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Im Büroregal: Was liest… Prof. Dr. Corinna Schlicht?

Artikel: Rabea Jung | Hier bekommt ihr einen Einblick in die Büroregale von Prof. Dr. Corinna Schlicht. [Foto: Rabea Jung] 

Habt ihr euch jemals während einer Sprechstunde gewünscht, die Büroregale eures Dozierenden genauer unter die Lupe nehmen zu können? Diese Artikel-Reihe ermöglicht es euch! Diesmal nehmen wir euch mit ins Büro von Corinna Schlicht, Professorin für germanistische Literaturwissenschaft am Campus Essen.

Ihr Büro würde Prof. Dr. Corinna Schlicht vor allem als eins bezeichnen: „funktional“. Zahlreiche Lektüren, Nachschlagewerke und Ordner gefüllt mit Seminarunterlagen sind hier zu finden. Essenzielle Werke für ihre Forschung seien abgesehen von Standardwerken und Handbüchern „unterschiedlich, bei literarischen Texten kann ich das gar nicht sagen, weil das je nach Gegenstand wechselt“. Allerdings sei ein Roman im Schwerpunkt Geschlechterforschung, der „immer wieder aufkommt, Rousseaus Erziehungsroman Émile oder Über die Erziehung, weil er so diskursbestimmend ist was Geschlechterfragen angeht“. Die Dekoration in Schlichts Büro besteht größtenteils aus Geschenken von Student:innen, beispielsweise Dankeskarten von Studierenden von vergangenen Exkursionen oder auch eine eingerahmte Platte von Konstantin Wecker – ein Abschiedsgeschenk eines langjährigen studentischen Mitarbeiters. „Ansonsten hängen hier lesende Frauen“, so die Professorin zu ihrer Wanddekoration. 

„Ich glaube, die Forschungsschwerpunkte haben mich gewählt.“

„Von Wahl kann man da, denk ich, gar nicht sprechen“, so Schlicht zur Fokussierung ihrer Forschungsschwerpunkte. Die Professorin lehrt unter anderem zur Literatur des 18. bis 21. Jahrhunderts mit einem Fokus auf Romantik, zu den Themen Identitäts- und Geschlechternarrative, zu Literatur und Politik sowie Literatur und Film, aber auch zur Gegenwartsliteratur. „Ich bin ein politischer Mensch; Fragen, die im weitesten Sinne politisch sind, haben mich immer interessiert, auch während des Studiums. Mein zweites Fach war Philosophie, da gibt es eine große Schnittmenge“. Geboren im Jahr 1970 definiert Schlicht ihr Interesse an den Themen Identität und Geschlecht „insofern biografisch, da das viel emanzipiertere Zeiten waren als die der Generationen davor. Aber als Frau, wenn man einigermaßen offenen Auges ist, sammelt man einfach bestimmte Erfahrungen, die Männer nicht erfahren“. So zum Beispiel „offene oder versteckte Diskriminierung“, was sie irgendwann auf das Thema gebracht hat, was „ja auch systematisch erforscht wird – dass wir in einer patriarchalen Gesellschaft leben“. Schlicht war „schon immer eine leidenschaftliche Kinogängerin“, weshalb sich auch dieser Bereich irgendwann zu einem Forschungsschwerpunkt entwickelte. Ihre Forschungsinteressen setzt die Professorin regelmäßig in verschiedene Projekte für und mit Studierenden um; so könnt ihr beispielsweise im Rahmen des Lernprojekts Ruhrpodium an der Vortragsreihe „Was liest Du?“ teilnehmen. Die Veranstaltung, in der gemeinsam literarische und musikalische Beiträge von Studierenden und Lehrpersonen diskutiert werden, findet dieses Semester am 2.12. statt – ihr könnt entweder aktiv teilnehmen oder nur zuhören. Wer Interesse an zeitgenössischer Literatur hat, kann im Literarikon, einem „zeitgenössichen Literatur-Lexikon der Gegenwart“, in Einträgen verfasst von Studierenden neue Autor:innen entdecken. Ebenfalls unter das Ruhrpodium fällt die germanistische Theatergruppe Hörsaaltheater unter der Leitung von Eva Zitta, in der neue Teilnehmer:innen gerne gesehen sind – die nächste Premiere findet am 17.10. statt. 

„Lesen ist toll.“

Aktuell liest Schlicht viele Romane von Christoph Peters – momentan Der Sandkasten – der im nächsten Semester Poet in Residence an der Universität Duisburg Essen sein wird. Für dessen Nachfolger, André Kubiczek, könne sie Komm in den totgesagten Park und schau empfehlen – „ein ziemlich cooler Roman, witzig und ironisch“. Privat faszinieren Schlicht Autor:innen der Romantik, „besonders die Texte der Frauen“, zum Beispiel von Sophie Mereau, Karoline von Günderrode oder die Briefe von Rahel Varnhagen. „100 Jahre später, zur Jahrhundertwende“ zählen unter anderem „Arthur Schnitzler, aber auch Ricarda Huch und Thomas Bernhard, Katharina Hacker und Julia Franck“ zu ihren liebsten Schriftsteller:innen. „Das Problem ist die Auswahl, meine liebsten Autor:innen sind auch immer zeitabhängig“, so Schlicht. Momentan arbeitet die Professorin an zwei Sammelbänden „zu zwei Autorinnen der Gegenwart, zu denen ich im letzten Jahr auch Tagungen veranstaltet habe: Katharina Hacker, die auch an der Uni  zu Gast war im letzten September“, sowie an einem Sammelband zu Angelika Meier gemeinsam mit Antonia Eder, wozu im Juni eine Tagung stattfand. Generell denkt Schlicht nicht, „dass alle ein bestimmtes Buch gelesen haben müssen“, für spezifische Themenbereiche hat sie jedoch Empfehlungen: „Ich finde, wenn man etwas über Amerika wissen möchte, sollte man unbedingt Paul Auster und Siri Hustvedt lesen, egal was, es ist alles großartig“. Zum Thema Geschichte, spezifischer zur europäischen oder deutschen Geschichte, empfiehlt sie Ilse Aichinger, zum Thema Jugend in der DDR André Kubiczeck. 

„Hauptsache, man liest!“ 

Retrospektiv hat Schlicht nicht das Gefühl, dass sie bestimmte Texte gerne früher gelesen hätte, „vielleicht eher, dass es Texte gibt, die eigentlich andersrum erst später funktioniert haben oder die auch später nicht mehr funktionieren, wenn man die Zeit hat, Texte mehrfach zu lesen“. So könne man beispielsweise „Titel, für die man zwei, drei Anläufe gebraucht hat, manchmal früher nicht wertschätzen, wenn es nicht an der Zeit war“, ob intellektuell oder emotional. Geduld sei ein unterschätzter Faktor beim Lesen: „Oft höre ich von jüngeren Lesenden, dass es wichtig ist, schnell in Texte reinzukommen – mit ein bisschen mehr Geduld sollte oder müsste man sperrigeren Texten mal eine Chance geben“. Letztendlich sei dies jedoch „egal“, denn: „Hauptsache, man liest!“ In „fremde Welten einzutauchen“, sich „die Muße und Zeit, über Literatur mehr zu erfahren, als man schon weiß“ zu nehmen, und mehr „Perspektiven zu erfahren, die nicht die eigenen sind“ sei das relevante, so die Professorin. „Man kann das Fremde interessant finden, und am Ende kommt man immer wieder zu sich selbst zurück – das ist das Spannende.“

Rabea (25) ist seit September 2023 Redakteurin bei der ak[due]ll. Sie studiert Anglophone Studies und Germanistik an der UDE.