Campuserlebnis: Mein Dozent, der Geist

Bei manchen Dozierenden ist es ein Wunder, wenn sie sich nach wochenlangem Warten endlich dazu erbarmen, eine Mail zu beantworten – meist so formlos und kryptisch wie möglich. Doch was, wenn nie eine Antwort kommt und der:die Dozierende:r wie vom Erdboden verschluckt scheint? 

Ein Campuserlebnis | Foto: unsplash

Mein Studium war dem Ende nah: Alle Module waren erledigt, alle Hausarbeiten und Klausuren geschrieben, jede erforderliche Teilleistung abgehakt. Nun stand nur noch die Abschlussarbeit bevor. Nach einigem Hin und Her hatte ich mich für ein grobes Themenfeld entschieden und schrieb kurzerhand dem einzigen Dozenten meines Fachbereichs, der für das Thema in Frage kam. Dass die ersten zwei Wochen keine Antwort zurückkam, überraschte mich nicht. Während meiner Zeit an der Uni hatte ich feststellen müssen, dass die Kommunikation mit Profs und Dozent:innen häufig zu einer Geduldsprobe werden kann. Gerade der Dozent, auf den ich all meine Hoffnung setzte, war dafür bekannt, wohl nur alle Jubeljahre mal in sein E-Mail-Postfach zu schauen. 

Daher war ich nicht sofort entmutigt. Doch als auch auf die zweite und dritte Mail keine Antwort folgte und aus Wochen Monate wurden, begann ich langsam unruhig zu werden. In seinem Büro war er nicht anzutreffen, eine feste Sprechstunde gab es nicht und die Telefonnummer auf seiner Seite führte bloß ins Sekretariat, das mir schulterzuckend erklärte, sie wüssten auch nicht, wo er sich momentan herumtreibe – der beste Weg ihn zu erreichen sei per Mail. Ich bemühte mich nicht, sie in die kafkaeske Ironie dieser Situation einzuweihen – das hätte mich wohl nur noch weiter in den Strudel der Aussichtslosigkeit gezogen.

Stattdessen klammerte ich mich an den letzten Strohhalm und versuchte, ihn nach seinen Seminaren abzufangen, die ich dem Vorlesungsverzeichnis entnahm. Wie es das Universum wollte, war ich jede Woche zu den Seminarzeiten verhindert: Entweder musste ich arbeiten, hatte selbst eine Veranstaltung oder war krank. Als ich es dann endlich schaffte und mit meinem Exposé in der Hand zum Seminar marschierte, stand ich wiederholt vor einem leeren Raum. War das Seminar abgesagt worden? Hatten sie den Raum gewechselt? Gab es meinen Dozenten überhaupt? 

Während ich also meinen eigenen Verstand und die Ausmaße meiner Einbildungskraft hinterfragte (hatte ich damals wirklich eine Prüfung bei ihm gehabt oder nur eine leere Wand mit meinem Vortrag behelligt?), irrte ich durch die Gänge der Uni wie durch ein Labyrinth und ging vor seinem Büro auf und ab – doch ich traf ihn nie an. Ich musste mich mit der Tatsache abfinden, dass er unauffindbar war. Ein Geist, der eine ganz besonders quälende Art von Spuk praktizierte, und dessen Ungreifbarkeit mich bis heute verfolgt. Mein staubiges Exposé liegt wahrscheinlich noch immer unangetastet in seinem Fach. Nicht mehr lange, dann spuke auch ich dort herum. 


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