Das Selbstbestimmungs-gesetz erklärt

Autorin: Selome Abdulaziz | Mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz sollen queere Menschen ihren Geschlechtseintrag bald einfacher ändern können. [Illustration: Radunkel]

In den Medien wurde das Selbstbestimmungsgesetz diesen Sommer viel diskutiert. Aber was beinhaltet das Gesetz eigentlich? Und warum soll es eingeführt werden? Diese und weitere Fragen klären wir in unserem Oktober Schwerpunkt.

Das Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag, umgangssprachlich Selbstbestimmungsgesetz genannt, soll das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) (heutzutage spricht man von trans oder transgeschlechtlich, da es nicht um eine sexuelle Orientierung, sondern um Geschlechtsidentität geht) aus dem Jahre 1980 ersetzen. Sowohl das TSG als auch das Selbstbestimmungsgesetz regeln, wie eine trans Person ihren Geschlechtseintrag und den Vornamen ändern kann. 

Geschlechtsangleichende medizinische Maßnahmen sind kein Teil des Selbstbestimmungsgesetzes. Das TSG sieht vor, dass zur Änderung des Geschlechtseintrags zwei Gutachten von Sachverständigen und eine gerichtliche Entscheidung notwendig sind, die beurteilen sollen, ob die Person ihre Geschlechtsidentität nicht mehr ändern wird. Das TSG-Verfahren wurde oft kritisiert, da sehr persönliche Fragen, beispielsweise zu sexuellen Präferenzen und der Kindheit, abgefragt werden und es zeit- und kostenintensiv ist. Das Verfahren kostet im Durchschnitt 1.868 Euro und dauert zwischen fünf und achtzehn Monaten, durchschnittlich neun. Die Kosten müssen die Personen in der Regel selbst zahlen, sie können allerdings Verfahrenskostenhilfe beantragen.

Der lange Weg bis zum Selbstbestimmungsgesetz

Von Expert:innen wurde außerdem kritisiert, dass die „Geschlechtsidentität eines Menschen ohnehin nicht fremdbegutachtet werden könne, die Begutachtung könne insofern nur wiedergeben, was der Mensch über sich selbst berichtet“. Das Bundesverfassungsgericht hat bisher viele der Vorschriften des TSG für verfassungswidrig erklärt, beispielsweise die Vorschrift, dass Antragsteller:innen sich vor der Änderung des Geschlechtseintrags einer Sterilisation und einer geschlechtsangleichenden Operation unterziehen müssen. Auch die ursprüngliche Altersgrenze von 25 Jahren wurde 1982 für die Personenstandsänderung und 1993 für die Änderung des Vornamens für verfassungswidrig erklärt. Den Antrag dürfen seitdem auch Kinder und Jugendliche stellen.

Die Ampelkoalition versprach im Koalitionsvertrag von November 2021: „Wir werden das Transsexuellengesetz abschaffen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzen.“ Außerdem soll ein Entschädigungsfond für trans und inter Personen eingerichtet werden, die durch frühere Gesetzgebung von Körperverletzungen oder Zwangsscheidungen betroffen sind. Eine frühere Vorschrift des TSG besagte, dass Antragsteller:innen sich scheiden lassen mussten. 2008 wurde der Paragraph für verfassungswidrig erklärt und 2009 gestrichen.

Die Geschichte des Selbstbestimmungsgesetzes führt aber noch weiter zurück. 2014 wurde eine interministerielle Arbeitsgruppe zur Situation inter- und transgeschlechtlicher Menschen einberufen, die gemeinsam mit Interessenverbänden Gesetzesänderungen beraten sollte. Seitdem legten 2017 die Grünen-Fraktion, 2019 das Bundesinnenministerium und das Bundesjustizministerium sowie im Juni 2020 die Oppositionsfraktionen der Grünen und der FDP jeweils einen Gesetzentwurf zur geschlechtlichen Selbstbestimmung im Bundestag vor, die alle abgelehnt wurden. 2019 kritisierten Fachverbände einstimmig den Entwurf aufgrund der vorhergesehenen Ungleichbehandlung von inter und trans Personen, 2020 stimmte die Große Koalition aus CDU und SPD gegen die Anträge aus der Opposition.

