Weshalb mich Alltagsrassismus einschränkt 

Ob in der Bahn, im Stadion oder bei der Wohnungssuche – das Gefühl des Fremdseins ist mein ständiger Begleiter. Bin ich fremd in der Ferne, oder fremd in der Heimat? 

Ich habe keine Lust und Kraft mehr, mich ständig als Deutscher beweisen zu müssen. Wörter können eine Person verletzen, umso wichtiger ist in unserer heutigen Gesellschaft ein rücksichtsvolles Miteinander und eine offener Dialog, bei dem auch über den eigenen Tellerrand geblickt wird.

Eine Kolumne von Ozan Karabulut

Es ist Samstag. Ich sitze im Bus auf dem Weg zum Stadion. Die Stimmung ist gut, Fangesänge steigern meine Vorfreude auf das heiß ersehnte Spiel nach der Winterpause. Plötzlich spricht mich ein älterer Mann an und fragt mich aus heiterem Himmel, wo ich denn herkomme. Verdutzt antworte ich mit meiner Heimatstadt. Der Herr erwidert überrascht „Ach, Sie sind Deutscher? Und Ihre Eltern, wo kommen die denn her?“

Die komplette Situation war für mich surreal. Ich konnte nicht im Geringsten verstehen, wieso dieser Mensch mich kurz vor Anpfiff über meine Herkunft ausquetscht. Das ist noch eines der harmlosen Beispiele. Aus eigener Erfahrung und von Freund:innen habe ich gelernt, dass man noch froh sein kann, wenn man nicht beleidigt und körperlich angegangen wird. Bei solchen Vorfällen schießt mir automatisch das Lied „Fremd im eigenen Land“ der Rap-Formation Advanced Chemistry in den Kopf: „Nicht anerkannt, fremd im eigenen Land. Kein Ausländer, aber doch ein Fremder.“ Jeder Vers ist für mich ein mahnender Weckruf, dass sich seit der deutschen Wiedervereinigung von 1990 nichts zum Guten gewendet hat. Ganz im Gegenteil: Rassismus hat sich in großen Teilen der Bevölkerung als gängige Sichtweise etabliert.

Die Nazis von gestern haben Aussehen, Auftreten und Sprache geändert, ihre politische Agenda bleibt jedoch dieselbe. Alter Wein wird nun in neuen Schläuchen serviert. Heute wie gestern werden immer noch Asylunterkünfte in Brand gesetzt, die „Ausschreitungen“ in Rostock-Lichtenhagen haben nicht den Kampf gegen Faschismus verstärkt, sondern die Asylgesetze verschärft. Herr Seehofer sieht Migration als „Mutter aller Probleme“ an. Das passt zu meinen Erfahrungen, die ich seit meiner Kindheit gemacht habe. Wenn man von Faschist:innen angegangen wird, weil man nicht in ihr Weltbild passt, ist man doch selbst schuld. Wäre man nicht hier, würde einem ja auch nichts passieren. Grotesk. 

Die Mehrheitsgesellschaft und ihr Schubladendenken

Dass ich als Deutscher mit Migrationsgeschichte meine Legitimität in meiner Heimat tagtäglich beweisen muss, habe ich bereits in jungen Jahren akzeptiert. Du kannst machen was du willst, die Mehrheitsgesellschaft wird in dir nie den Deutschen sehen. Wer nicht „deutsch aussieht“, kann auch kein Deutscher sein. Ich überlege sehr genau, ob ich eine Party-Einladung von Freunden annehme. Wer sind die Gäste, kommen Personen, die ich vielleicht nicht kenne? Kann es sein, dass es eine All-White-Everything-Party wird und ich die einzige Person of Color bin? Was, wenn ein dummer rassistischer Spruch fällt und ich keine:n Mitstreiter:in habe, der:die das Verhalten missbilligt und verurteilt? Wieso werde ich im Uni-Gym auf Englisch angesprochen? Weil diejenige Person aufgrund meines äußeren Erscheinungsbildes den Schluss gezogen hat, dass ich kein Deutscher sein kann. Hier mein Vorschlag, sich im Alltag besser anzustellen: Jeder Mensch, der in Deutschland lebt, ist deutsch und kann sich perfekt artikulieren. Wenn man merkt, dass dies nicht der Fall ist, hat man die Gefühle der anderen Person nicht verletzt. 

Rassismus ist Alltag

Meine Dauerkarte habe ich längst abgegeben. Ich möchte nicht an einem Ort, an dem ich mich eigentlich wohl und dazugehörig fühle, noch einmal das Gefühl des Fremdseins erfahren. Dafür nehme ich den Verzicht von Stadionbesuchen in Kauf. Leider löst das meine Probleme nicht. Wenn ich nicht im Stadion negative Erfahrungen mache, dann halt im Supermarkt beim Einkaufen. Wie der Begriff schon sagt: Rassismus ist Alltag. Ab heute drehe ich den Spieß einfach um. Jede weiße Person, die mich auf meine Herkunft reduziert und  mich durch mein Äußeres definiert, frage ich nach einer potenziellen Beteiligung der Großeltern an der Shoah und den Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg. Mal gucken, ob einige mein Vorhaben verstehen. Wenn dies nicht der Fall ist, habe ich hoffentlich zum Nachdenken angeregt.


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