Diversität in der Lehre

Beitrag: Selome Abdulaziz | Illustration: Ilian Kresse

Florian Freitag ist seit 2019 an der Universität Duisburg Essen (UDE) als Professor für Anglophone Studies tätig. Im Sommersemester 2023 hielt er das Seminar „LGBTQ in North America“ und organisierte im Rahmen der „Langen Nacht der Bibliotheken” in der Universitätsbib ein Programm rund um die queere Community. Wir sprachen mit ihm über Diversität in der Lehre.

Im Rahmen der „Langen Nacht der Bibliotheken” im März luden Professor Freitag und seine Kolleg:innen zu der Ausstellung „Come Out, Essen!“ zur Geschichte schwuler und lesbischer Emanzipation in Essen in die Bibliothek der UDE ein. Kurzvorträge und ein Filmscreening der Dokumentation Loving Highsmith über die queere Autorin Patricia Highsmith rundeten das Programm ab. Für Professor Freitag spielt das Dreieck aus Lehre, Forschung und Outreach eine wichtige Rolle: „Im besten Fall ergänzen sich Lehre und Forschung, indem man ein Forschungsthema aufgreift und in die Lehre einbezieht. Gleichzeitig öffnet man den Campus auch für ein breiteres Publikum durch Outreach-Aktivitäten.“ In diesem Semester konnte er die Lange Nacht der Bibliothek”, die für alle zugänglich war, erfolgreich mit dem Literatur-Seminar „LGBTQ in North America“ verbinden.

Sein Interesse an queeren Themen kam indirekt durch die Auseinandersetzung mit Zeitschriften aus den USA, mit denen er sich für sein zweites Buch beschäftigte. Dabei stieß er auf Magazine aus den 1950er und 1960er Jahren, die als Bodybuilding- oder Sportzeitschriften „getarnt“ wurden, sich aber an schwule Männer richteten: „Vordergründig ging es um Bodybuilding und die Ästhetik des männlichen Körpers, aber im Hintergrund war es eine Schwulen-Zeitschrift. So explizit, wie es damals möglich war“, erklärt der Professor für Anglophone Studies. In Europa gab es laut Freitag schon früher Zeitschriften, die an ein homosexuelles Publikum gerichtet waren. Diese waren allerdings entweder rein textlastig oder enthielten überwiegend Bilder. „Diesen Spagat zwischen einerseits ästhetischen Bildern und andererseits politischen und Selbsthilfe-Artikel, das kam in den USA.“

Freitag fand die Magazine so spannend, „weil sie explizit versucht haben, eine Gemeinschaft zu stiften. Außerhalb von Großstädten war es kaum möglich, Gleichgesinnte zu treffen.“ Er beschreibt Leserbriefe, in denen schwule Männer nach Kontakt und Brieffreundschaften suchen. Diese Briefe haben ihn auch persönlich berührt: „Wenn man sich versucht, vorzustellen, wie diese Männer gelebt haben – das lässt einen nicht kalt. Das sind nicht nur Namen auf einem Blatt Papier. Das waren Menschen, die versucht haben, irgendwie ihr Leben zu leben, so wie es eben zu jener Zeit an diesem Ort möglich war.“

Diversität als Linse

Am Institut für Anglophone Studies der UDE wird Diversität als ein zentrales Thema betrachtet. „Es wird in den Kursen zwar nicht immer direkt thematisiert, aber es schwingt immer mit und schwebt, neben dem zweiten großen Thema Sustainability, über der Lehre“, erklärt Freitag. Die Verankerung dieses Themas gelinge vor allem durch das Engagement junger Nachwuchswissenschaftler:innen, die die Lehre mit ihren Forschungsergebnissen bereichern. Die Themen, die im Curriculum abgedeckt werden müssen, sind vorgegeben. Für Freitag stellt das aber kein Problem dar: „Ich würde Diversität nicht nur als eigenständiges Thema betrachten, sondern als eine Linse, durch die verschiedene Themen betrachtet werden können.“ Er verdeutlicht seine Auffassung am Beispiel eines Seminars zu Animationsfilmen: „Da kann ich den Schwerpunkt auf mediale Aspekte oder auch auf wirtschaftliche Aspekte legen, oder ich lege den Fokus auf Diversität. Jedes Thema kann ich durch diese Linse betrachten.“

