Artikel: Freya Pauluschke | Die französische Staatsbahn Chemin de fer de l’etat warb in den 20ern mit bunten Reiseplakaten für anziehende Orte in Frankreich. [Foto: Freya Pauluschke | Ausstellungsansicht, Ausstellung „Ferne Länder, Ferne Zeiten. Sehnsuchtsfläche Plakat“ 15.03.-07.07.2024, Museum Folkwang, Essen, 2024]
Zum 50. Jubiläum des Deutschen Plakat Museums, als Teil des Museum Folkwang, eröffnete am 15. März die neue Ausstellung „Ferne Länder, Ferne Zeiten. Sehnsuchtsfläche Plakat“ mit historischen sowie zeitgenössischen Reiseplakaten. Was euch erwartet, erfahrt ihr in diesem Artikel mit Fotostrecke.
Urlaubsreisen konnte und kann sich nicht jede:r leisten. Doch die Sehnsucht, neue und ferne Länder zu entdecken ist konstant. Die Werbeplakate sprachen vor allem auch Menschen an, denen bewusst war: „Da werde ich niemals hinkommen!“ Somit dienten die großen und farbintensiven Reiseplakate als Sehnsuchtsfläche.
Chronologisch geordnet beginnt die Ausstellung mit der Präsentation von Plakaten um 1900, es folgen die 20er und 30er Jahre, die 50er und 60er. Auch eine zeitgenössische kritische Perspektive auf das Thema Reisen und Klimakrise von Studierenden der Akademie für Mode und Design in Düsseldorf (AMD) ist geboten.
Mit dem Riviera-Express von Berlin nach Monte-Carlo
Beliebte Reiseziele um 1900 waren Südeuropa, die Schweiz und Österreich, Großstädte wie Paris und London, als auch Ägypten, Algerien und Tunesien. Mit Fokus auf Landschaftsszenerie wurde geworben: Berge, Meer, schöne Aussichten. Auch gute Infrastruktur und Luxushotels bildeten Orte zu reizenden Urlaubszielen aus. Transportmittel war die Eisenbahn oder für reiche Leute der Luxuszug. 1873 wurden erstmals Schlafwagen eingesetzt auf der Strecke von Ostende nach Berlin. Der erste Luxuszug war der Orientexpress, der ab 1883 von Paris nach Konstantinopel verkehrte.
Zahlreiche Plakate zeigen das Mittelmeer bei Südfrankreich, Spanien oder Italien, oft in Kombination mit einem verlockenden „Grand Hôtel“ im Hintergrund. Oft sind elegant gekleidete Frauen im Vordergrund des Plakats und die Landschaft scheint fast schon unwichtig. Andere stellen mit Kamelen, Pyramiden und Palmen nordafrikanische Länder stereotypisch dar.
Die Ausstellung gliedert die Reiseplakate teilweise in Sommer und Winter. Im heißen staubigen Sommer ging es entweder in kühle bergige Orte oder an andere heiße südliche Orte, wo man aber dem Mittelmeer nah war. Im Winter ging es entweder in die schneebedeckten Berge oder vor allem nach Südeuropa und Nordafrika. Auftraggebende der Werbeplakate waren die Regionen, Orte, Hotels oder die Eisenbahngesellschaften. Stil und Aufbau der Plakate ähneln sich jedoch sehr, unabhängig von der Werbung verschiedener Reiseziele zu verschiedenen Jahreszeiten. Dies zeigt, dass die Erwartungen von den Auftraggebenden als auch der Zielgruppe über Jahre erfüllt wurde.
Was die Ausstellung gut integriert, sind die Gestalter von Reiseplakaten. Auch wenn die Informationen über die Gestalter eher spärlich sind und oft „Anonym“ verzeichnet ist, gab es wohl zwei Gruppen: Grafiker, die nur kurzzeitig Entwürfe für Eisenbahngesellschaften, Touristenattraktionen oder Airlines anfertigten. Als auch Grafiker, die Aufträge über längere Zeit erhielten. Interessant ist, dass nicht alle Grafiker gereist sind, wodurch sich die Frage nach der Authentizität der Plakatmotive stellt.
Stereodias im Kaiserpanorama
1880 eröffnete das erste „Kaiserpanorama“ in Breslau. Dabei handelt es sich um ein zylindrisches holzvertäfeltes stereoskopisches Massenmedium, an dem bis zu 25 Personen gleichzeitig durch Okulare Bilderserien betrachten können. In der Ausstellung steht ein Nachbau eines Kaiserpanoramas. Handkolorierte Stereoaufnahmen von weit entfernten Orten und deren Bewohner:innen werden gezeigt. Das jeweilige Land wird immer in einem Feld über den Okularen angezeigt. Durch den Stereoeffekt erhalten die Aufnahmen einen intensiven 3D-Effekt und es wirkt, als würde man in die Szene des Bildes eintauchen. Das Kaiserpanorama wurde letztendlich vom Film abgelöst.
Neue Maschinen, neue Reiseerfahrung
Nach dem Ersten Weltkrieg waren die Reisemöglichkeiten aufgrund von Zerstörung, Demoralisierung und wirtschaftlichen Problemen beschränkt. Dennoch entwickelte sich die Technik rasant und die „große Maschine“ wurde zum Symbol der Zukunft. Spezielle Dampfloks ermöglichten nun eine höhere Reisegeschwindigkeit, also konnte man in kürzerer Zeit weitere Strecken zurücklegen. Auch die Plakate der 20er und 30er Jahre zeigen oft das Motiv der Dampflok, der maschinellen Kraft. Der Plakatstil änderte sich zu mehr Sachlichkeit und Art déco. Außerdem warben die entsprechenden Länder für nähergelegene Urlaubsorte und -regionen innerhalb des Landes. Architektonisch historische Landmarken lösten Landschaftsdarstellungen auf Plakaten ab.
