Pflichtpraktika: Moderne Ausbeute oder tolle Möglichkeit?

Artikel: Helena Wagner | Die Praktikumssuche nimmt endlich ein Ende. Doch was dann? [Foto: Helena Wagner]

Ein Pflichtpraktikum zu absolvieren ist in den meisten Fällen keine dankbare Aufgabe. Häufig werden Studierende wie normale Arbeitskräfte behandelt und müssen die entsprechenden Aufgaben erledigen. Und das oft ohne Bezahlung. Wir haben die Belastungen und Vorteile zusammengetragen.

Die Rechtslage unterscheidet zwischen freiwilligen Praktika und Pflichtpraktika. Grundsätzlich gilt: Ab einer Praktikumsdauer von mehr als drei Monaten steht dem:der Praktikant:in eine Aufwandsentschädigung zu. Das gilt jedoch nicht für Orientierungs- und Pflichtpraktika, die in der Studienordnung vorgeschrieben sind. In diesem Fall haben Praktikant:innen keinen rechtlichen Anspruch auf ein Gehalt, unabhängig von der Länge des Praktikums. Manche Arbeitgeber:innen geben den Studierenden jedoch aus Kulanz ein geringes Entgelt. Falls ihr BAföG bekommt, kann es sein, dass ihr euch bei einem entlohnten Praktikum auf Kürzungen einstellen müsst.

Wenn man sich neben dem Praktikum um die Uni oder um einen Nebenjob kümmern muss, kann das zu organisatorischen Herausforderungen führen. Bei den meisten Praktika werdet ihr wie eine Vollzeitkraft behandelt und müsst dementsprechend den ganzen Tag von Montag bis Freitag einplanen. Wenn man dann am späten Nachmittag nach Hause kommt, ist man erst mal platt. Sport, Haushalt, Einkauf, soziale Kontakte lassen dann meist keine Zeit, um zu entspannen oder herunterzukommen. Abends fällt man ins Bett, um am nächsten Morgen wieder alles von vorne zu machen. Wenn man sich nicht unter der Woche noch aufrappelt, um die Hausarbeit zu schreiben oder für Klausuren zu lernen, bleiben dafür nur noch die Wochenenden. Vorausgesetzt, man muss dann nicht in seinem Nebenjob arbeiten. Drei Monate können so ins Land ziehen und euch dabei ziemlich ausbrennen. Wenn das Praktikum vorbei ist, dauert es meist nicht lange, bis ihr wieder in den Uni-Alltag einsteigen müsst – alles in allem also eine zehrende Angelegenheit.

Forderungen im Europaparlament – soziale Ungleichheiten nicht weiter fördern

Am 14. Juni wurde im Europaparlament dazu unter anderem eine faire Vergütung für Praktika in der EU gefordert. Das Parlament forderte die Kommission auf, einen Richtlinienvorschlag zur Qualität von Praktika vorzulegen: “Nach Ansicht der Abgeordneten sollte die neue Richtlinie über hochwertige Praktika vorsehen, dass Praktikanten durch Mindestqualitätsstandards geschützt werden, einschließlich Regeln für die Dauer von Praktika sowie für die Vergütung und den Zugang zu sozialem Schutz in Übereinstimmung mit nationalen Gesetzen und Praktiken”, heißt es in der Pressemitteilung über die Schwerpunkte der Plenartagung. 

Weiter fordert der Berichtsentwurf eine Vergütung, die “mindestens Nahrung, Kleidung, Wohnung und Transport abdeckt, wobei auch die Lebenshaltungskosten berücksichtigt werden müssen.” Es wird ein erleichterter Zugang zu Praktika für Menschen mit Behinderung oder Menschen aus sozial schwachen Verhältnissen gefordert. Die Forderung gilt für Pflichtpraktika als auch für Praktika auf dem freien Arbeitsmarkt. Dass Pflichtpraktika, so wie sie im Studium abgelegt werden, soziale Ungleichheit fördern, wird bereits durch Studien belegt. Arbeiter:innenkinder und Studierende mit Migrationshintergrund haben oft nicht die Möglichkeit, unbezahlte Praktika abzulegen, da die finanzielle Unterstützung fehlt. 

Praktika bieten jedoch auch eine Menge Vorteile. Klarheit über den beruflichen Werdegang steht hierbei oft im Vordergrund. Durch das intensive Kennenlernen des Berufsalltags könnt ihr euch ein Bild davon machen, ob dieser auch dem entspricht, was ihr euch für eure Zukunft wünscht. Selbst wenn ihr merkt, dass es überhaupt nichts für euch ist, habt ihr einen Vorteil vom Praktikum gehabt, auch wenn es oft nicht der ist, den man sich gewünscht hätte. Ein weiterer Punkt: Sie schmücken euren Lebenslauf. Praktika sind für den Lebenslauf in vielen Branchen unumgänglich. Außerdem könnt ihr Kontakte knüpfen, egal ob beruflich oder privat. Falls ihr das Praktikum in einer anderen Stadt oder gar in einem anderen Land macht, gibt euch das sogar die Möglichkeit, das Leben in einer anderen Umgebung kennenzulernen. Ihr seht, am Praktikum ist nicht alles schlecht, auch wenn es beizeiten sehr anstrengend werden kann. Eine finanzielle Entlohnung wäre trotzdem zu wünschen.


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