulanz Münster machen. Direkt nach dem Ausfüllen der Fragebögen erhältst du eine individuelle Rückmeldung und Empfehlungen zu deinem Prokrastinationsverhalten.

Du kannst außerdem versuchen, dem Aufschieben durch Tricks entgegenzuwirken. Zum Beispiel kannst du Deadlines in deinem Kalender um eine Woche nach vorne verschieben, oder auch Freizeitaktivitäten mit auf die To-Do-Liste setzen, um einen realistischen Überblick über deine Vorhaben zu bekommen. Dr. Höcker rät Prioritäten festzulegen. So kannst du dich auf das Wesentliche konzentrieren, anstatt dich in ewig langen Listen und Details zu verzetteln. Sie rät außerdem auszuprobieren, ob dir arbeiten leichter fällt, wenn jemand an deiner Seite ist. „Meiner Erfahrung nach wirken Arbeitstandems Wunder”, erzählt sie uns.

Solltest du das Gefühl haben, dass du dein Prokrastinieren nicht alleine verbessern kannst und du aufgrund des Aufschiebens immer wieder gestresst bist, Leistungseinbußen hast oder wichtige Ziele nicht erreichst, kannst du dir Unterstützung bei einem spezialisierten Coach oder eine:r Berater:in suchen. „Wenn das Aufschieben aber chronisch und exzessiv ist, droht Gefahr, dadurch eine psychische Störung zu entwickeln“, erklärt Dr. Höcker. „Dann macht es Sinn, einen Psychotherapeuten aufzusuchen und das abklären zu lassen.“

Weitere Informationen oder Unterstützung zum Thema Aufschieben & Prokrastination:


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