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Zwischen Laken und Laptops – Pornografie, Lust und Sucht

Artikel: Nikita Verbitskiy | Illustration: Lisa Johanna Enninger

Pornhub, Xvideos und Co.: Die anzüglicheren Alternativen zu Netflix oder Disney+ bieten täglich Millionen von User:innen die Möglichkeit, ihre wildesten Fantasien mit einem Mausklick zu verwirklichen. Doch welchen Preis zahlen wir für den Dopaminausschuss auf Kommando?

35 Prozent aller Inhalte im Internet sind laut Statista pornografischer Natur. Diese Zahl überrascht vermutlich die wenigsten Leser:innen – wer schon mal eine kostenlose Streaming-Seite genutzt hat, wundert sich eher, dass sie nicht höher ist. Auch wenig überraschend: Ein deutlich größerer Teil der Konsument:innen sind Männer. Während 90 Prozent der befragten Männer angaben, im letzten Monat pornografische Inhalte konsumiert zu haben, waren es bei den Frauen rund 60 Prozent, von denen ein großer Teil angab, auf Erotikliteratur zu setzen. 

Die Video-Inhalte werfen jedoch einen besorgniserregenden Schatten auf die Nutzer:innen-Zahlen: In 90 Prozent der untersuchten Inhalte kam körperliche Gewalt vor und in fast der Hälfte der Videos wurden Frauen in einer untergeordneten Position dargestellt, so eine Studie von Klaassen und Peter aus dem Jahr 2015. Patriarchale Machtverhältnisse sind deutlich zu erkennen und werden sowohl von den großen Produktionsfirmen als auch von den Amateur-Darsteller:innen weiter reproduziert. Vor allem die entweder neutrale oder teils euphorisch gespielte Reaktion der Darsteller:innen auf die Gewalt vermittelt eine fälschliche Bestätigung aggressiven Verhaltens ohne Konsens. Für ein „Is this okay for you?“ ist im Drehbuch meist leider kein Platz.

Bildgewalt

Dadurch wird Nutzer:innen auf Dauer die Normalität eines solchen sexuellen Verhaltens suggeriert. In weiteren Studien konnte nachgewiesen werden, dass Jugendliche und junge Erwachsene, die angaben, regelmäßiger Pornos zu konsumieren, auch eine verstärkte Tendenz zu sexueller Gewalt zeigten. Während hier die Frage nach der Kausalität gestellt und die Studie kritisch betrachtet werden muss, wird aus vielen weiteren Studien, wie der von Wright und Tokunaga aus dem Jahr 2016, klar, dass insbesondere Männer das in Pornos dargestellte Verhalten häufig im Privatleben nachspielen.

Frauen nutzen im Durchschnitt weniger Videoportale für Pornografie als Männer. [Foto: Nikita Verbitskiy]

Ganz zentral ist hier aber die Intensität des Konsums. In den meisten Fällen wird es erst besorgniserregend, wenn der Konsum und sexuelle Fantasien als zwanghaft bezeichnet werden können. „Pornosucht“ ist bisher kein offiziell anerkanntes Krankheitsbild der Sexualpsychologie, offiziell spricht man dabei von einer Pornografienutzungsstörung. Ein tolles Beispiel für die deutsche Kofferwort-Praxis und noch dazu Beschreibung einer krankhaften Beziehung vom Menschen zu Pornos. Die Menge ist dabei nicht zwingend maßgeblich, sondern der negative Einfluss auf den Alltag und der Leidensdruck. Wie hoch der Konsum dafür ausfallen muss, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Bei circa drei bis fünf Prozent der Männer, die angeben, Pornos zu konsumieren, kann eine Sucht festgestellt werden. Bei Frauen liegt die Anzahl zwischen einem und zwei Prozent.

Süchtig nach Lust

Die Dunkelziffer ist hier vermutlich unberechenbar hoch. Da es lange ein wenig besprochenes Tabuthema war und vielerorts immer noch ist, ist das Phänomen noch relativ jung und unerforscht. Vor allem die allgegenwärtige Verfügbarkeit pornografischer Inhalte erleichtert das Abrutschen in eine Sucht ungemein. Wo früher noch ein schamvoller Gang in die vorhangbedeckte Abteilung der Videothek notwendig war, braucht es heute nur das Öffnen des Inkognito-Surfing-Fensters. So einfach der Zugang zu grenzenlosem Dopamin ist, so stark kann auch die Regelmäßigkeit des Konsums steigen, ganz nach dem Prinzip der Maus mit dem Lustknopf. Dadurch und ebenfalls aufgrund der mangelnden Aufklärung und Besprechung im öffentlichen Raum kann die Zahl an Suchtkranken, insbesondere unbewusst Süchtigen, immens steigen. 

Die Folgen eines übermäßigen Konsums und einer Sucht wirken sich auf ein breitflächiges Spektrum unserer Psyche aus. In MRT-Untersuchungen des Gehirns konnte bei Männern ein im Vergleich kleiner ausfallender Schweifkern festgestellt werden. Der Schweifkern ist in unserem Gehirn dafür zuständig, Belohnungen zu entdecken und die Motivation zu erzeugen, um diese zu erlangen. Wie bei einer chemischen Droge entwickelt sich eine Toleranz gegenüber dem positiven Effekt und es braucht mit der Zeit mehr Stimulation, um das Verlangen zu stillen. Die Folge kann ein Kontrollverlust der Triebe sein. Das Verlangen diktiert den Alltag und alles dreht sich nur noch darum. Vor allem in Beziehungen kann die Sucht zu einem Problem werden, da in manchen Fällen Sex mit einer anderen Person nicht mehr als befriedigend genug wahrgenommen wird. Dadurch entstehen auch typische physiologische Probleme wie erektile Dysfunktionen oder ein ausbleibender Orgasmus.

Bildung Fehlanzeige

Während bisher eine Vielzahl an Studien genannt wurde, die den Einfluss von Pornografie auf Verhalten aufzeigen, ist es wichtig zu fragen, ob das Ei nun vor der Henne kam. Sexualwissenschaftlerin Esther Stahl argumentiert, dass nicht Pornografie aktiv das Sexualleben beeinflusse, sondern lediglich einen Spiegel der Bedürfnisse und Praktiken abbilde, die ohnehin bereits vorhanden seien. Das Argument würde die von Medien getragene Bürde einerseits erleichtern, verschiebe das Problem allerdings auch bloß etwas weiter. Gleichzeitig diene die erdrückend große Menge solcher Inhalte zweifellos immer noch als Marketing-Tool für archaische Machtverhältnisse und genderspezifische Verhaltensweisen. 

Pornografie komplett abzuschaffen ist dabei weder möglich, noch sinnvoll. Vielmehr sollte auf einen bewussten und aufgeklärten Umgang mit den Inhalten gesetzt werden. Es gibt zum Beispiel eine Reihe von Anbieter:innen, die auf eine weniger Mann-fixierte Darstellung von Sex setzen und mit den patriarchalen Konventionen der Pornografie brechen. Auch sollte das Thema früh im öffentlichen Diskurs besprochen werden, damit vor allem junge Menschen lernen, das Gesehene reflektierend einzuordnen und der Sexualkundeunterricht sich nicht mehr auf Bananen und Kondome beschränkt.