Im Mai 2023 brachten das Bundesjustiz- und Bundesfamilienministerium schließlich einen Gesetzesentwurf zur Abschaffung des TSG ein. Queere Fachverbände sollten Feedback dazu einreichen, das allerdings nicht berücksichtigt wurde. Das Bundesinnenministerium legte Einspruch gegen den Entwurf ein, da Strafverfolgungsbehörden Zugriff auf frühere Vornamen und Geschlechtseinträge haben müssten, um zu vermeiden, dass Kriminelle untertauchen. Nach einigen Änderungen billigte das Bundeskabinett am 23. August den neuen Entwurf. Dieser soll, wenn er vom Bundestag akzeptiert wird, am 01. November 2024 in Kraft treten. 

Was steckt im Selbstbestimmungsgesetz?

Nach dem Selbstbestimmungsgesetz muss eine Person, die ihren Geschlechtseintrag und ihren Vornamen ändern möchte, diesen Wunsch schriftlich oder mündlich beim Standesamt melden. Nach einer Frist von drei Monaten muss die Person dann eine Eigenversicherung abgeben, die beinhaltet, dass der gewählte Geschlechtseintrag (männlich, weiblich oder divers) beziehungsweise die Streichung des Geschlechtseintrags der Geschlechtsidentität am besten entspricht. Außerdem muss die Person versichern, dass sie sich der Tragweite der Folgen bewusst ist. Der gewählte Vorname muss laut dem Gesetz dem neuen Geschlechtseintrag entsprechen. Entspricht der bisher von der Person geführte Vorname dem gewählten Geschlechtseintrag, kann der bisherige Vorname beibehalten werden. Nach der Änderung gilt eine Sperrfrist von einem Jahr vor einer erneuten Änderung. Möchte die Person Dokumente wie die Geburtsurkunde oder Zeugnisse mit dem neu gewählten Namen und Geschlechtseintrag beantragen, muss sie die Dokumentenberichtigung selbst zahlen.

Bei Minderjährigen bis 14 Jahren können nur die Erziehungsberechtigten die Erklärung zur Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen abgeben. Minderjährige zwischen 14 und 18 Jahren geben die Erklärung selbst ab, die Erziehungsberechtigten müssen jedoch zustimmen. Stimmen diese nicht zu, „so ersetzt das Familiengericht die Zustimmung, wenn die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen dem Kindeswohl nicht widerspricht“, heißt es im Gesetzestext. 

Das Offenbarungsverbot, das bereits im TSG existierte, wurde einerseits verschärft, gleichzeitig gibt es nun aber auch Ausnahmen. Das Verbot regelt, dass frühere Geschlechtseinträge nicht einsehbar sind, um ein Zwangs-Outing zu vermeiden. Wer dagegen verstößt und die Geschlechtszugehörigkeit oder einen Vornamen offenbart, kann mit einer Geldbuße von bis zu 10.000 Euro geahndet werden. Zu den Änderungen im Offenbarungsverbot gehört, dass persönliche Daten wie der Familienname, bisherige und geänderte Vornamen, die Anschrift und der bisherige und der geänderte Geschlechtseintrag automatisiert an zehn Behörden, darunter das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei, weitergegeben werden. Sofern die Behörden noch keine Daten der Person bei sich haben, müssen die übermittelten Daten sofort gelöscht werden.

„Geist des Misstrauens“

Sven Lehmann, der Beauftragte der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, kritisierte am ursprünglichen Entwurf im Mai: „Einige Passagen im Normtext sowie vor allem in der Begründung, atmen unnötigerweise den Geist des Misstrauens und lösen bei denen, die es betrifft, Ängste aus.“ Besonders kritisiert er § 6 Abs. 2, der besagte: „Betreffend den Zugang zu Einrichtungen und Räumen sowie die Teilnahme an Veranstaltungen bleiben das Hausrecht des jeweiligen Eigentümers oder Besitzers und das Recht juristischer Personen, ihre Angelegenheiten durch Satzung zu regeln, unberührt.“ Dieser Absatz wurde in den aktuellen Gesetzentwurf übernommen, neu ist lediglich der Zusatz „die Vertragsfreiheit und das Hausrecht […]“. Lehmann forderte die Streichung des Absatzes, da suggeriert würde, trans, inter und nicht-binären Personen könne der Zutritt zu bestimmten Räumen, wie etwa geschlechtsspezifischen Saunen oder Toiletten, verwehrt werden. Dies ist ihm zufolge aber nicht möglich, da der Ausschluss dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) widerspräche. Der Absatz führe zu einer Entmutigung queerer Menschen, sich gegen Diskriminierung zur Wehr zu setzen.

