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Spiel gegen Stereotypen: Die holprige Evolution des Frauenfußballs

Artikel: Anna Olivia Böke | Die Frauen am Ball: Zuschauer:innenzahlen des Frauenfußballs waren noch nie so hoch wie 2023 [Foto: Anna Olivia Böke]

Wenn in einem Gespräch von Fußball geredet wird, meint die Mehrheit der Leute meist den Männerfußball. Lange Zeit galt der Frauenfußball als eine Nische. In 2023 ist der Frauenfußball aber größer als je zuvor. Es folgt ein Exkurs in die holprige Geschichte des Sports und den bis heute anhaltenden Kampf gegen Stereotypen.

Das Thema Frauenfußball hat noch nie zuvor so viel mediale Aufmerksamkeit bekommen wie in 2023. Laut einer Analyse der Sportmarketingagentur Two Circles ist in der diesjährigen Saison die Anzahl an Fans in den heimischen Ligen gegenüber 2021/2022 um durchschnittlich 182 Prozent gestiegen. Jedoch geht die Geschichte des Sports für Frauen weitaus länger zurück und hat bereits einige Auf und Abs zu verzeichnen.

Der Frauenfußball in England hatte seine Hürden zu überwinden. Seine Wurzeln reichen bis ins Jahr 1895 zurück, als der British Ladies‘ Football Club gegründet wurde. Er hatte einen vielversprechenden Start mit Aufmerksamkeit erregenden Spielen, wie das in Crouch End, bei dem das Nordteam ihre südlichen Gegnerinnen mit 7:1 besiegte. Die Kapitänin, humorvoll Nettie Honeyball genannt, war nicht nur Sportlerin, sondern auch politische Aktivistin. Sie träumte von einer Welt, in der Frauen nicht nur dekorative, sondern auch funktionelle Mitglieder der Gesellschaft waren, mit Rechten gleich den Männern.

Jedoch erlosch das Licht des Frauenfußballs kurz während des Ersten Weltkriegs. Nach dem Krieg traten Teams wie Dick Kerr’s Ladies hervor und zogen 1920 sogar eine Menge von 53.000 Zuschauer:innen an. Ihr Wachstum wurde 1921 jedoch durch ein 50-jähriges Verbot der Football Association (FA) gestoppt. Dabei wurden Frauen für 50 Jahre aus den Stadien verbannt. Der Grund? Die FA glaubte, Fußball sei „für Frauen ungeeignet”.

Trotz dieses Rückschlags erlosch die Liebe zum Sport nie. Wie ein Phönix tauchte die Women’s FA 1969 wieder aus der Asche hervor und hob das Verbot 1971 auf. Der erste inoffizielle Frauenfußball-Weltcup fand 1970 in Italien statt. Erst 1984 schaffte es England zur ersten Frauen-Europameisterschaft.

Nach einem erfolgreichen Einladungsturnier in China, bei dem das Eröffnungsspiel zwischen China und Kanada von 45.000 Menschen besucht wurde, erkannte die FIFA das große Interesse am Frauenfußball. Durchschnittlich zog das Turnier 20.000 Zuschauer:innen an. Angespornt durch diesen Erfolg genehmigte die FIFA die Gründung eines offiziellen Weltcups für Frauen, der 1991 erneut in China ausgetragen wurde.

Die kürzlich stattgefundene FIFA Frauen-Weltmeisterschaft 2023, ausgerichtet von Australien und Neuseeland, verzeichnete rekordverdächtige Einschaltquoten. (Hier berichtet die ak[due]ll über die diesjährige Frauen WM und die Forderung nach Equal Pay) Englands Spiel gegen Spanien wurde von 12 Millionen Zuschauer:innen gesehen. Es gab denkwürdige Momente, wie den schnellen Elfmeter von Chloe Kelly, der mit 111 km/h schneller war als jedes Tor in der Männer Premier League dieser Saison.

Trotz Triumph ein anhaltender Kampf

Entgegen dem stetigen Aufstieg des Frauenfußballs der letzten Jahre haben die Frauen weiterhin mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. So gilt das Spiel der Frauen meist als schlechter und unprofessioneller als das der Männer. Während der Frauenfußball-Weltmeisterschaft 2023 untersuchte eine Studie der Universitäten Zürich, Stavanger und Cedar City die Wahrnehmung der Qualität von Frauen- und Männerfußball. Die 613 Teilnehmer:innen sahen Highlight-Videos von Toren. Einige konnten die Geschlechter der Spieler:innen identifizieren, andere nicht. Die Ergebnisse zeigten, dass Vorurteile und Stereotypen die Wahrnehmung beeinflussen, da die Gruppe, die das Geschlecht der Spieler:innen nicht erkennen konnte, keinen Qualitätsunterschied zwischen Frauen- und Männerfußball feststellte. 

