Im Büroregal: Was liest… Prof. Dr. Frank Erik Pointner? 

Artikel: Rabea Jung | Hier bekommt ihr einen Einblick in die Büroregale von Prof. Dr. Frank Erik Pointner. [Foto: Rabea Jung]

Habt ihr euch jemals während einer Sprechstunde gewünscht, die Büroregale eures Dozierenden genauer unter die Lupe nehmen zu können? Dieser Artikel ermöglicht es euch! Wir nehmen euch mit ins Büro von Frank Erik Pointner, Professor für anglistische Literaturwissenschaft und historische Linguistik am Campus Essen. 

Schon vor Beginn unseres Interviews öffnet Frank Pointner mit einem Statement: Gemeinsam mit einem Terminvorschlag sendet der Professor einen Link zu einem seiner YouTube-Videos, in dessen Intro er vor einer weißen Wand sitzend die fehlende Bücherwand hinter sich thematisiert. Als Ersatz für das obligatorische Muss gebildeter Akademiker:innen stellt er eine Kopie von Ulysses – „der zweitschwerste Roman des 20. Jahrhunderts“ von James Joyce – hinter sich. Auf Nachfrage, ob dieses Werk bewusst als Ersatz für eine komplette Bibliothek ausgewählt wurde, lacht Pointner: „Die Kopie hatte ich tatsächlich gerade zur Hand, aber natürlich mache ich mich ein wenig lustig darüber. Wenn es nicht gerade Thema ist, dass ich viele Bücher habe, vermeide ich es“. Die Bücherwand sei zu einem „Symbol der Gelehrsamkeit“ geworden: „Es gibt kaum Akademiker:innen, die sich seit Covid ohne Bücherwand zeigen. Da nehme ich mich selbst auch nicht raus – auf meinem TikTok-Account (@frankerikpointner) sitze ich selber hier im Büro vor meiner Bücherwand. Da geht es aber auch um meine Reihe English with Great Authors, da macht das Sinn. In gewisser Weise wird das auch erwartet von einem Professor, dass man sich vor eine Bücherwand setzt – das finde ich so naja“. 

„Bücher sind Trophäen, deswegen stehen sie auch überall.“ 

Die Bücherwand in Pointners Büro streckt sich tatsächlich über eine gesamte Wand. Sechs Regale sind gefüllt mit Büchern, aufgeteilt in fünf große Themenbereiche: Mittelalter, Renaissance, Romantik, Populärkultur und historische Linguistik. „Als Anglist kommt man natürlich nicht um Shakespeare rum. Ich habe sehr viel Shakespeare hier rumstehen, ohne geht es nicht“. Etwa ein Drittel der Sammlung besteht aus Referenzwerken, die in physischer Form mittlerweile „obsolet“ wären: „Jetzt sind wir mal ganz ehrlich – Vieles steht auch da, weil es verdammt gut aussieht“. Die Digitalisierung würde unser Verhältnis zu Büchern beeinflussen, sie bedeute „den Verlust der Trophäe Buch. Man kann die eigene Gelehrsamkeit nicht mehr so nach außen symbolisieren“. Vielleicht resultiere dies auch darin, „dass die Symbolik von Büchern durch die Digitalisierung wieder zunimmt“. Pointner nach hätten Bücher für viele „mehr die Eigenschaft einer Trophäe als die eines Mediums, was sie ja sind“ – Trophäe ist hier gemeint als „das habe ich geleistet, und ich kann es beweisen. Also wie ein Pokal beim Sport“. Eine Trophäe der Vergangenheit mitten in seinem Büro: das Oxford English Dictionary in physischer Form, normalerweise so groß wie ein Auto und daher heute beinahe ausschließlich online genutzt. Diese komprimierte Version des OED hat Pointner „damals für 800 Mark bekommen, die wurde mit Lupe geliefert. Für meine Doktorarbeit habe ich das noch gebraucht“. Obwohl es an solchen Schätzen in Pointners Büro nicht mangelt, sind die Wände leer: „Ich würde sehr gerne gescheite Bilder aufhängen. Die Dekoration ist leider beschränkt, weil wir das nicht dürfen.“ 

