Aus dem Leben eines Prokrastinateurs 

Ein Kommentar von Volker Strauß | In den Insta-Abyss starren statt auf die Bachelorarbeit ist leider ein bisschen zu einfach. [Illustration: Vincent Will]

Ich schreibe gerade an meiner Bachelorarbeit. Also eigentlich auch nicht. Ich mache alles andere außer das. Also was tun? Ich teste eine Woche lang die Lernstrategien meiner Freund:innen, um den Prokrastinationscylce zu durchbrechen.

Montag, 10.06. – Diese nervige To-do-Liste

New Week, New Me – oder so. Meine Woche beginnt mit dem Erstellen einer To-do-Liste. Das macht überhaupt keinen Spaß, aber das Gefühl, Items von einer Liste zu streichen macht viel Spaß. Das hat zur Folge, dass ich nachträglich noch Sachen eintrage, nur um sie genüsslich durchzustreichen. Eine To-Do-Liste schreiben konnte ich als Erstes von der Liste streichen.

Dienstag, 11.06. – Ablenkung

Spontan habe ich mich entschieden, meine Großeltern zu besuchen, Oma braucht nämlich Hilfe beim Rasenmähen. Und die haben auch WLAN da auf dem Dorf. Da kann ich mich bestimmt besser konzentrieren und bin viel weniger abgelenkt als in Essen.

Meine Oma hat, wie das so typisch ist für eine gute Oma, sehr viel guten Kuchen und sehr viel gutes Essen vorbereitet. Und Gartenarbeit hat sie auch genug. So eine Ablenkung tut gut, nach vier Stunden Löcher buddeln (meine Oma hat wohl Leichen im Keller), bin ich aber so kaputt, dass ich nur noch mit Opa auf dem Sofa liege und Aktenzeichen XY läuft. Irgendwie bin ich jetzt sehr unzufrieden.

Meine Schwester schreibt mir, dass das doch gar nicht so schlimm sei. Zwar würde ich jetzt nichts für die Bachelorarbeit schaffen, es würde aber auch nichts bringen, es zu dolle zu versuchen und dann einfach nichts zu schaffen und sich dabei dann auch noch schlecht zu fühlen.

Mittwoch, 12.06. – Pomodoro Technik

Eine Freundin schreibt mir, ich solle doch mal die Pomodoro Technik ausprobieren. Ich weiß auch nicht genau, was das mit Tomaten zu tun hat, nur dass der Erfinder Italiener ist. Das Prinzip ist simpel: 25-minütige Arbeitseinheiten, gefolgt von einer fünfminütigen Pause (Drei Lernmethoden, die euch während des Semesters helfen, findet ihr hier). Bis ich mir das richtige Tool dafür heruntergeladen und installiert habe, vergeht eine knappe halbe Stunde. Zumindest tat es schon einmal gut, diesen Punkt von meiner Liste zu streichen. Aber jetzt kann ich den Timer wenigstens über einen Shortcut starten und ein Männchen taucht auf, wenn ich 25 Minuten konzentriert gearbeitet habe.

Das mit den 25 Minuten funktioniert ungefähr so lange ganz gut, bis ich anfange zu coden. Dann hab ich einfach keine Lust, fünf Minuten Pause zu machen und mich dann immer wieder mindestens fünf von 25 Minuten in mein Projekt einarbeiten zu müssen. Das führt dann dazu, dass ich diesen nervigen Timer ausstelle und einfach frustriert auf den Bildschirm starre.

Donnerstag, 13.06. – Mindset

So ganz genau wissen meine Freund:innen auch nicht, wie das mit Motivation funktioniert. [Screenshot: Volker Strauß]

Vielleicht ist es auch eine Mindset-Sache. Das schreibt mir zumindest eine Kommilitonin. Aber wo finde ich das richtige Hustle-Mindset? Eine Verwandte von mir hat mir zum Abitur ein Mindset-Buch von Marcel Skorpion (ist das so ein Minecraft-YouTuber?) geschenkt. Ich schlage zufällig eine Seite auf und dann das Buch wieder zu. Lektionen wie Geld allein macht nicht glücklich oder Glück kann man lernen (was eher nach einem Daytrading-Scam klingt) kann ich im Moment wirklich nicht gebrauchen. 

