Posted in

Der Albtraum-Ästhet: David Lynch im Rückblick

Ein KommentarNeben seiner Tätigkeit als Regisseur war David Lynch auch als Musiker aktiv. [Foto: Nikita Verbitskiy]

Am 15. Januar ist der Filmemacher, Maler und Musiker David Lynch im Alter von 78 Jahren verstorben. Wir schauen uns an, wie der einzigartige Regisseur die Medienlandschaft bis heute prägt und seine Ästhetik zu einer eigenen Sprache wurde.

Fragt man Filmnerds und -studierende nach ihrem Letterboxd, wird dort mit hoher Wahrscheinlichkeit der Name David Lynch auftauchen. Ob Mulholland Drive, Blue Velvet oder auch die Serie Twin Peaks, irgendwie kommt man um ihn nicht herum. Ich habe damals versehentlich falsch angefangen: Meine Internet-Bubble floss geradezu über mit Twin Peaks. Dass der gleichnamige Film eine ergänzende Rolle zu der Serie spielt, habe ich dann leider zu spät herausgefunden. Trotzdem hatte er mich. Die seltsam-witzigen Figuren, der Kleinstadt-Charme, der auch Gilmore Girls so cozy macht, und die unbehagliche Absurdität findet man so bei niemand anderem. 

Es ist jedes Mal erfrischend, auf Künstler:innen zu stoßen, die in ihrer Kunst unverkennbar sie selbst sind. Bei Wes Anderson weiß man nach einem Frame, dass er Regie geführt hat, bei David Lynch nach dem ersten Dialog. Als Visionär hat er seine Werke auf sämtlichen Ebenen geprägt, ob Drehbuch, Sound oder Farbgebung. Auch für Gastauftritte war er sich nicht zu schade, wie auch an seiner überaus witzigen Darstellung des schwerhörigen FBI-Agenten Gordon Cole zu erkennen ist. Er nahm sich nicht zu ernst – ein Charme, von dem sein Œuvre nur so überquillt. 

Der Lynch-Look

Nicht nur Witz und Charisma bringen seine Filme in den Kinosaal: David Lynch ist auch für alle Ästhet:innen mit Faible für Mid-Century Möbel und kuratierten Playlisten für jede erdenkliche Stimmungslage da. Seine ikonischen Sets bieten heute noch eine Grundlage für Bar– und Clubeinrichtung auf der ganzen Welt und eine große Palette an Modedesigner:innen bediente sich an seinen Werken für ihre Kollektionen. So unter anderem auch Raf Simons für seine Autumn/Winter 2019 Kollektion oder Undercover in der Autumn/Winter 2024 Kollektion. Auch sein individueller Geschmack bei den Soundtracks beweist anhaltende Relevanz. Laura Palmer’s Theme aus Twin Peaks wurde in enger Zusammenarbeit mit Lynch von Angelo Badalamenti komponiert und bildete einen Meilenstein dafür, wie TV-Soundtracks emotionalen Zugang verschaffen können. Gefeierte Komponisten wie Hans Zimmer und Ludwig Göransson haben ihre Herangehensweise an Klangdesign in Filmen wie Dune und Tenet übernommen.

Auch über den Soundtrack hinaus hat Twin Peaks unser Verständnis von Fernsehinhalten geprägt. Während heutzutage riesige Budgets und Miniserien auf Spielfilmniveau an der Tagesordnung sind, waren TV-Serien vor den 90ern gespickt von billig produzierten Fließband-Sitcoms oder trashigen Telenovelas. Noch vor The Wire und Breaking Bad schaffte Twin Peaks mit seiner aufwändigen Produktion und dem atmosphärischen Aufbau einen neuen Maßstab in Sachen TV. Die 90 Minuten lange Pilotfolge wurde zum Beispiel so gedreht, dass sie, falls die Produktion eingestellt werden sollte, auch als alleinstehender Spielfilm funktioniert hätte. 

Neue Pfade

In seinen Filmen hat David Lynch nicht weniger mit Konventionen gebrochen. Schon das Debut Eraserhead spaltete die Filmwelt mit seinem surrealistischen Sujet und abstoßenden, von der Presse auch als geschmacklos bezeichneten, Bildern. In folgenden Werken hörte er nicht auf, Zuschauer:innen herauszufordern. Mulholland Drive entzog sich dem Publikum so sehr, dass Lynch der DVD eine Liste an Tipps beigelegt hat, die dabei helfen sollen, den Film zu verstehen. 

Anders als die Inhalte ist seine Stimmung allerdings unverkennbar. Die einzigartigen Charaktere reflektieren in (Alb-)Traum-ähnlichen Umgebungen die unerforschten Tiefen der menschlichen Psyche. Düstere Designs und befremdliche Frames hüllen seine absurden Erzählungen in eine Atmosphäre, die genauso verstörend wie auch anziehend ist. Seine Ästhetik schafft nicht nur schön anzusehende Bilder, sie ist ein Blick in sein Innerstes und vielleicht auch in uns selbst. 

Wenn euch der Name bisher kein Begriff war oder ihr noch nichts von David Lynch gesehen habt und das wollt, wäre hier meine persönliche Empfehlung dafür, wie man am besten in sein Universum eintauchen kann: Blue Velvet ist ein super Einstieg, da die Handlung noch recht linear und klar ist und euch einen direkten Sprung in seine Welt ermöglicht. Danach könnt ihr zum Beispiel mit Freund:innen zusammen einen interaktiven Filmabend machen und anhand dieser Liste an Tipps Mulholland Drive entziffern. Twin Peaks geht immer!

Bis zu 20

Tassen Kaffee am Tag soll der Regisseur getrunken haben. David Lynch war ein regelrechter Kaffee-Connoisseur und hat seinen Kaffee möglichst schwarz und möglichst stark getrunken. Diese Eigenschaft wird auch in einigen seiner Figuren widergespiegelt: Dale Cooper, der Protagonist aus Twin Peaks, hat fast genauso häufig die Tasse in der Hand und spricht dauerhaft von einem „verdammt guten Kaffee“. Laut eigenen Aussagen hat Lynch mit drei Jahren zum ersten Mal die Bohne gekostet. Er war so ein großer Fan, dass 2013 sogar ein Signature David Lynch Blend bei Whole Foods in die Regale kam.