„Ich bin nicht bibliophil, ich brauche Bücher, um damit zu arbeiten.“ 

Auch Pointner war von den kürzlich erfolgten Einbrüchen am Campus Essen betroffen. Um seine Bücher macht er sich jedoch keine großen Sorgen. „Vielleicht werde ich meine Gitarre demnächst mit nach Hause nehmen. Ich muss sagen: Die Bücher, die ich hier stehen habe, denen würde ich nicht groß nachweinen, das hier ist Arbeitsmaterial“. Seine Kollektion an Graphic Novels und Comics, die er am meisten wertschätzt, bewahrt Pointner Zuhause auf. „Ich habe keine wertvollen Sachen hier stehen, ich bin nicht bibliophil. Mein Wohnzimmer ist 100 Prozent buchfrei. Leute kommen mich besuchen und sagen: ‚Ich dachte, du bist Literaturwissenschaftler!’“

„Man wird immer von seinen akademischen Lehrer:innen geprägt, fertig aus.“ 

Gerne redet Pointner über die Menschen, die ihn beeinflusst haben. Seine weit gefächerten Forschungsschwerpunkte hätte er sich nicht selbst ausgesucht: „Man wird immer von seinen akademischen Lehrer:innen geprägt, fertig aus. Bewusst Forschungsschwerpunkte wählen zu können, halte ich für einen Mythos. Ich hatte zwei verdammt gute akademische Lehrer, klar haben die beiden Männer mich am meisten geprägt im Leben“. Auch seine Tätigkeit als Mentor bedeutet Pointner viel: „Ich wurde von meinem ersten Doktoranden sehr geprägt, der heute Professor für Amerikanistik in Oldenburg ist. Martin Butler ist fett und den habe ich entdeckt und da bin ich auch stolz drauf“. Diese Betreuung war für Pointner „optimal: Ich habe ihm damals sein Doktorthema vorgeschlagen und er hat sich ein bisschen eingelesen und mich bei weitem überflügelt“. 

„Ich möchte die Person sehen, die sagt, dass sie ihre ganze Bibliothek gelesen hat – die Person existiert nicht.“

Aktuell liest Pointner Trust von Hernan Diaz. „Ich versuche immer, die Pulitzer Gewinner zu lesen. Wenn man zwei Kinder hat, dann liest man das, wovon man meint, am meisten Gewinn daraus schlagen zu können.“ Forschung mit Kindern sei schwierig – „Ich bin aktuell zeitlich sehr eingeschränkt, das muss ich ehrlich sagen. Ich bin spät Vater geworden und hatte meine Qualifikationen schon. Wenn ich sehe, was junge Kolleg:innen leisten, die ihre Qualifikationsschriften mit Familie erbracht haben, finde ich das bewundernswert. Wissenschaft und Familie ist ein Thema und es ist schwer, wenn man an der Erziehung seiner Kinder Anteil haben möchte“. Aktuell arbeitet Pointner an einem Aufsatz über Identitätskonstruktion und Konvivialität im Freizeitkontext sowie an verschiedenen Projekten zur Populärliteratur. „Als alternder Wissenschaftler habe ich mich immer mehr von der Kernanglistik abgewandt und bin zu populärwissenschaftlichen Themen gewandelt, weil ich denke, dass diese für unseren täglichen Umgang relevanter sind. Man kann jedes Thema auf die Relevanz für uns heute münzen, aber – um es plakativ zu machen – kann ich nicht den Erfolg der AfD anhand von Alexander Pope erklären, aber sicherlich aus sozialen Medien.“ 

„Es gibt Klassiker, um die man nicht herumkommt.“

Retrospektiv könnte Pointner „tonnenweise“ Bücher benennen, die er gerne früher gelesen hätte, Bücher, „die mehr im Kanon sind. Es gibt Klassiker, um die man nicht herumkommt. Ich bin Atheist, aber die Bibel als literaturwissenschaftliches Werk halte ich für wichtig, um unsere Kultur zu verstehen. Wir nehmen die Wichtigkeit des Textes hierfür nicht wichtig genug“. Studierenden empfiehlt Pointner, über unsere Menschheits- und Kulturgeschichte zu lesen, zum Beispiel Sapiens von Noah Harari – „das ist leicht verdaulich, man lernt eine Menge, kann überall mitreden“. Sein Ratschlag: „Befasst euch doch erstmal mit der Geschichte eurer Kultur, da sollten Leute sich mit auskennen.“ 


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