Wenn Wahlen kurz bevorstehen, steigen die Spannungen. Umbruchzeiten wie diese bringen Konflikte mit sich. Ob Plakate, Stände oder Menschen, alle werden in Mitleidenschaft gezogen. Wir ziehen Resümee.
Dass Wahlplakate zerstört, beschmiert oder gestohlen werden, gehört zum Alltag jeder Wahlperiode. Auch diese Bundestagswahl bildet da keine Ausnahme. Laut mehrerer Polizeipräsidien im Ruhrgebiet kam es dieses Jahr wieder vermehrt zur Beschädigung und Entwendung dutzender Plakate sämtlicher Parteien. Die CDU-Geschäftsstelle in Dortmund wurde laut den Dortmunder Behörden ebenfalls beschädigt, Personen kamen dabei zum Glück nicht zu Schaden. Anders war es am 01. Februar in Essen-Altendorf. Dort wurden zwei Wahlkampfhelfer der SPD, unter anderem Ali Kaan Sevinc, der Ortsvereinsvorsitzende der SPD in Altendorf-Frohnhausen, beleidigt, bedroht und sogar körperlich angegriffen. Ihnen wurde gedroht, wenn sie in 20 Minuten nicht weg seien, seien sie tot.
Essen muss ein Safe-Space bleiben
Leider war das bei weitem nicht der einzige Vorfall in diesem Wahlkampf oder im Ruhrgebiet. Aggressionen und antidemokratisches Verhalten häuften sich. Letztes Jahr im Mai wurden der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Kai Gehring, und Bürgermeister der Stadt Essen, Rolf Fliß, ebenfalls mit verbaler sowie körperlicher Gewalt im politischen Rahmen konfrontiert. Auf offener Straße wurden sie beleidigt, eingeschüchtert und Rolf Fliß sogar ins Gesicht geschlagen.
Zu dem aktuellen Vorfall in Altendorf hat Grünen-Abgeordneter Gehring sich ebenfalls zu Wort gemeldet. Er bezeichnet jegliche Eskalation zur Gewalt als „No-Go“. Es sei wichtig, den öffentlichen Raum Essens als „Safe Space“ zu wahren, so Gehring. Dabei kommentiert er ebenfalls, dass hier das politische Umfeld, aus dem die Gewalt kommt, keine Rolle spielen darf. In diesem und damals seinem Fall stammt sie aus dem rechten Spektrum, wie es in den meisten solcher Fälle sei, doch Gewalt kann, egal welcher Überzeugung entstammend, nicht die Antwort sein.
Ein Fall politisch motivierter Gewalt, der vermutlich dem linken Spektrum entstammt, ereignete sich in Marl am Nachmittag des 08. Februars. Dort wurde an einem AfD-Wahlkampfstand ein Mitglied der Partei mit einer Zwille beschossen und dabei leicht verletzt. Der stellvertretende AfD-Bundessprecher Kay Gottschalk machte „jahrelange Hetze“ anderer Parteien dafür verantwortlich und forderte sie auf, sich gemeinsam mit der AfD gegen jegliche Gewalt im Wahlkampf einzusetzen.
Mehr rechte Gewalt?
Auch empirisch kann allerdings ein proportional deutlich größerer Anteil politischer Gewalt von rechts nachgewiesen werden. Laut Statista waren im Jahr 2024 die zahlenmäßig größten Opfer politisch motivierter Gewalt Mitglieder, Gebäude und Plakate der Grünen. Auch das Bundeskriminalamt hat eine Aufstellung politisch motivierter Kriminalität (PMK) gemacht. Hierbei ging hervor, dass im Jahr 2023 von insgesamt über 60 Tausend Fällen von PMK 28.945 Fälle dem rechten und 7.777 Fälle dem linken Spektrum zugeordnet werden konnten. Die restlichen Fälle beziehen sich auf anderweitige politische oder religiöse Orientierungen.
Auffällig ist die in diesem Jahr stark angestiegene Menge an Berichten über Gewalt Mitgliedern der CDU und Vandalismus an Plakaten und Gebäuden. In der vorher genannten Statistik zum Jahr 2024 lag die CDU im unteren Drittel, doch zumindest in der Wahrnehmung und in den Presseberichten scheinen sie in diesem Jahr weiter vorne zu liegen. Der CDU-Stadtchef in Hannover, Maximilian Oppelt, berichtete ebenfalls, dass er Ausmaße wie in diesem Wahlkampf noch nie erlebt habe. Ein möglicher Grund könnte die Kontroverse um Friedrich Merz sein. Die sonst eher gemäßigte Partei bezieht in diesem Wahlkampf klarere und extremere Positionen als – vor allem noch unter Merkel – üblich.Ein Beispiel hierfür war die Verabschiedung eines Gesetzes mit Stimmen der AfD, ein Präzedenzfall, der für Aufschrei sorgte.
Wie die gesamten Vorkommen politisch motivierter Gewalt in diesem Wahlkampf abliefen, bleibt noch auszuwerten. Die Polizei Dortmund teilte uns mit, dass noch kein Fazit dazu gezogen werden kann, ob sich die Menge an Gewalt auch zahlenmäßig im Vergleich zu Vorjahren vergrößert hat. Das Gefühl im öffentlichen Raum scheint allerdings einen Anstieg widerzuspiegeln. Auch Oberbürgermeister der Stadt Essen, Thomas Kufen, appelliert zu dieser Wahlperiode an die Bürger:innen. Nachdem weniger als eine Woche nach Aufhängen der ersten Plakate schon viele Beschädigungen gemeldet wurden, verurteilte er dieses Verhalten als „feige“ und für den politischen Diskurs nicht hilfreich. Menschen, die sich in den öffentlichen Dienst stellen, müssen geschützt werden. So überlegen laut der Tagesschau auch 10 Prozent aller Wahlkämpfer:innen, die Arbeit zu beenden. Eine erschreckende Statistik, die die Grundfesten der Demokratie erschüttert.