Kommentar: Carolin Neumeier | Was ich heute mit dem Star-Spangled Banner verbinde, steht in starkem Kontrast zu dem, was ich als Kind damit verband. [Foto: Carolin Neumeier]
Mittwoch Morgen – Ich bin in der Tram auf dem Weg zu meinem Praktikum. Kurz vor meiner Haltestelle scrolle ich wieder durch Instagram auf der Suche nach dem neuesten Stand bei den Präsidentschaftswahlen. Als ich den ersten Post sehe, der Trump als 47. Präsidenten der USA verkündet, stockt mir der Atem. Der Schock, der sich in meinem Körper breit macht, sitzt so tief, dass ich fast meine Haltestelle verpasse und es nur gerade so schaffe, aus der Bahn zu stolpern.
Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass dieser Mann gewählt wird. Mein weiterer Tagesablauf ist geprägt von vielen Emotionen. Am besten lassen sie sich mit den fünf Phasen der Trauer beschreiben. Laut Wikipedia sind die Schritte des Kübler-Ross Modelles Leugnung, Ärger, Feilschen, Depression und Akzeptanz. Semi-Wissenschaft angewandt auf einen semi-tollen Tag.
Schritt 1: Leugnung
Am Bahngleis wartend denke ich mir: „Das war bestimmt eine voreilige Berichterstattung, die durch falsche Hochrechnungen entstanden ist. Die Amerikaner:innen haben mit Sicherheit keinen öffentlich mit Autoritarismus und Faschismus liebäugelnden Straftäter zum Präsidenten gewählt. Kamala Harris und ihr Team haben doch so viel Energie in ihren, leider zu kurzen, Wahlkampf gesteckt. Bestimmt liegt hier ein Fehler vor, denn (fast) egal wer die andere Option ist, Donald Trump ist keine Wahl. Wie konnte ich so falsch liegen mit meiner neu-erworbenen Hoffnung?”
Schritt 2: Ärger
Als die S9 am Bahnsteig vorfährt – immerhin nur 5 Minuten Verspätung, über die ich mich gerade nicht einmal freuen kann – setzt so langsam die Realisation ein, dass es wohl wahr ist. Die New York Times, die Tagesschau, die Zeit: jedes Medienhaus bringt nach und nach die gleiche Meldung. Der Ärger, den ich gegenüber Donald Trump verspüre, ist spätestens seit der Aufhebung von Roe v. Wade in Trauer umgeschwenkt. Ich fange an zu weinen. Mir fällt nichts anderes ein, als meine beste Freundin anzurufen. Wir haben in den Wochen zuvor noch über unsere neu-erlangte Hoffnung in die demokratische Partei gesprochen, die mit Kamala Harris Einzug in unsere Köpfe erhielt. Wir mutmaßen, wie schlimm jetzt alles werden könnte und welchen Einfluss die Wahl dieses Mannes auf Deutschland haben wird. Die anderen Bahnfahrer:innen denken sich bestimmt, was falsch mit mir ist. Diese junge Frau, die weinend in ihre Airpods schluchzt. Nach circa 15 Minuten habe ich mich so langsam wieder im Griff. Auf Soziale Medien schauen kann ich aber noch nicht.
Schritt 3: Feilschen
An meiner Haltestelle angekommen, überlege ich, ob man sich aufgrund der Wahlergebnisse in einer Nation, die tausende Kilometer entfernt ist, krank melden kann. Verheult zu meiner Praktikumsstelle gehen, bei der ich zu jedem Moment möglichst kompetent erscheinen will (wer weiß, ob mir das so gelingt) ist ja auch doof. Nun bin ich aber bereits angekommen und werde versuchen meinen Arbeitstag normal – und hoffentlich ohne Heulkrampf – durchzuziehen.
Warum belasten mich diese Wahlen so sehr? Weil ich Amerikanistik studiere? Weil ich mit amerikanischen Kulturprodukten aufgewachsen bin? Sie haben mich auf jeden Fall zu einem Großteil mit sozialisiert, mir meine Jugend erklärt und versprochen, dass auf der anderen Seite des Atlantik die beste und coolste Nation auf Erden wartet. Ein Ort an dem jede:r sein kann, wer er:sie will. Und irgendwo ist das ja auch wahr. Denn sogar ein orangener, übergriffiger Multimillionär mit dicker Strafakte kann dort Präsident werden. Aber ganz das, was ich mir versprochen habe, ist das nicht. Meine kindliche Naivität gegenüber den USA schwindet jeden Tag mehr.
Schritt 4: Depression
Bei meiner Praktikumsstelle scheint keine:m mein aufgequollenes Gesicht aufzufallen. Der gesamte Arbeitstag fühlt sich wie ein falscher Film an. Als ich in meiner Mittagspause auf mein Handy schaue, ist Instagram und die Tagesschau App überladen von News aus den USA. Egal wo ich hinschaue, ich entkomme diesen Nachrichten nicht. Ich denke an alle Frauen*, queeren Personen, trans* Personen und People of Color – eigentlich alle die nicht weiß, männlich, christlich und mindestens mittelständisch sind – und wünsche ihnen Kraft. Die nötige Kraft, die nächsten vier Jahre durchzustehen. Ich überlege auch, wie solche Entwicklungen Personen bestärken, die weiterhin Unterdrückung legitimieren wollen. Inwiefern wird der Rechtsruck in den USA rechte Stimmen in Europa weiter bekräftigen? Und genau dieser Punkt macht mir am meisten Angst.
Schritt 5: Akzeptanz
Auf meinem Heimweg von der Arbeit kursieren neben den Meldungen bereits abertausende „aufbauende” Reels, die Mut machen sollen. All der Zuspruch, immer weiter zu kämpfen und niemals aufzugeben, fühlt sich so falsch und erlogen an – wie der American Dream selbst. Eine Botschaft gibt mir jedoch wirklich etwas mit. Nachdem ich mich den ganzen Tag dumm gefühlt habe, mich abermals gefragt habe, wie ich erwarten konnte, dass vielleicht wirklich eine schwarze Frau die erste US-Präsidentin werden könnte, habe ich mich von dieser – mir unbekannten – Person verstanden gefühlt. Sie schreibt:

Ich beschließe ihrem Appell zu folgen und, obwohl die Welt gerade um jede Ecke eine Krise bereithält, zu versuchen, weiter an das Gute im Menschen zu glauben. Nicht falsch verstehen, ich bin keine Optimistin. Ich habe mich immer eher als realistisch oder pessimistisch verstanden, aber mit Kamala Harris hat die Hoffnung wieder Einzug erhalten. Mit wirklicher Akzeptanz hat dieser Moment jedoch wenig zu tun. Akzeptieren werde ich dieses Wahlergebnis wohl nie. Selbstverständlich ändert das nicht das Leiseste daran, dass Donald Trump im Januar seine Amtseinsetzung – und sich selbst – feiern wird. Aber in dem Moment, in dem ich Faschist:innen, Rassist:innen und Lügner:innen in Machtpositionen akzeptiere, verliere ich mehr als nur die Hoffnung. Zuhause angekommen wartet schon die nächste politische Krise auf uns, obwohl wir noch nicht einmal die Nachrichten vom Morgen verdaut haben. Es warten aber auch meine Menschen, die mir am Herzen liegen und mit denen ich gemeinsam trauern und wütend sein kann.