Wie entsteht ein EU-Gesetz?

Artikel: Nediem Arem | Der Nationalstaat weiterhin als integraler Bestandteil der EU. [Foto: Nediem Arem]

Wie entsteht eigentlich ein Gesetz auf EU-Ebene? Die wenigsten Bürger:innen könnten diese Frage wohl aus dem Effeff beantworten. Wir wollen in einem knackigen Überblick die Institutionen vorstellen, die am Gesetzgebungsverfahren beteiligt sind und Antworten liefern, welche Interessen die Organe vertreten und warum genau sie bei Gesetzen mitwirken. 

Es sind drei Organe, die aktiv an EU-Rechtsakten gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beteiligt sind. Die Kommission, das Parlament und der Ministerrat oder auch Rat der Europäischen Union – nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Rat, in dem die Staats- und Regierungschefs sitzen. 

Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren der EU beginnt mit einem Vorschlag der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament und den Rat. Die Kommission ist der Motor der europäischen Integration und besitzt als einziges Organ das sogenannte Gesetzesinitiativrecht. Die Kommission ist ein EU-Organ par excellence und verfolgt eine klar europäische Agenda. Der Rat oder das Parlament können die Kommission auffordern, einen Vorschlag für einen Rechtsakt zu unterbreiten. Im zweiten Schritt sind das Parlament und der Rat aufgefordert, den Vorschlag aufzunehmen – ihn entweder zu billigen oder Änderungen vorzunehmen. Hier wird es spannend. Es wird eine Art Gesetzgebungs-Pingpong zwischen Rat und Parlament eingeleitet, bei dem Änderungen immer vom jeweils anderen Gremium gebilligt werden müssen, bevor es zu einem verbindlichen Gesetz kommt. Das Ganze findet in zwei Lesungen statt – sofern nach dem Ende der zweiten Lesung immer noch kein Kompromiss erzielt wurde, kommt es zum Vermittlungsausschuss, an dem gleichzeitig alle Gremien beteiligt sind. 

Sobald also ein Artikel vom Parlament angefasst wird, bedarf es einer Zustimmung aus dem Rat und umgekehrt. Warum ist das so? Nun, der EU wurde lange und wird auch heute noch ein Demokratiedefizit vorgeworfen. Deshalb wurde auch die Rolle des EU-Parlaments mit dem Vertrag von Lissabon, der 2009 in Kraft trat und im Wesentlichen mehr Demokratie, Transparenz und Effektivität vorsah, gestärkt und ist mit dem Rat zum ebenbürtigen Co-Decision-Maker in der Gesetzgebung avanciert. Zudem müssen auf EU-Ebene verschiedene Interessen integriert werden, weil ihr System nicht eine ausschließliche, sondern ergänzende Gesetzgebungsinstanz neben dem der Nationalstaaten darstellt. Dies ist im Übrigen weltweit einzigartig – und gleichzeitig liegt hier auch das Problem. 

Nationalstaaten brauchen Staatssouveränität, damit sie bestehen können – das heißt, der Staat kann für sich verbindliche Entscheidungen treffen. Die EU klaut ihm aber einige Kompetenzen. Man entscheidet gemeinsam für alle. 

Für viele Menschen ist der Nationalstaat weiterhin Bezugspunkt Nummer eins, wenn es um Politik geht. Die EU scheint für viele Bürger:innen noch weit weg und wenig nahbar. Trotz zahlreicher Initiativen, eine gemeinsame europäische Öffentlichkeit herzustellen, sind wir von einer europäischen Identität heute gefühlt weiter weg als vielleicht je zuvor. Um dem Nationalstaat also im EU-Geflecht eine starke Stimme zu geben, vertreten die EU-Mitgliedsstaaten ihr partikulares nationalstaatliches Interesse im Ministerrat – und das auch beim ordentlichen Gesetzgebungsverfahren. Hier sitzen die jeweiligen Fachminister, die sich je nach Themengebiet zusammenfinden. 

Nun geht es der EU ja trotzdem um Demokratie und Europa wählt am 09. Juni. Aber was wählen wir eigentlich? Wir wählen das Parlament – und nur das Parlament. Hier werden die Stimmen der Bürger:innen repräsentativ vertreten.

Bei der europäischen Legislative wird also versucht, das Spannungsverhältnis zwischen nationalstaatlichen und europäischen Interessen auszutarieren und gleichzeitig dem demokratischen Anspruch gerecht zu werden. Dies mündet in einem Interessens-Dreigestirn aus Kommission, Rat und Parlament. Dieses Dreigestirn arbeitet an EU-Gesetzen, bündelt die Interessen und flechtet sie so idealerweise zu einem Kompromiss in Form von Gesetzen zusammen. 

Das komplexe Zusammenspiel der EU-Institutionen im Spannungsfeld zwischen nationalen Partikularinteressen, Interessen der EU-Bürger:innen und europäischen Interessen, zeigt wie auf systemischer Ebene versucht wird diese Interessenvielfalt aufzufangen. Dem Interessensorgan der europäischen Bevölkerung – dem Paralament – können wir in diesem Jahr am 09. Juni eine Stimme geben, um die Zukunft Europas aktiv mitzugestalten. Denn die Finalität des Projektes Europa ist ungeschrieben und unterliegt einem dynamischen Prozess. Klar ist: Diese Europawahl wird zeigen, ob die Bürger:innen sich weiterhin ein starkes geeintes Europa wünschen, oder ob sich der Wunsch nach Abschottung und Rückbesinnung in die eigenen nationalen Grenzen durchsetzt – und wenn letzteres zutrifft, was dann? 


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