Fliegen oder nicht fliegen – (Warum) bleibt das die Frage?

Autorin: Julika Ude | Illustration: Matthias Schönbrenner

In Ländern rund ums Mittelmeer wüten die Flammen – trotzdem bleiben viele dabei: „Dieses eine Mal fliegen macht jetzt auch nichts mehr aus.“ Wir wissen, dass Flugzeuge dem Klima erheblich schaden. Und eigentlich wollen wir das Klima auch wirklich schützen! Was macht es uns so schwer, das Fliegen sein zu lassen? Und wie lange wird das noch so bleiben?

Im Juli 2023 folgt eine Horrormeldung der Tagesschau auf die nächste: Eine Hitzewelle sorgt im gesamten Mittelmeerraum für Brände, die nicht zuletzt Todesopfer fordern. Nur ein Symptom des menschengemachten Klimawandels, vor dem schon seit den 1960er Jahren gewarnt wird. Während die Klimakrise weiterhin besonders von den Industrienationen wie Deutschland vorangetrieben wird, leiden diejenigen stark unter ihren Folgen, die selbst wenig Emissionen produzieren.

Dieses Wissen lässt die Meldung zu Waldbränden, von denen „besonders die bei Deutschen beliebte Ferieninsel Rhodos“ betroffen ist, absurd wirken. Denn zu der Verschlimmerung der Klimakrise und so auch zu dem Wandel Griechenlands vom „Urlaubsparadies zum Albtraum“ trägt unter anderem eine Beschäftigung der Deutschen bei: das Reisen. Weltweit sorgt der Tourismussektor laut einer Studie eines Forscher:innenteams aus Sydney für rund 8 Prozent der verursachten globalen Treibhausgas-Emissionen. Die Tendenz ist steigend.

In Flughöhe ist ausgestoßenes CO₂ dreimal so schädlich

Laut der Studie hat der deutsche Tourismus von 189 untersuchten Ländern den drittgrößten CO₂-Fußabdruck weltweit. In Zahlen gesprochen sind das 329 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente. Nur Urlauber:innen aus den USA und China verursachen mehr Emissionen. Die Forscher:innen untersuchten neben klimaschädlichen Auswirkungen von Hotels und Transportmitteln auch die Auswirkungen der Lieferketten, die dem Tourismus zugrunde liegen. Aus den Ergebnissen geht hervor: Die größte Menge der verursachten Emissionen fallen bei der An- und Abreise der Urlauber:innen an.

Das deutsche Umweltbundesamt (UBA) konkretisiert, dass etwa 75 Prozent der durch die Tourismusbranche verursachten Emissionen durch Reiseverkehr entstehen. Davon etwas mehr als die Hälfte durch Flugreisen. Besonders ins Gewicht fällt neben den Emissionen, die durch den Kraftstoffverbrauch des Flugzeugs erzeugt werden, die Höhe, in der die schädlichen Abgase ausgestoßen werden. In der durchschnittlichen Flughöhe ist die Atmosphäre besonders sensibel. Neben den reinen CO₂-Emissionen schadet das Fliegen dem Klima deshalb über sogenannte Non-CO₂-Effekte dreimal stärker, als es dieselbe ausgestoßene CO₂-Menge am Boden täte. Würde man bei voller Verkehrsmittelauslastung nicht fliegen, sondern Bus, Zug oder PKW nutzen, könnte man rund ein Viertel der verursachten Emissionen einsparen.

Dass die Klimakrise stark voranschreitet, ist vielen Deutschen bewusst. Und, dass sie durch menschliches Handeln zunehmend verstärkt wird, laut Umfrage des UBA ebenfalls. Spätestens das Konzept der Flugscham macht auf die paradoxe Entscheidungsfindung aufmerksam: Trotz des Wissens und schlechten Gewissens um die Klimaschädlichkeit einer Handlung, führen wir sie dennoch aus. Laut einem Beitrag der Tagesschau bestätigt Tourismusforscher Torsten Kirstges diese Beobachtung: „Das Thema Flugscham und Nachhaltigkeit ist zwar immer wieder präsent, hat aber auf das praktische Verhalten kaum einen Einfluss.“

