Skin-Picking: Mehr als nur eine lästige Angewohnheit

Artikel: Anna Olivia Böke | Das Knibbeln an der eigenen Haut kann zu einer großen Belastung werden. [Foto: Anna Olivia Böke]

Kratzen, Quetschen, Knibbeln und Drücken –  Skin-Picking-Disorder, auch bekannt als Dermatillomanie, ist eine oft übersehene und missverstandene psychische Störung, die das Leben der Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Während viele Menschen hin und wieder an ihrer Haut kratzen oder Pickel ausdrücken, geht es bei Dermatillomanie weit darüber hinaus. 

Skin-Picking kann in verschiedenen Formen auftreten: Der Drang, an der Haut zu knibbeln, Pickel auszudrücken, Unebenheiten wie Schorf immer wieder abzukratzen, das Zupfen und Kratzen an Muttermalen, Sommersprossen, Flecken oder Narben, um sie vermeintlich zu „glätten“. Jedoch ist es nicht immer nur eine lästige Angewohnheit, sondern kann eine ernsthafte Erkrankung sein. Diese Störung wird als eine Form der Impulskontrollstörung klassifiziert und kann erhebliche physische und psychische Konsequenzen nach sich ziehen. 

Professorin Antje Hunger, Psychologin und Psychotherapeutin an der Hochschule Düsseldorf, sagt: „Eine psychische Erkrankung liegt vor, wenn man die Kontrolle über das Verhalten verloren hat – in diesem Fall das Knibbeln an der Haut. Wenn es also zum Beispiel häufiger auftritt als gewollt oder länger andauert als beabsichtigt. Oder wenn es zu schweren Hautschäden führt.“

Schätzungen zufolge könnten bis zu fünf Prozent der Menschen von Dermatillomanie betroffen sein, wobei Frauen etwas häufiger betroffen sind als Männer. Die Störung ist eng verwandt mit der Trichotillomanie, bei der Betroffene zwanghaft ihre Haare ausreißen.

Ursachen von Dermatillomanie

Die Ursachen der Skin-Picking-Disorder sind noch nicht vollständig geklärt. Forschende vermuten, dass mehrere Faktoren eine Rolle spielen, darunter genetische Prädispositionen, neurologische und psychologische Einflüsse sowie Umweltfaktoren. Die Störung zeigt sich oft mit dem Beginn der Pubertät, einer Lebensphase, in der Hautprobleme wie Akne häufig auftreten. Auch können emotionale Faktoren wie Langeweile, Angst oder Stress die Störung auslösen oder verstärken. Viele Betroffene berichten, dass das Knibbeln an der Haut eine entspannende und beruhigende Wirkung hat.

Akne excoriée

Eine spezielle Form der Dermatillomanie ist die Akne excoriée, eine neurotische Selbstverletzung, die meistens Frauen betrifft. Diese Form tritt auf, wenn Betroffene zwanghaft an ihrem Gesicht herumdrücken und zwicken, selbst wenn keine „echte“ Akne vorliegt. Betroffene fühlen sich durch kleine Hautunreinheiten gestört und versuchen, diese zwanghaft zu beseitigen, um glatte und perfekte Haut zu erlangen. Dieser Prozess kann in einen tranceartigen Zustand führen. Die Folge sind Krusten und Kratzspuren, die zu Narben führen können.

Auswirkungen und Leidensdruck

Betroffene wenden oft regelrecht Gewalt an ihrer Haut an, indem sie quetschen, ziehen, drücken und kratzen oder sogar kleine Hautstücke herausreißen. Sie nutzen dabei nicht nur ihre Fingernägel und Zähne, sondern auch Werkzeuge wie Nadeln, Scheren oder Pinzetten. Diese Handlungen führen zu Blutungen, Entzündungen und schwer heilenden Wunden. Die am häufigsten betroffenen Hautbereiche sind Finger, Hände, Arme, das Gesicht und die Kopfhaut.

Der körperliche und seelische Leidensdruck ist enorm. Antje Hunger betont: „Die Betroffenen leiden stark unter den körperlichen Schäden: Es kann zu Verletzungen, Entzündungen und Narben kommen. Und sie leiden an der damit verbundenen Beeinträchtigung der eigenen Attraktivität. Hinzu kommen häufig starke Scham- und Schuldgefühle“. Die Bearbeitung der Haut nimmt oft so viel Zeit in Anspruch, dass andere Aktivitäten vernachlässigt werden. Dies führt häufig zu sozialer Isolation und einer stark eingeschränkten Lebensqualität. 

Diagnostik und Behandlung

Die Diagnose von Dermatillomanie ist komplex und erfordert oft die Zusammenarbeit von Dermatolog:innen und Psychiater:innen. Viele Betroffene suchen zunächst wegen ihrer Hautprobleme ärztlichen Rat, ohne sich der zugrunde liegenden psychischen Störung bewusst zu sein. Ein umfassender diagnostischer Ansatz, der auch die psychischen Komponenten berücksichtigt, ist daher entscheidend.

Professorin Hunger sagt zur Behandlung: „Ich würde eine kognitive Verhaltenstherapie empfehlen, in der konkret und zielgerichtet an einer Lösung des individuellen Problems gearbeitet wird. Dabei entdecke ich die Bedingungen, die mich immer wieder zum Skin-Picking verleiten. Diese lerne ich dann durch Veränderungen im Denken und Verhalten abzubauen.“

Diese Therapieform hilft Betroffenen, ihre Gedankenmuster und Verhaltensweisen zu erkennen und zu ändern. In einigen Fällen können auch Medikamente, wie selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, eingesetzt werden, um die Symptome zu lindern. Ergänzend können Achtsamkeitstechniken und Entspannungstraining helfen, den Stress und die Anspannung zu reduzieren, die häufig mit Skin-Picking verbunden sind.

Fidget-Spielzeuge, Handschuhe und spezielle Ringe mit beweglichen Teilen können in akuten Fällen des Knibbelns bei Stress sofortige Minderung schaffen. Wichtig ist es, sich der Angewohnheit zunächst bewusst zu werden und  die Impulse umzuleiten.

Falls euch also diese Verhaltensweisen zumindest in Teilen bekannt vorkommen, achtet zunächst einmal genau darauf, wann diese auftreten und versucht diese zu kontrollieren. Studierende, die unter Skin-Picking leiden, sollten ermutigt werden, sich an psychologische Beratungsstellen oder Selbsthilfegruppen zu wenden. Der Austausch mit anderen Betroffenen kann helfen, das Gefühl der Isolation zu verringern und praktische Bewältigungsstrategien zu erlernen. Zudem können Workshops zu Stressmanagement und Achtsamkeit eine wertvolle Ergänzung zur therapeutischen Behandlung sein.


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