Die Nationalsozialisten nutzten Urlaub und Reiseplakate politisch aus, um deren Ideologie zu propagieren. Das Freizeitwerk Kraft für Freude (KdF) wurde zum größten Reiseveranstalter der 30er.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wandelte sich die Wahrnehmung von Flugzeugen: einst als Gefahr betrachtet, verbesserten die Transportflüge für die Versorgung West-Berlins aus der Luft das Image der Royal Air Force und der US Air Force. Immer noch konnten sich nur wenige Menschen Flugreisen leisten. 1955 begann die Lufthansa mit ersten Linienflügen. Somit waren die Auftraggebenden für Reiseplakate nun die Fluggesellschaften. Die Plakate der 50er und 60er präsentieren fokussiert massive Flugzeuge. Fliegen kam in Mode und damit begann der Massentourismus.
Flugreisen in der Klimakrise
Das Animationsprojekt Ist das der Himmel? der Marken- und Kommunikationsdesign-Studierenden der AMD zeigt eine aktuelle Position zum Thema Fliegen und Nachhaltigkeit: „Müssen wir unsere Reisegewohnheiten vor dem Hintergrund von CO2-Ausstoß und endlichen Ressourcen unserer Erde überdenken?“, fragen sich die Studis. Die Animation zeigt etliche sich überlagernde Kondensstreifen und signalisieren, wie dicht der Flugverkehr ist. Heute ist Fliegen für den Großteil der Gesellschaft möglich. Doch es trägt auch zu einem großen Teil an der globalen Erderwärmung bei, die nicht mehr zu stoppen scheint. Mit diesem Projekt verbindet die Ausstellung auf eine gut kritische Art und Weise die Geschichte der Reiseplakate mit dem aktuellen Diskurs um Flugreisen in der Klimakrise und regt zum Nachdenken und Reflektieren an. Auf einem Bildschirm haben Besucher:innen die Möglichkeit eine Stimme abzugeben: „Wie willst du in Zukunft reisen?“ Es besteht die Wahl aus „Ich werde Flugreisen uneingeschränkt nutzen“ und „Ich werde Flugreisen bewusster nutzen“. Zur Zeit unseres Ausstellungsbesuches hatten 112 Menschen für die erste Antwort gestimmt und 122 für die zweite.










Foto 1: Freya Pauluschke | Ausstellungsansicht (Reiseziele um 1900), Ausstellung „Ferne Länder, Ferne Zeiten. Sehnsuchtsfläche Plakat“ 15.03.-07.07.2024, Museum Folkwang, Essen, 2024
Foto 2: Freya Pauluschke | Ausstellungsansicht (Reiseziele um 1900 – Nordafrika), Ausstellung „Ferne Länder, Ferne Zeiten. Sehnsuchtsfläche Plakat“ 15.03.-07.07.2024, Museum Folkwang, Essen, 2024
Foto 3: Freya Pauluschke | Ausstellungsansicht (mit Riviera Express von Rafael de Ochoa y Madrazo, 1900), Ausstellung „Ferne Länder, Ferne Zeiten. Sehnsuchtsfläche Plakat“ 15.03.-07.07.2024, Museum Folkwang, Essen, 2024
Foto 4: Freya Pauluschke | Ausstellungsansicht (Gestalter von Reiseplakaten), Ausstellung „Ferne Länder, Ferne Zeiten. Sehnsuchtsfläche Plakat“ 15.03.-07.07.2024, Museum Folkwang, Essen, 2024
Foto 5: Freya Pauluschke | Ausstellungsansicht (Photochrome), Ausstellung „Ferne Länder, Ferne Zeiten. Sehnsuchtsfläche Plakat“ 15.03.-07.07.2024, Museum Folkwang, Essen, 2024
Foto 6: Freya Pauluschke | Ausstellungsansicht (Kaiserpanorama), Ausstellung „Ferne Länder, Ferne Zeiten. Sehnsuchtsfläche Plakat“ 15.03.-07.07.2024, Museum Folkwang, Essen, 2024
Foto 7: Freya Pauluschke | Ausstellungsansicht (Reiseziele 1920-30er), Ausstellung „Ferne Länder, Ferne Zeiten. Sehnsuchtsfläche Plakat“ 15.03.-07.07.2024, Museum Folkwang, Essen, 2024
Foto 8: Freya Pauluschke | Ausstellungsansicht (Reiseziele 1920-30er, Dampflokmotive), Ausstellung „Ferne Länder, Ferne Zeiten. Sehnsuchtsfläche Plakat“ 15.03.-07.07.2024, Museum Folkwang, Essen, 2024
Foto 9: Freya Pauluschke | NASA – The Grand Tour: Jupiter / Saturn / Uranus / Neptun – Now Boarding (2019), Ausstellung „Ferne Länder, Ferne Zeiten. Sehnsuchtsfläche Plakat“ 15.03.-07.07.2024, Museum Folkwang, Essen, 2024
Foto 10: Freya Pauluschke | Marken- und Kommunikationsdesign-Studierende der AMD – Ist das der Himmel? (2024), Ausstellung „Ferne Länder, Ferne Zeiten. Sehnsuchtsfläche Plakat“ 15.03.-07.07.2024, Museum Folkwang, Essen, 2024