Die Angst, aufzufliegen: Imposter-Syndrom

Artikel: Rabea Jung | Das Imposter-Syndrom sorgt dafür, dass sich Betroffene unzulänglich fühlen, obwohl dafür kein Grund besteht. [Foto: Rabea Jung ]

Viele Menschen haben hin und wieder das Gefühl, einfach nicht gut genug zu sein. Wenn die Selbsteinschätzung nicht mit den gesammelten Erfolgen übereinstimmt, spricht man auch vom Imposter-Syndrom. Wie lebt es sich, wenn man sich regelmäßig wie ein:e Hochstapler:in fühlt? Wir haben mit einer betroffenen Person gesprochen. 

Vielleicht kennt ihr es – ihr habt eine Hausarbeit abgegeben und fühlt euch vor Angst wie gelähmt, weil ihr denkt, dass ihr dieses Mal nicht damit durchkommen werdet, gar nichts zu können. In der Realität habt ihr aber gute Arbeit geleistet und hattet keinen Grund dafür, euch zu sorgen. Das ist euch auf einer Ebene auch bewusst, die Sorgen aber bleiben. Ähnliche Szenarien dürften Menschen, die am Imposter-Syndrom leiden, bekannt vorkommen. 

Zuerst dokumentiert wurde das Syndrom im Jahr 1978 von Pauline R. Clance und Suzanne A. Imes, und wurde hier als „inability to attribute success to one’s own efforts, instead attributing this to luck or transient qualities“ (Clance, Imes 1978, in Gottlieb 2023: 1008) beschrieben. Es geht also darum, das Gefühl zu haben, nicht dazu zu gehören, und die eigenen Leistungen nicht adäquat einordnen und anerkennen zu können. Betroffene fühlen sich ständig der Gefahr ausgesetzt, aufzufliegen – als Imposter entlarvt zu werden – weil sie davon überzeugt sind, den eigenen Erfolg eigentlich gar nicht verdient zu haben. Im Anschluss folgt ein Interview mit einer Person, die vom Imposter-Syndrom betroffen ist.

ak[due]ll: Wann hast du zum ersten Mal gemerkt, dass du am Imposter-Syndrom leidest? 

anonym: Die Frage hat mir erstmal Imposter-Syndrom gegeben, ob ich überhaupt stark genug darunter „leide“, um mich als davon betroffen zu verstehen. Es gab keinen konkreten Moment, an dem ich gesagt habe „Oh, das habe ich“, sondern es war eher ein schleichender Prozess. Ich habe auf Twitter davon gelesen und mich in einigen Beiträgen wiedererkannt, und dadurch eine Bezeichnung für etwas gelernt, das ich vorher nicht so präzise benennen konnte, sondern eher als abstruses Gefühl ständig da ist.

ak[due]ll: Wie zeigt sich das Imposter-Syndrom bei dir? 

anonym: Ich habe oft Schwierigkeiten, die Qualität meiner Leistungen realistisch einzuschätzen. Meine Prüfungen im Studium wurden meist sehr gut benotet und ich hatte eine lange Zeit große Schwierigkeiten damit, anzuerkennen, dass es tatsächlich eine Reflexion meiner Kompetenzen ist, sondern es häufig auf Glück geschoben. 

Aktuell ist es zum Beispiel so, dass ich eine Hausarbeit schreiben sollte und dabei große Schwierigkeiten habe, weil ich mich nicht qualifiziert genug fühle, etwa sinnvolles zum Thema beizutragen. Deswegen rutsche ich in eine Gedankenspirale ab, dass es eine schlechte Note wird – falls ich es überhaupt schaffe, 15 Seiten damit zu füllen – die mich davon abhält, überhaupt mit der Arbeit anzufangen. 