Aktuell werden am Institut neue Formate entwickelt, wie zum Beispiel Exkursionen für Bachelor- und Master-Studierende, um die Studiengänge attraktiver zu gestalten und Diversität zu fördern. „Diese Formate haben nicht nur fachliche, sondern auch überfachliche Ziele und sollen Kompetenzen im Umgang mit Diversität und interkultureller Zusammenarbeit fördern“, so Freitag. Durch gezielte Auswahl der Formate soll das Bewusstsein für Diversität und Interkulturalität geschärft werden. Ein Beispiel hierfür ist die Nutzung von COIL (Collaborative Online International Learning) für verschiedene Themenbereiche. Das ist eine Lehrmethode, bei der sich zwei Kurse verschiedener Universitäten durch digitale Zusammenarbeit vernetzen. Im vergangenen Semester kooperierte ein Kurs der UDE mit einem Kurs an der spanischen Aurora-Partneruniversität Rovira i Virgili in Tarragona.* Die Studierenden aus beiden Ländern sollten gemeinsam Gruppenprojekte erarbeiten. „Inhaltlich ging es da nicht um Diversität, aber wir hatten eine Diversität der Personen. Es ist schön, wenn man Diversität nicht nur im Thema des Kurses verankert, sondern auch im Lehrformat“, erzählt Freitag.

Florian Freitag ist seit 2019 an der UDE als Professor für Anglophone Studies tätig. [Foto: UDE]

Diversität in der Region

Der Austausch über Diversität findet im Kollegium der Anglophone Studies Freitag zufolge bereits statt, er sieht allerdings noch die Möglichkeit, die inhaltliche Diskussion über Diversität zu intensivieren und stärker einzubeziehen. Die Einführung von monatlichen Teamsitzungen mit dem Fachbereich Amerikanistik nennt er als einen möglichen Raum, um über inhaltliche Entwicklungen und Ausrichtungen zu sprechen und das Bewusstsein für Diversität weiter zu stärken. Dadurch, dass die Prorektorin der UDE, Karen Shire, sowohl für Internationales (und damit Aurora) als auch für Diversität an der UDE zuständig ist, spielt das Thema immer eine Rolle. „Mit ihr arbeiten wir eng zusammen. Da kommen auch Themen auf wie der Diversity Day**“, erzählt der Professor.

Freitag betont die Bedeutung von Diversität in Bezug auf die Studierendenschaft der UDE, die er im Vergleich zu anderen Universitäten als bemerkenswert vielfältig beschreibt. „Das hat damit zu tun, dass viele von unseren Studenten aus der Region hier kommen und das Ruhrgebiet eben sehr divers ist“, erklärt der Professor. Er hält es für wichtig, dass die Uni darauf eine Antwort gibt und das in der Lehre aufgreift. Früher, so Freitag, war die Universität von der Stadt abgeschnitten, doch mit der Entwicklung der „Grünen Mitte“ habe sich dies geändert, wodurch der Campus zugänglicher geworden sei. Er möchte den Campus als einen Ort etablieren, an dem etwas los ist. „Öffentliche Formate wie die Lange Nacht der Bibliotheken müssen wir nutzen.“ Dieses Format bezeichnet er als erfolgreich. „Das hat uns gezeigt: Wenn man ein attraktives Angebot macht, findet das eine große Resonanz. Diversität ist eins dieser Themen, das die Menschen anspricht.“

* AURORA ist ein Netzwerk europäischer Universitäten, das darauf abzielt, die Zusammenarbeit, den Austausch von Wissen und die Mobilität von Studierenden und Wissenschaftlern zu fördern. Neben der UDE sind neun weitere Universitäten aus Europa Mitglieder.

**Im Rahmen des bundesdeutschen Diversity-Tages werden jährlich die Diversity-Preise der UDE verliehen. Dieses Jahr fand der Diversity-Tag an der UDE zum 11. Mal statt.


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