Mein Flug ist berechtigter als deiner

Eine Studie aus Reykjavik zeigt, dass Personen, die von der Klimaschädlichkeit der Flüge wissen, das Fliegen nicht unbedingt unterlassen. Fliegen ist laut den Forscher:innen so normalisiert, dass Menschen, die es nicht tun, gesellschaftlichem Druck ausgesetzt sind. Urlauber:innen steigen deshalb trotzdem ins Flugzeug, aber rechtfertigen sich dafür. Sie versuchen sich von den anderen Flugreisenden abzuheben, ihre Reisevorhaben zu individualisieren und zu begründen, um die sogenannte kognitive Dissonanz, das Unwohlsein, das durch die dem Wissen widerstrebenden Handlung ausgelöst wird, loszuwerden. So bewerten Proband:innen ihre eigene Entscheidung zu fliegen als gerechtfertigter, wenn sie keine gängigen Urlaubsziele besuchen oder wenn ihre Art des Urlaubs nicht dem Massentourismus entspricht.

Hannah Schmidt* studiert Geographie und Germanistik auf Lehramt. Auch ihr ist die klimaschädliche Wirkung des Fliegens bewusst. Genauso wie die eigene paradoxe Entscheidung, trotzdem zu fliegen: „Ich stehe Alternativen offen gegenüber, solange sie verhältnismäßig sind.“ Wenn die Flugalternative die Reise erheblich länger oder teurer macht, würde sie sich für den Flug entscheiden. Neue Kulturen und Orte zu entdecken sei eine Leidenschaft von ihr. Die möchte sie auf keinen Fall missen. „In dem Moment stelle ich meinen persönlichen Nutzen über den Klimaschutz“, gibt sie zu. „Ich bin mir der Konsequenzen bewusst, bin aber trotzdem Teil von diesem System, in dem Flüge häufig niedrigschwelliger sind, als andere Fortbewegungsmittel“. Das hat für die Studentin trotzdem Grenzen: „Innerhalb Deutschlands oder in benachbarte Länder kurz hinter die Grenze würde ich niemals fliegen.“ Dazu sei man zu gut per Zug angebunden. „Von einem Kurzstreckenflug würde mich doch die Flugscham abhalten“, so Schmidt.

Nicht entweder oder: Systemwandel UND individuelle Verhaltensänderung

Das System, wie Hannah es nennt, beeinflusst die Entscheidungen der in ihm lebenden Individuen. Aber Individuen können auch das System beeinflussen. Innerhalb der für alle einsehbaren Online-Vorlesungsreihe „Virtuelle Akademie Nachhaltigkeit“ der Universität Bremen lehren Professor:innen zu unterschiedlichen Nachhaltigkeitsbereichen. Die Vorlesung „Psychologie des Sozial-Ökologischen Wandels“ beschäftigt sich damit, welche Verflechtungen es zwischen dem individuellen Verhalten einer Person und den Rahmenbedingungen, den bereitgestellten Möglichkeiten in einer Gesellschaft gibt.

Prof. Dr. Sebastian Bamberg vom Lehrgebiet Psychologie geht in diesem Rahmen unter anderem darauf ein, warum individuelle Verhaltensänderung genauso wichtig ist wie die systemische Transformation der zur Verfügung stehenden Fortbewegungsmittel. Er fasst diese als ein „Nahtloses Netz“, als ein System zusammen, das sich historisch mit den vorhandenen Ressourcen entwickelt und durch Gewohnheit in einer Gesellschaft gefestigt hat. Ein Mensch dürfte allerdings, statt wie der:die durchschnittliche Deutsche 26, nur 8 Tonnen natürliche Ressourcen im Schnitt pro Jahr verbrauchen, um das Klima nicht zu gefährden. Da unsere Infrastruktur auf dieses Nutzen abgestimmt war, ist es derzeit selbst Haushalten mit dem niedrigsten Ressourcenverbrauch nicht möglich, unter 8 Tonnen Ressourcen im Jahr zu verbrauchen. Um das Klima nicht weiter zu belasten, muss eine individuelle Verhaltensänderung passieren. Solange die Infrastruktur es dem Individuum aber nicht ermöglicht, kann ein ausreichend nachhaltiges Leben nicht gelingen.

Prof. Dr. Claudia Brözel von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, lehrt Tourismus-Ökonomie und Marketing im Fachbereich Nachhaltige Wirtschaft. Sie ist ebenfalls Teil der Online-Vorlesungsreihe. Innerhalb ihrer Vorlesung „Tourismusmanagement im Spannungsfeld von Nachhaltigkeit“ geht sie unter anderem auf Herausforderungen der Tourismuswirtschaft im Spannungsfeld der Nachhaltigkeit ein und thematisiert, welchen Einfluss diese Branche auf die nachhaltige Entwicklung haben kann.