Zusätzlich arbeite ich schon länger als Hilfskraft in der Forschung, forsche selbst und nehme dementsprechend an Vorträgen und wissenschaftlichen Konferenzen teil. Ich bin dabei gut betreut und mache das lange genug, um diese Bereiche relativ sicher navigieren zu können, obwohl diese Art der wissenschaftlichen Arbeit frühestens ab der Promotion vorgesehen ist. Ich bin häufig tatsächlich der Imposter im Raum – zumindest wenn es nach Qualifikationen auf Papier oder Status des Berufs geht – und erlebe dabei je nach Situation einerseits Bestärkung aber andererseits auch negative Reaktionen. Manche Menschen fangen an, mich weniger ernst zu nehmen wenn „herauskommt“, dass ich noch gar nicht promoviere. Gerade die negativen Erfahrungen befeuern dann die Gefühle der Unzulänglichkeit natürlich noch.

ak[due]ll: Kannst du Beispiele nennen, wie das Imposter-Syndrom dein Leben beeinträchtigt? 

anonym: Dadurch, dass ich den Begriff kenne und damit meine Gedanken in eine mentale Box sortieren kann, finde ich meist einen für mich funktionierenden Umgang mit der Situation und kann meinen „inner critic“ besänftigen bis ignorieren. Natürlich ist es für mich oft ermüdend, mir konstant Gedanken zu machen, wie andere Menschen mich und meine Leistungen bewerten. Aber das Wissen, dass meine Gedanken zwar für mich real, deswegen trotzdem noch lange nicht wahr sein müssen, hilft mir, andere Perspektiven einzunehmen. Trotzdem habe ich Momente, in denen ich abends nicht einschlafen kann, weil ich denke, dass ich einen großen Fehler auf der Arbeit gemacht habe, mich alle Menschen für inkompetent halten werden und deswegen die Welt untergehen wird, obwohl es eigentlich nur um eine Formulierung in einer E-Mail ging. 

ak[due]ll: Beeinträchtigt das Syndrom deine Beziehungen? 

anonym: Jein. Ich habe viel mit einem akademischen Umfeld zu tun und gefühlt hat jeder das Imposter-Syndrom – aber ich umgebe mich auch wenn möglich bewusst mit Menschen, denen es ebenfalls ein Begriff ist, weil es sonst für mich als chronischen Overthinker ziemlich schwierig werden kann. Es kann gut sein, dass ich die Unterstützung meiner Freund:innen und Kolleg:innen in Anspruch nehmen muss, weil ich die Rückversicherung brauche, dass ich nicht gerade das gesamte Gebäude angezündet habe (metaphorisch). Das Gute dabei ist aber, dass die Aufgaben, die für mich dann komplett unmachbar erscheinen, eigentlich wirklich nicht schwierig sind und damit keine große Belastung für die Menschen um mich herum darstellen. Ich habe mit der Zeit gelernt, lieber um diese Hilfe zu bitten, aber auch klare Grenzen mit Freund:innen zu vereinbaren bzw. in der Kommunikation transparent zu sein („Hallo, kannst du bitte kurz über eine Mail lesen? Ich bin gerade sehr unsicher, was ich wie schreiben kann“). Das ist mir wichtig, weil ich auch schon selbst erlebt habe, dass ein Gefühl des ständigen nicht-gut-genug-seins für Beziehungen belastend sein kann. 

„Ich bin häufig tatsächlich der Imposter im Raum […].“

Während das Imposter-Syndrom also oft dafür sorgt, dass man sich nicht zugehörig fühlt, obwohl man oft mehr als qualifiziert ist, einen gewissen Space einzunehmen – besonders im akademischen Kontext –  ist es wichtig zu benennen, dass vielen Menschen von vornherein vermittelt wird, dass sie nicht dazu gehören. Breeze, Addison und Taylor (2022) betonen in ihrer Forschung beispielsweise den Aspekt von Whiteness in Academia und dass Imposterism von Minoritäten nicht nur gefühlt, sondern auch aktiv an sie vermittelt wird (vgl. ebd.). 

  • Addison, Michelle, Breeze, Maddie, Taylor, Ivette (Hrsg.) (2022): The Palgrave Handbook of Imposter Syndrome in Higher Education. London: Palgrave Macmillan. 
  • Clance PR, Imes SA. The imposter phenomenon in high achieving women: dynamics and therapeutic intervention. Psychotherapy. 1978; 15(3):241-247.
  • Gottlieb M. When I say … imposter syndrome. Med Educ. 2023;57(11):1008‐1009.

Beitrag veröffentlicht

in

von