Krefelder Studie: Drastischer Rückgang der Insektenvielfalt

Artikel: Freya Pauluschke | Thomas Hörren hält die 2004 ausgestorbene Art Regensburger Gelbling in der Hand. [Foto: Freya Pauluschke]

Eine Studie des Entomologischen Vereins Krefeld zeigt, dass die Fluginsekten-Biomasse in Naturschutzgebieten um 76 Prozent zurückgegangen ist. Wir haben mit dem Entomologen Thomas Hörren über Biodiversität und die Studienergebnisse gesprochen.

Der Entomologische Verein in Krefeld dient als naturwissenschaftliche Sammlung und Archiv. Bis zu 2,5 Millionen Exponate dokumentieren 120 Jahre Insektenhistorie mit Schwerpunkt auf Krefeld und den Niederrhein. Neben der Sammlung und Fortbildungsangeboten gibt es die Forschungsebene. Es gilt, die biologische Vielfalt zu erfassen. „Vor allem versuchen wir, den Verlust und die Probleme zu dokumentieren, was nicht so häufig gemacht wird. Das ist nach wie vor relativ selten, weil diese Daten nicht gerne gesehen werden“, erklärt Thomas Hörren, Vorsitzender des Entomologischen Vereins Krefeld. Ziel des Vereins ist es daher den Naturschutz zu verbessern, Vielfalt zu erhalten und zu optimieren.

Hörren hält einen Kasten mit leuchtend gelben Schmetterlingen hoch. „Das ist der Regensburger Gelbling, eine Art, die in Deutschland seit 2004 ausgestorben ist. Das hier sind die letzten Belege, die noch existieren und zeigen, dass diese Art jemals da war.“ Somit ist der Regensburger Gelbling auch einer von vielen Belegen für das Artensterben von Insekten.

Die Krefelder Studie

2017 veröffentlichte der Entomologische Verein Krefeld, zusammen mit der Universität Nijmegen, eine Langzeitstudie, die häufig als „Krefelder Studie“ bezeichnet wird. Sie ist eine der wenigen langfristig orientierten Studien zum Insektensterben, die es in Europa gibt. Von 1989 bis 2016 wurden die Insektenbestände in 63 deutschen Naturschutzgebieten ausgewertet. Das schockierende Ergebnis zeigt, dass 76 Prozent, im Hochsommer bis zu 82 Prozent, der Fluginsekten-Biomasse zurückgegangen ist. „Eine wichtige Fragestellung damals war, ob wir die Mechanismen verstehen, die zu der Veränderung und dem Rückgang der Insekten-Biomasse führen. Wir haben uns auch gefragt, ob der Klimawandel eine Ursache ist“, erläutert Hörren, Co-Autor der Studie.

Insektenrückgang durch Landwirtschaft

Die Studie besagt, der Klimawandel sei keine Ursache. An extremen Hitzetagen beispielsweise sind weniger Insekten unterwegs, „ein paar schaffen das, aber die meisten nicht, das ist einfach zu heiß“. Die Aktivität wird dann auf abends verschoben oder bleibt tagelang gering.

Schließlich wurde vermutet, dass Umfeld und Landwirtschaft negative Auswirkungen auf die Biomasse haben. „Die Messorte waren Naturschutzgebiete. Die Rückgänge haben wir nur da gemessen, wo der Erhalt eigentlich am besten sein sollte.“ Genauer sollte untersucht werden, ob Pestizide die Ursache seien. Doch die Landwirtschaftskammern gaben keine Daten raus. „Pestizide sind flächenmäßig die größte Datenintransparenz, die wir bis heute haben“, erklärt Hörren. Auf einem Drittel der Bundesfläche in Deutschland werden mehrmals pro Jahr Pflanzenschutzmittel eingesetzt, um die Organismen zu töten, die man in der Fruchtfolge nicht haben möchte. Pestizide werden aber auch durch Luft und Regenwasser weitergetragen.

In dem anschließenden Forschungsprojekt DINA (Diversity of Insects in Nature Protected Areas) hat der Verein genauer die möglichen Gefahren und Risiken für Insekten in Naturschutzgebieten untersucht. Unter anderem wurde die Belastung der Insekten gemessen: „In 21 Schutzgebieten sind Insekten im Schnitt mit 16,7 unterschiedlichen Pflanzenschutzmitteln belastet“, betont Hörren. Die Untersuchungen der Insekten als auch der umliegenden Äcker zeigen, dass die Schutzgebiete mit den Pflanzenschutzmitteln belastet sind, die im Acker angewendet werden. Dieses Problem betrifft gleichzeitig auch die Pflanzenvielfalt in Naturschutzgebieten. Im Schnitt ist die Biomasse von Pflanzen und Insekten in Schutzgebieten höher – das heißt die Gebiete funktionieren an sich –, doch die Ignoranz der verwaltenden Behörden ist problematisch.

Was hat sich seit Veröffentlichung der Studie getan?

An den Maßnahmen habe sich bis heute nichts geändert. Die gesellschaftspolitische Eigenverantwortung von Deutschland für den Rückgang der Insektenvielfalt wurde zwar schnell übernommen, doch die Eigenverantwortung der Behörden auf Landesebene in den Kommunen, die sich um die Naturschutzgebiete kümmern, wird laut Hörren weggeschubst. Lösungsansätze werden dann auf die Gestaltungen der Siedlungsräume und Gärten beschränkt, aber die betroffenen und gefährdeten Naturschutzgebiete werden ignoriert. „Das ist ein großes Problem, weil wir davon ausgehen müssen, dass der Rückgang weiterhin ungebremst stattfindet.“

Laut Hörren gäbe es außerdem ein verschobenes Bild in der Gesellschaft bezüglich des Insektensterbens: „Aus Insektensterben wurde eine Bienensterbendiskussion gemacht“. Allerdings ginge es beim Bienensterben um die Tierhaltungsform, „der Imkerei, die eine Nutzungs- oder Ausbeutungssituation erzielt“. Das habe nichts mit wilden Insekten zu tun. Somit verlor die eigentliche gesamte biologische Vielfalt an Aufmerksamkeit. Hörren versucht daher unter anderem auf Instagram über Insektenbiodiversität und -sterben aufzuklären und Missverständnisse vorzubeugen.

Hörrens Prognose lautet: „Wir haben viele Verluste gehabt, haben jetzt eine niedrige Vielfalt und irgendwo pendelt sich das ein.“ Mit dem DINA-Projekt wurde belegt, dass sich die Messwerte seit der Studie 2017 nicht geändert haben und die Biomasse nach wie vor niedrig ist. Eine starke Insektenvielfalt ist Basis für ein funktionierendes Ökosystem. Insekten erhalten Systeme wie Wälder, Flüsse, Aas und Kot aufrecht und somit den Kreislauf der Natur.

In unserer Fotostrecke könnt ihr einen Einblick ins Archiv des Entomologischen Vereins Krefeld bekommen [Fotostrecke: Freya Pauluschke]:


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