„Wenn du dieses Genre in ihrem Spotify-Wrapped siehst, renn?”

Artikel: Anna Olivia Böke | The Smiths, Radiohead und Nirvana gelten unter anderem als „Male Manipulator Music”. [Foto: Anna Olivia Böke]

Ein Begriff sorgte im diesjährigen Spotify-Wrapped für Furore: „Male Manipulator Music”. Die Auswahl scheint zunächst willkürlich. Was macht das neue Subgenre Indie-lastiger Musik aus den späten 80er bis frühen 90er-Jahren zu einem Merkmal manipulativer Männer und was sagt es über die Hörer:innenschaft aus? 

Eine Kolumne von Anna Olivia Böke

Ein Freund erzählte mir vor ein paar Tagen aufgeregt von etwas, das er auf Instagram gelesen hat: Radiohead, Mac DeMarco, Nirvana, Alex G – einige seiner Lieblingsartists, sollen zu der Kategorie der „Male Manipulator Music” gehören. Sein besorgtes Gesicht drückt eine Verunsicherung aus. „Heißt das, ich kann diese Musik nicht mehr hören?”, fragt er mich empört. Gute Frage.

Laut Urban Dictionary ist der Begriff auf TikTok entstanden, durch Memes mit der Essenz: „Wenn sie diese Musik hören, renn!” Es bedeutet im Grunde, dass der Musik-Act oder allgemein Menschen, die diese Art von Musik hören, oft mit emotionalem Missbrauch von Frauen in Verbindung gebracht werden. Meines Verständnisses nach, zeichnet der Begriff eine musikalische Karikatur des Indie Softboi, das Pick Me Girl der Männerwelt, ab. 

Dessen Charakter beschreibt die Betreiberin der bekannten Instagram-Seite @beam_me_up_softboi, Iona, folgendermaßen: „At one end, it’s just anyone who has any unique or alternative interests that make them feel superior to other people. At the other end it is quite hardcore emotionally manipulative men who use these interests to really mess about with women or men.”

Diese Figur ist genau der Kandidat, der sich mit seiner Gitarre auf die Bettkante setzt und dir einen Song einer dieser Artists vorspielt, um dich zu beeindrucken. Manche dieser Männer nutzen die Musik auch für Mansplaining und um sich durch ihren vermeintlich nischig-elitären Musikgeschmack zu profilieren, sich so über das weibliche Gegenüber zu stellen und als interessanter zu inszenieren. Dieses Meme von Ionas Instagram Seite veranschaulicht das. 

Der Begriff kann auch für Acts verwendet werden, deren Texte den „Fuck Boy”-Stereotyp direkt widerspiegeln oder wenn die Musik selbst von manipulativen Männern, wie im Falle Morrissey (The Smiths), gemacht wird, jedoch ist dies oft gar nicht einmal gegeben. Vielmehr basiert der Terminus auf den wiederholten negativen Erfahrungen mit Männern, die ausschließlich die Artists der „Male Manipulator“-Kategorie hören und er fasst demnach ihren Musikgeschmack als „Red Flag” zusammen.

Diese Phrase wird auch häufig von Frauen auf TikTok verwendet, die ein schlechtes Gewissen darüber ausdrücken, Musik von manipulativen Männern zu hören oder Erfahrungen mit diesem Stereotyp von Männern gemacht haben. Er wird auch verwendet, um Witze darüber zu machen, dass problematische Menschen Musik machen, die du trotzdem hörst, auch wenn du ihr Verhalten nicht billigst. 

Wichtig im Kopf zu behalten ist also, dass die Liste von Spotify als eine meme-artige Stereotypisierung gedacht ist und nicht als eine Entblößung problematischer Künstler:innen. Sie schreibt dir nicht vor, was du hören sollst oder nicht. Anders als mein Freund befürchtete, handelt es sich also nicht um ein Burger Records 2.0. (Das Indie-Label geriet 2020 in einen weitreichenden Skandal, als mehrere Vorwürfe sexueller Belästigung und unangemessenen Verhaltens gegen Künstler:innen und Mitarbeiter:innen des Labels ans Licht kamen.)

Durch Spotify wurde aus einem ironischen Witz ein Subgenre, das Diskussionen über Musikgeschmack, Klischees und Internetmemes entfacht. Wenn also deine letzte Situationship, die dich links liegen gelassen hat, sein Spotify-Wrapped dieses Jahr nicht auf Instagram teilt, findet sich vielleicht das Genre „Male Manipulator Music” unter seinen Top-Kategorien. Die Diskussion erstreckt sich auf die Frage, ob der Musikgeschmack allein oder die Inhalte der Musik einen Mann zum Manipulator machen. Meine Antwort darauf ist klar: nein.

Meme-Seite Spotify?

Die Benennung eines Problems ermöglicht Diskussionen, doch der musikalische Bezug zu „Male Manipulator Music” scheint willkürlich. Die Kategorisierung ist eher soziokulturell als musikalisch verankert. Es ist an der Zeit, die eigene Einstellung zu hinterfragen, anstatt bestimmte Musikgenres durch Memes zu normalisieren. Insgesamt zeigt die Debatte, dass es wichtig ist, über Geschmack, Klischees und Memes in der Popkultur kritisch nachzudenken. Es geht nicht darum, bestimmte Bands abzulehnen, sondern um die Haltung, die hinter diesen Vorlieben steht.

Im Grunde ist es wichtig im Kopf zu behalten, dass auch Spotify eine Social Media Plattform ist und sich an Internetkultur orientiert und so auch Memes reproduziert. Ob Spotify mit solchen Begrifflichkeiten um sich werfen sollte, ist jedoch fraglich. Das Meme wird durch den Genre-Titel institutionalisiert und nicht von Individuen verbreitet und das sehe ich als bedenklich. Daher sollten diese Begriffe eher mit zwei Prisen Salz verstanden werden.

In diesem Sinne lade ich dazu ein, bewusst über den eigenen Musikgeschmack und die zugrunde liegenden Denkmuster zu reflektieren. Die Diskussion über Kunst und Kultur sollte nicht durch Memes vereinfacht werden. Es ist an der Zeit, die Vielfalt der musikalischen Landschaft zu schätzen und gleichzeitig eine reflektierte Haltung gegenüber Klischees zu entwickeln. Wenn du dich dennoch durch den Begriff in deinem Spotify-Wrapped angegriffen und verunsichert fühlst, ist es vielleicht trotzdem angebracht, auch dich selbst einmal auf gesunde Weise zu hinterfragen.


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