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The Substance – Or is it just Style?

Artikel: Nikita Verbitskiy | Durch sich spaltende Eigelbe wird die Zellteilung im Film symbolisch dargestellt. [Foto: Nikita Verbitskiy]

In der Ära des „Elevated Horror“ wird das oftmals belächelte und ausschließlich der Spooky Season vorbehaltene Genre nun auch im intellektuellen Volksmund diskutiert. Studio A24 ist schon längst ein Personality Trait und jeder Schocker auch ein beißender Kommentar. Wir haben uns den neuesten Film aus dieser Reihe, The Substance, genauer angeschaut. 

Euphorisches Klatschen ertönt in einem  und „das war der schlechteste Film, den ich jemals gesehen habe“ im anderen Ohr, sobald die Credits den Bildschirm küren. Wenn The Substance eins schafft, dann ist es das Publikum zu spalten. Regisseurin und Drehbuchautorin Coralie Fargeat konnte das bereits mit ihrem Debütfilm Revenge unter Beweis stellen. In ihrem neuesten Werk nimmt die Regisseurin das Thema Jugend, Schönheit und Hollywood unter die Lupe: Elizabeth Sparkle ist ein alternder Stern am Hollywood-Himmel, der nun bald ersetzt werden soll. Doch anhand einer mysteriösen Substanz soll das abgewendet werden. Die ersten zwei Szenen bilden eine clevere Ouvertüre für den Rest des Films und geben den Ton klar an. Wir verstehen sofort, um welche Substanz es sich handelt, was diese kann und wer sie anwenden möchten, ohne dass ein Satz gesprochen oder ein Gesicht gezeigt wird. Das Gesicht ist übrigens ein altbekanntes: Demi Moore spielt die Rolle des alternden Sexsymbols brillant und ist nur eins der vielen Casting-Highlights. Elizabeth Sparkle zeigt im Fernsehen genau so viel Tiefgang wie ihr Name vermuten lässt. Ihre Existenz ist in ihrem Glänzen begründet, sobald dieses erlischt, tut es auch ihre Daseinsberechtigung. 

Ihre Fernsehrolle ist aber nicht die Einzige, die auf eine Dimension limitiert ist. Fargeats Rollen sind so plakativ wie ihre Bildästhetik. Szenenbilder sind steril und stilisiert und ihre Figuren, von den Protagonistinnen mal abgesehen, in ihrem Bezug zur Handlung definiert. Der von Dennis Quaid gespielte Fernsehproduzent hat beispielsweise keine Wünsche oder Werte, die über die Karikatur des geldgierigen, misogynen Hollywood-Execs hinausgehen. Abseits der Dialoge und der Handlung wird auch die Bildsprache dafür eingesetzt. Die Räume scheinen geradezu übergroß und ein extremes Weitwinkelobjektiv wird verwendet, um diesen Effekt in die Höhe zu treiben. Hier wird verdeutlicht: Die Person ist irrelevant. Die Menschen gehen in ihrer Umgebung unter, ob es lächerlich lange Flure oder Büros sind. Das System Hollywood ist die eigentlich kontrollierende Instanz, die über allem steht. 

Perfide Perfektion

Neben den extremen Weitwinkeln erinnern einige andere Techniken auch an Darren Aronofskys Requiem for a Dream. Nicht nur die Brennweite ist extrem. Jeder Ton, jeder Zoom und jeder Cut werden dem Publikum geradezu ins Gesicht gedrückt. Dadurch wird selbst den Szenen, die inhaltlich zahm scheinen, eine Nervosität verliehen, die das Publikum auf der Hut bleiben lässt. Ein Highlight dieser Technik stellt das Shrimp-Essen im Restaurant dar. In einer so alltäglichen Handlung findet Fargeat eine Möglichkeit, bloß anhand cineastischer Techniken einen subtilen Kommentar zu Konsum, Gier und Rücksichtslosigkeit zu machen. Ihre sterilen Kulissen und perfekten Bilder unterstreichen die Plastizität Hollywoods und dessen Held:innen. So war zum Beispiel selbst Margaret Qualley nicht perfekt genug und hat künstlich geformte Brüste und eine gehörige Portion Retusche bekommen, um sie an den absurden Schönheitsstandard der Filtergeneration anzugleichen. Die Frage ist dabei nur, in wie vielen Filmen so etwas passiert, ohne dass es dabei thematisiert und kritisiert wird. 

Eine glatte Oberfläche versteckt groteske Bilder, an denen sich das Publikum vermutlich auch spaltet. Wie schon bei Dorian Gray kostet die Schönheit einen grässlichen Preis, der nach und nach wächst. Schnell wechseln die Inspirationen von Aronofsky zu Cronenberg und aus Wellness-Werbung wird waschechter Arthouse-Horror der 80s (an dieser Stelle eine Trigger-Warnung zu Gore und Blut). Fast droht der Film unter seiner Selbstironie zu zerbrechen, aber Fargeats Humor trägt die absurden Bilder mit Bravour. Beißender Kommentar über das patriarchale Frauenbild regt zum Lachen und doch auch zum Weinen an, nur zum Lächeln nicht. 

Für manche mag der Film, insbesondere das Ende, zu viel oder zu kitschig sein. Ob es gefällt, hängt im Endeffekt von eurer Grundeinstellung zu Body Horror ab, denn, auch wenn die Visuals es nicht direkt vermuten lassen, ist er das im Kern. Ob ihr an den Bildern gefallen findet oder nicht, eins kann man dem Film jedenfalls nicht absprechen: Wir haben ihn direkt nach dem Anschauen bei einem Bier erst einmal ausgiebig diskutieren wollen und allein dafür gehört das Team gelobt. Denn wenn Kunst ein Ziel haben sollte, dann ist es uns anzuregen und Austausch zu fördern.