Prof. Dr. Claudia Brözel von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde lehrt Tourismus-Ökonomie und Marketing. 2019 gründete sie den weltweiten Wettbewerb „Social Entrepreneurship in Tourism”. [Foto: Juliane Flöting]

Wo stehen wir jetzt?

Im Gespräch mit der ak[due]ll legt Prof. Brözel dar, dass sie derzeit auf der Angebotsseite der Unternehmen, genauso wie auf der Nachfrageseite, einen Transformationsprozess vernehme: „In Deutschland sind Flugalternativen wie die Nachtzüge wieder im Kommen.“ Dementsprechend gebe es vermehrt Apps, die alternative Transportmittel zu Flügen anzeigen. „Bei Google Flights werden mittlerweile auch die Emissionen eines Fluges aufgeführt, das fördert Awareness.“ Sie nehme außerdem wahr, dass die jüngeren Generationen eine veränderte Reisekultur entwickeln: „Sie sehen das Reisen nicht mehr unbedingt als zu erfüllendes Grundbedürfnis, wie vorherige Generationen.” Es stehe immer mehr im Vordergrund auch etwas ins Reiseland zurückgeben, zum Beispiel durchs Arbeiten bei Work and Travel. „Nach wie vor gibt es natürlich Angebote, die „kurz mal schnell weg“ heißen und eine Woche nach Mallorca beinhalten“, merkt die Professorin an. Sie kann sich gut vorstellen, dass gerade die nachwachsenden Generationen solche Angebote in Zukunft nicht mehr attraktiv finden und sie deshalb mit der Zeit verschwinden werden.

Aber eine Transformation des Tourismussektors passiere nicht in Kürze. „Ich glaube, dass es am Ende des Tages darum geht, dass die Unternehmen sich anders positionieren.“ Derzeit werde sich viel vernetzt. Informationen und Tipps zu nachhaltigen Entwicklungen auf Unternehmerseite würden ausgetauscht und umgesetzt. Hier sei es wichtig, neben der Nachhaltigkeit als Ressourceneffizienz, auch die soziale Nachhaltigkeit, wie faire Bezahlung und Arbeitsbedingungen, mitzudenken. Um Anreize für systemische Nachhaltigkeit zu setzen, hat Prof. Brözel 2019 den weltweiten Wettbewerb „Social Entrepreneurship in Tourism“ ins Leben gerufen. Dort können sich große und kleine Initiativen bewerben, die durch ihr Unternehmen soziale und ökologische Nachhaltigkeit umsetzen wollen und „IMPACT vor Profit” setzen. Der Wettbewerb dient besonders der Förderung von Nachhaltigkeit auf der Stakeholderseite. Hat man kein eigenes Unternehmen, gibt es die Möglichkeit bei dem Träger des Wettbewerbs Socialpreneurs.berlin als Privatperson mitzuwirken. „Wir betreuen Masterarbeiten, stellen Werkstudent:innen ein oder vergeben Praktika – und freuen uns sehr über Unterstützung“, betont Brözel. Unabhängig vom Wettbewerb könne man als Individuum im Alltag positive Anreize setzen, indem man sich gut über nachhaltig beworbene Angebote informiert und bei Unklarheiten oder Intransparenz bei dem Unternehmen nachfragt. Generell sei laut der Professorin zu erkennen: „Es passiert gerade sehr viel im Tourismus und in der Gesellschaft. Wir stecken bereits mitten in einem Veränderungsprozess.”

Besonders gefreut habe sie kürzlich ein Gespräch mit zwei Müttern, die samt Kindern mit dem Zug nach Schweden fahren wollen. Die beiden verdeutlichen den gesellschaftlichen Umschwung: „Sie sagten, dass sie angefangen haben, die Zeit der Anreise zu ihrer Urlaubserfahrung dazuzuzählen. Man kann auch im Zug eine schöne Zeit zusammen haben, neue Leute kennenlernen, sich ins Bordbistro setzen und viel reden.“ Die Reisebranche habe Konsument:innen in der Vergangenheit dazu erzogen, die Anreise als unbequem zu empfinden. So musste diese so schnell wie möglich vorbei sein. „Auch das ändert sich derzeit sehr stark. Wenn man umdenkt, kann auch eine lange Bahnfahrt toll sein.“ 

*Name von der Redaktion geändert


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