Robert Fritsch sagt in einem Artikel in der Zeit, das Spiel der Frauen sei sogar reiner. „Bei den Frauen, so heißt es nun immer häufiger, sieht man viel weniger Rudelbildung, weniger Schauspiel, weniger Schwalben. Was die Männer treiben, sei schmutzig, betrügerisch, vom Geld verdorben.”

Die Frauen werden jedoch nicht nur in ihrem Spiel belächelt, sondern auch objektifiziert. Zuletzt sorgte ein Vorfall in Spanien für Aufruhr. Nach einem ungefragten Kuss von Luis Rubiales, dem Präsidenten des spanischen Fußballverbandes, an Jennifer Hermoso entbrannte ein Skandal. Statt Einsicht zu zeigen, reagierte Rubiales trotzig und der Verband versuchte, Hermosos Reaktion zu manipulieren. Eine Welle der Solidarität für Hermoso durchzog den Frauenfußball, während im Männerfußball größtenteils Schweigen herrschte. Besonders bemerkenswert war die Verteidigung von Rubiales durch Karl-Heinz Rummenigge, einflussreicher Fußballfunktionär und Mitglied des Aufsichtsrats von Bayern München. Dieser Vorfall hebt das Problem patriarchaler Strukturen im Fußball hervor und betont die Dringlichkeit für Veränderungen.

Auch die Ehrung des Erfolgs der Frauen erfolgt noch nicht angemessen. Zum einen ist da das große Problem mit der Bezahlung, die längst nicht so hoch ist wie bei den Männern – auch die Erfolge werden den Frauen nur gegönnt, wenn sie die Männer nicht in den Schatten stellen. Als die Fußballerinnen von Ajax Amsterdam dieses Jahr die Meisterschaft gewannen, während das Männerteam des Clubs die Meisterschaft verlor, lehnte Ajax Amsterdam eine öffentliche Ehrung der Frauenmannschaft durch die Stadt angesichts der „schwierigen” Saison des Männerteams ab. Aktuell sei der Augenblick für solch eine Feier nicht gegeben, informierte die Ajax-Leitung rund um den früheren Nationaltorhüter Edwin van der Sar in der Tageszeitung Het Parool. 

Auch in Deutschland sieht es kritisch aus. 1989 bekamen die deutschen Fußball-Frauen vom DFB nach ihrem EM-Titelgewinn ein Kaffeeservice der Produktlinie Mariposa von Villeroy & Boch als Prämie. Dieses Geschenk wurde rückblickend als peinlich und altmodisch betrachtet, im Kontrast dazu würde 2011 eine Prämie von 60.000 Euro winken. Als Antwort auf die Kritik reagierte die Firma jedoch damit, dem Nationalteam ein neueres und moderneres Kaffeeservice aus der Serie New Wave zu schenken. 

Auch wenn die Zuschauer:innenzahlen steigen, bleibt im Sinne der Gleichstellung in vielen Bereichen innerhalb des Sports noch ein weiter Weg zu gehen. Der Aufstieg des Frauenfußballs zeugt vor allem von der Widerstandsfähigkeit, dem Talent und der Leidenschaft unzähliger Sportlerinnen weltweit. Der DFB schreibt zu der jüngsten Entwicklung des Frauenfußballs: „Um die nachhaltige und langfristige Entwicklung und den Erfolg des Frauenfußballs in Europa voranzutreiben, müssen gezielte Strategien entwickelt und Investitionen getätigt werden.” 

Mehr Repräsentation im Fußball bedeutet jedoch auch, junge Mädchen zum Mitmachen zu ermutigen und so die körperliche Gesundheit und das mentale Wohlbefinden zu fördern. Es bleibt also zu hoffen, dass langfristig für mehr Sichtbarkeit und Anerkennung des Sports gesorgt wird und der reguläre Fußball in den Köpfen der Fans eines Tages nicht mehr automatisch mit dem Männerfußball gleichgesetzt werden wird.