Wenn ich ehrlich bin, ist das mit diesem Mindset sowieso irgendwie Quatsch. Ich meine, wenn ich meinen Kopf und alle meine Gedanken auf irgendein völlig utopisches Ziel (Bachelor-Absolvent, nicht-arbeitslos) trimme, ist doch in meinem Kopf eh so viel los, dass ich mich erst recht nicht auf das Schreiben konzentrieren kann, oder?

Freitag, 14.06. – Gloria Mark: Attention Span

In einem Podcast spricht die amerikanische Forscherin Gloria Mark über die abnehmende Aufmerksamkeitsspanne in der Bevölkerung. Auf einmal fühle ich mich sehr verstanden. Ihr Tipp: unverfängliche Minigames, um die Ablenkung nicht ausarten zu lassen. Marks schlägt banale Spiele wie TwoDots oder 2048 vor. Erstaunlicherweise hilft das ganz gut. TwoDots ist einfach aufgebaut und zehn Minuten lang Punkte verbinden macht mich nicht so dumm wie zehn Minuten Doomscrolling auf Instagram. Dafür hab ich jetzt auch eine Lösung. Ich habe mir eine App installiert, die sich gleichzeitig öffnet, wenn ich Instagram öffne. Dann muss ich kurz Pause machen, bevor ich Instagram öffnen kann. Das geht mir dermaßen auf den Keks, dass ich dann meistens keine Lust mehr habe, die App überhaupt zu öffnen.

Samstag, 15.06. – Ortswechsel

Ein Freund schreibt, ich solle doch einfach mal versuchen, den Ort zu wechseln und zum Beispiel in einem Café arbeiten. Gesagt, getan. Ich sitze im Café meines Vertrauens, schlürfe einen Flat White und esse eine erstaunlich kleine, dafür aber erstaunlich teure Zimtschnecke. Auf dem viel zu kleinen Tisch drapiere ich prätentiös das MacBook und los geht es. Für eine Stunde geht das auch ganz gut, dann vermittelt mir der Kellner das Gefühl, dass meine Lerneinheit zu Ende sei. So richtig Deep-Work – oder wie die Hustler-Bros auf Instagram das nennen – kommt nicht auf: Ist aber immer noch besser als in der Bib zu sitzen. 

Sonntag, 16.06. – Mama sagt: Ruhe

Meine Mama sagt, der Sonntag ist zum Ausruhen. Dass Sonntag alle Läden geschlossen haben, ist zwar manchmal ein bisschen nervig, aber irgendwie ist es auch ganz schön, dass deutsche Sonntage ein bisschen entspannter sind. Und in der Theorie tut ein Tag ohne Druck, etwas Produktives tun zu müssen, bestimmt gut. Nur kann ich mich wirklich nicht in diesen Zustand versetzen. Für Entspannung habe ich einfach zu viel zu tun!

Fazit

Vielleicht bin ich einfach ein hoffnungsloser Fall; Vielleicht muss der nahende Abgabetermin einfach sein Übriges tun und mich zum Schreiben zwingen. Frei nach Honecker lautet meine Strategie momentan: Vorwärts immer, Rückwärts nimmer! Meine Produktivität ist eine Mischung aus Multitasking und Ablenken-lassen. Ein ständiger Wechsel zwischen Aufgaben ist zwar unproduktiv, aber wenigstens geht es irgendwie voran. 

Übrigens war selbst die Entstehung dieses Artikels pure Prokrastination. Ständig war irgendwas wichtiger oder irgendwas kam dazwischen. Vielleicht erinnert mich das Schreiben über Prokrastination auch einfach daran, dass ich gerade am Prokrastinieren bin.

Andere Tipps, die ich bekommen, aber nicht ausprobiert habe, waren übrigens:

  • nicht so anstellen (Danke, Opa!)
  • Instagram löschen (Darf man gar keinen Spaß mehr haben?)
  • Ghostwriter beauftragen

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