Sogar die Audiodateien der beiden Tracks sehen fast identisch aus. [Foto: Nikita Verbitskiy]
Die 2020er Jahre haben den Y2K-Hype zurückgebracht. Alles aus unserer Kindheit und Jugend kommt zurück, ob neu verpackt oder original. In der Musikbranche ist es kein Geheimnis, dass der einfachste Weg zum Hit die Inspiration durch Songs dieser Ära ist. Oder ist alles nur geklaut? Wir haben uns ein paar Beispiele angeschaut.
Ein üblicher Weg, die Songs aus unserer Kindheit zurückzuholen, ist, die Rechte an der Musik zu erlangen oder eine Vereinbarung mit den Urhebern zu treffen. So war es zum Beispiel bei Lucianos Hit Beautiful Girl der Fall. Der Track Beautiful Girls von Sean Kingston aus dem Jahr 2007 wurde dabei gesampelt, also ein Stück der originalen Audio genommen und in den neuen Track eingebaut. Ein anderes bekanntes Beispiel war Juice WRLDs Song Lucid Dreams, dabei hat der Produzent die Gitarre von Stings Shape of My Heart nachgespielt. Das nennt man eine Interpolation. Juice WRLD und sein Team haben sich allerdings damals nicht die Rechte an der Musik gesichert und mussten sich im Nachhinein mit Sting einigen, der nun 75 Prozent aller Einnahmen des Songs bekommt.
Anders sieht die Sache aus, wenn die Parallelen weniger offensichtlich sind. Hier entstehen dann oft große und lange Gerichtsprozesse wie vor ein paar Jahren bei Robin Thickes Blurred Lines, dessen Drums und Bass gewisse Ähnlichkeiten zu Marvin Gayes Got To Give It Up aufwiesen. Hier wurde damals zugunsten Gayes entschieden – ein Präzedenzfall für viele weitere Fälle. Denn es stellt sich die Frage: Wo hört Inspiration auf und wo fängt Diebstahl an?
Dass Musiker:innen eine Referenz nutzen, die die Richtung ihres nächsten Songs vorgibt, ist gängige Praxis, doch wie weit können sie gehen, ohne Konsequenzen zu befürchten? Dieser Frage muss sich aktuell auch Shirin David stellen. Nachdem sie letztes Jahr bereits im Rechtsstreit mit Kraftwerk-Mitglied Ralf Hütter war und ihren Song Hoes Up G’s Down angepasst neu hochladen musste, gibt es aktuell Vorwürfe zu ihrem neuen Song mit Sampagne, It Girl. Hier werden nämlich Parallelen zu California Gurls von Katy Perry gezogen. Wie bereits vom Creator Dr. Pop auf Social Media beschrieben, sind nicht nur die Tonart und das Tempo gleich, was erstmal nichts bedeuten muss, sondern auch der Beat hat eindeutige Ähnlichkeiten.
Von TiK ToK bis TikTok
Auch Ke$has ikonische Single TiK ToK aus dem Jahr 2010 wird als Vergleich herangezogen. Diese wird sogar von David in ihrem Text referenziert. Die (mittlerweile schlecht gealterte) erste Zeile: „Wake up in the mornin’ feelin’ like P. Diddy“ wird mit einer kleinen Änderung übersetzt und abgeändert zu: „Wache auf, fühle mich wie Shindy“. Was auffällt: der Flow, also die Taktung der Silben, ist fast identisch. Genau an dieser Stelle ergibt sich die Grauzone im Urheberrecht. Wenn ein Stück der originalen Aufnahme verwendet oder eine Melodie eins zu eins kopiert wird, wie in den ersten beiden Beispielen, ist der Fall klar. Doch reicht bereits eine gewisse Ähnlichkeit aus, um sich angreifbar zu machen?
Ebenfalls brandaktuell im Deutschpop ist Nina Chuba mit ihrer neuesten Single Fata Morgana. Es wird eine Ähnlichkeit zu Tokio Hotels Durch den Monsun nachgesagt, ein weiterer taktischer Zug in Richtung Wiederaufleben-lassen der 2000er. Von Kopie wird bei ihr allerdings nicht gesprochen, ganz im Gegenteil: Bill Kaulitz selbst hat ein Lypsinc Video zu dem Song gemacht und mittlerweile wurde auch ein Remix mit Tokio Hotel veröffentlicht. In diesem Fall waren die Ähnlichkeiten also eine gelungene Marketingtaktik von Seiten Chubas. Ob es im Fall Shirin David zu einem weiteren Prozess kommt und wie die Zukunft der Musiklandschaft und des Urheberrechts in Deutschland aussieht, bleibt noch abzuwarten.