Laut Lehmann ziele der Absatz darauf ab, zu vermeiden, dass Menschen, die nicht nicht-binär oder trans- oder intergeschlechtlich sind, ihren Geschlechtseintrag ändern, um Zugang zu Schutzräumen wie Frauensaunen zu erlangen. In der Begründung des Gesetzentwurfs (S. 25), zitiert die Bundesregierung eine 2022 durchgeführte Befragung, laut der es in keiner der europäischen Staaten, die bereits ein ähnliches Gesetz haben, Änderungen mit betrügerischer oder verbrecherischer Absicht gab. Die Gefahr von Missbrauch wird also von der Regierung selbst als gering eingeschätzt, dennoch wecke der Entwurf Misstrauen, so Lehmann.

Transfeindliche Narrative im Gesetz

Mika Schäfer arbeitet für die Landeskoordination Trans* NRW, die vom Land NRW gefördert wird. Schäfer nutzt die Pronomen er*sie/ihm*ihr. Gemeinsam mit Kolleg:innen berät er*sie Fachkräfte zu spezifischen Bedarfen von trans und nicht-binären Menschen und unterstützt lokale trans Gruppen, Initiativen und Beratungsstellen in NRW. Ähnlich wie Lehmann sieht er*sie die Gefahr, dass „allein die Angst vor Diskriminierung neue Hürden für die Teilhabe von trans*_nicht-binären Menschen an entsprechenden Angeboten darstellen.“ Außerdem betont Schäfer, dass trans Menschen, besonders trans Frauen, übermäßig von Diskriminierung betroffen seien und von Frauenschutzräumen häufig ausgeschlossen würden.

Das Selbstbestimmungsgesetz schätzt Schäfer zunächst als eine Verbesserung im Vergleich zum TSG ein: „Der Gesetzesentwurf enthält meiner Einschätzung nach dadurch, dass er die TSG-Regelungen zum Gerichtsverfahren und zur Gutachtenpflicht durch eine Erklärung beim Standesamt ablöst, im Kern eine konkrete Verbesserung insbesondere für trans*_nicht-binäre Menschen, die ihren Vornamen und/oder Personenstand ändern lassen möchten.“ Allerdings kritisiert er*sie, dass Minderjährige und Menschen mit Betreuer:in dieses Recht nur eingeschränkt nutzen dürfen. Vielen Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit sei der Zugang ganz verwehrt. Insbesondere für inter Personen sei das Selbstbestimmungsgesetz eine Verschlechterung. Für inter Personen war bisher § 45b des Personenstandsgesetzes verantwortlich, das weder eine Anmeldefrist oder einjährige Warteperiode vorsah. „Es kann zwar argumentiert werden, dass es andererseits auch für inter* Menschen eine Verbesserung gibt, da keine medizinische Bescheinigung mehr vorgelegt werden muss – aber die Verschlechterung bleibt und insgesamt bekommen inter* Perspektiven auf das Selbstbestimmungsgesetz leider zurzeit wenig Raum“, führt Schäfer weiter aus.Laut Schäfer finden sich im Gesetzentwurf viele Regelungen, die auf transfeindlichen Narrativen von TERFs (transexclusionary radical feminist) und anderen transfeindlichen Akteur:innen basieren. Er*sie benennt das transfeindliche Narrativ, „trans Menschen und insbesondere Jugendliche könnten „übereilte Entscheidungen treffen“, und die Sorge vor dem Ausnutzen des Gesetzes durch cis Männer, wobei aus transfeindlicher Perspektive trans Frauen häufig unterstellt wird „eigentlich cis Männer zu sein“. Damit trans, nicht-binäre und inter Menschen sicher leben können, braucht es laut Schäfer ein Selbstbestimmungsgesetz ohne Einschränkungen der Selbstbestimmung sowie eine menschen- und trans-freundliche Asylpolitik. Ihm*ihr zufolge braucht es außerdem mehr Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit, Förderung von Empowermenträumen sowie eine Reform des Abstammungsrechts.


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