Klimaprotest in Lützerath: Mehr als ein Symbol

Autorin: Selome Abdulaziz | Foto: Julika Ude

Im Januar 2023 begann der Energieversorgungskonzern RWE, das Dorf Lützerath zu räumen. Die letzten Häuser sollen abgerissen und mit dem Abbau der Kohle soll begonnen werden. Wieso Aktivist:innen den Abriss Lützeraths so kritisieren.

Schon im Oktober 2020 begann RWE, das Dorf Lützerath zu roden, um die Kohle unter dem Dorf abbaggern zu können. Seitdem sind Aktivist:innen in dem Ortsteil von Erkelenz aktiv, um den Abriss des Dorfes zu verhindern. Am 02. Januar 2023 bereitete die Polizei die Räumung vor, die für die zweite Kalenderwoche geplant war. Am 11. Januar begann die Polizei mit der Räumung und sperrte den Zugang zum besetzten Lützerath größtenteils ab. Aktivist:innen, die dort gehaust haben, wurden wegtransportiert. Neben Klimaaktivist:innen sprachen sich auch Wissenschaftler:innen von Scientists for Future gegen die Räumung aus und zweifelten ihre Notwendigkeit an. Auch die katholischen und evangelischen Kirchenverbände aus dem Rheinland forderten Aufschub für die Räumung. Nachdem die letzten beiden verbliebenen Aktivisten den Tunnel, den sie unter Lützerath besetzten, verlassen haben, gilt die Räumung seit Mittag des 16. Januar als abgeschlossen.

Dass eine breite Masse gegen den Abriss des Dorfes ist, zeigte die Großdemonstration gegen die Räumung am vergangenen Samstag. Im nahegelegenen Erkelenzer Stadtteil Keyenberg versammelten sich laut den Veranstalter:innen der Demo (unter anderem Greenpeace und BUND) trotz des regnerischen Wetters über 35.000 Menschen. Die Polizei spricht von etwa 15.000 Demonstrant:innen. Auch die Essener Schülerin Christine war vor Ort, um gegen die Räumung zu demonstrieren. Sie ist im Presseteam von Fridays For Future (FFF) Essen aktiv und zeigt sich beeindruckt von der Menschenmenge. „Es war wirklich überwältigend, ermutigend und richtig schön zu sehen, wie viele Menschen gekommen sind. Überall waren nicht enden wollende Menschenzüge zu sehen.“ Das sei ihr zufolge ein starkes Zeichen an die Politik, da deutlich über 30.000 Menschen Widerstand leisten und Klimagerechtigkeit einfordern. Die Stimmung bei der Demo beschreibt sie teils als gut. „Es wurden starke Reden gehalten und die anwesenden Bands haben die Menschen zum Tanzen gebracht.“ Andererseits berichtet sie von Polizeigewalt. „Als ein Teil des Demozugs nach Lützerath abgebogen ist, um in das Dorf reinzukommen, hat die Polizei unverhältnismäßig brutal reagiert und Tränengas und Schlagstöcke eingesetzt.“

Die Polizei weist Vorwürfe zurück

Auch Jule Pehnt, Pressesprecherin des Bundesverbands von FFF, ist in Lützerath vor Ort und extra aus Freiburg angereist. Sie nennt die von der Polizei ausgehende Gewalt „unverhältnismäßig und brutal“. Sie habe leichtfertig und unrechtmäßig Schlagstöcke und Pfefferspray eingesetzt. Vorwürfe der Polizei, Aktivist:innen hätten diese mit Steinen angegriffen, stimmen zum Teil, seien aber sehr oft verzerrt. „Die Machtverhältnisse liegen eindeutig bei der Polizei. Die überwiegende Mehrheit der Aktivist:innen steht friedlich und bestimmt da – das ist auch unser Grundsatz“, erzählt Pehnt. Auf Twitter berichten Journalist:innen wie Jörg Reichel, Geschäftsführer der journalistischen Gewerkschaft dju in Berlin-Brandenburg, von Einschränkungen der Pressefreiheit durch die Polizei und RWE.

Auch die Essener Ortsgruppe von Students For Future berichtet: „Die Polizei schränkt beinahe täglich die Pressefreiheit massiv ein und greift Medienvertreter:innen an.” Sascha Dominiczak, Pressesprecher der Polizei Aachen, entgegnet den Vorwürfen am 12. Januar schriftlich: „Die Polizei versucht mit allen Mitteln, die Lage kommunikativ zu lösen. Gewalt ist hier das letzte Mittel.” Das Medienkonzept sehe es vor, Medienschaffenden größtmöglichen Einblick in den Einsatz zu gewähren. Weiterhin schreibt er: „Die Polizei fährt sogar akkreditierte Journalist:innen mit einem Shuttleservice von der Akkreditierungsstelle in den Einsatzraum. Insofern weisen wir die Vorwürfe zurück. Sollte es dennoch konkrete Hinweise geben, werden wir diesen nachgehen.”

Da das Dorf geräumt werden sollte, machten sich Aktivist:innen allein durch den Aufenthalt in Lützerath strafbar. Warum sich einige für strafbare Protestformen wie Besetzung entscheiden, beantwortet Students For Future Essen: „Historisch gesehen wurden große soziale Veränderungen wie etwa das Frauenwahlrecht oder Menschenrechte für BIPOC in den USA nicht durch Leser:innenbriefe und Postkarten erreicht, sondern durch zivilen Ungehorsam erkämpft.” Jule Pehnt sieht die Situation ähnlich: „Wenn wir eine Regierung haben, die eigene Versprechen und Verträge bricht, haben wir die Verantwortung, als Zivilgesellschaft stärkeren Druck anzuwenden. Wieso sollten wir uns an staatliche Regeln halten, wenn die Bundesregierung es selbst nicht tut?” Sie betont dennoch, dass bei keiner Protestform Menschen gefährdet werden sollen und es friedlich bleiben sollte.

„Wird die Kohle unter Lützerath verbrannt, werden die 1,5 Grad überschritten”

Laut dem Wirtschaftsministerium NRW und RWE sei die Inanspruchnahme Lützeraths notwendig, um die Versorgungssicherheit in Deutschland garantieren zu können. Ein unabhängiges Gutachten, unter anderem vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) durchgeführt, kommt zu dem Schluss, dass die Kohle unter Lützerath für die Versorgungssicherheit Deutschlands nicht benötigt wird. Das bestärkt die Aktivist:innen von Students For Future Essen darin: „Lützerath muss bleiben und es kann bleiben.” 

In Lützerath geht es um mehr als ein Dorf. „Es geht darum, die Existenzgrundlage von Menschen zu schützen, die jetzt schon betroffen sind, und auch die zukünftiger Generationen”, betont Christine von FFF Essen. Sie erläutert, dass das Abbaggern und Verbrennen der Kohle unter Lützerath nicht mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar ist, das Deutschland mit dem Pariser Klimaabkommen unterzeichnet hat. „Wird die Menge Kohle unter Lützerath gefördert und verbrannt, werden die 1,5 Grad überschritten”, so Students For Future Essen.

Auch wenn die Räumung durch die Polizei und RWE erfolgreich war, geben sich die Aktivist:innen nicht geschlagen. Heute, am 17. Januar, ist ein zentraler Aktionstag des Bündnisses „Lützerath Unräumbar”. Unter anderem wird ein Kohlebagger im Tagebau Inden besetzt und Aktivist:innen blockieren Zufahrtswege von RWE in der Nähe des Tagebaus Garzweiler.

Es folgt eine Fotostrecke von der Großdemo am 14. Januar [Fotos: Julika Ude]


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