Album des Monats: WILLOW – empathogen

Artikel: Anna Olivia Böke | Am 03.05. erschien das dritte Studioalbum von WILLOW. [Foto: Anna Olivia Böke]

Vetternwirtschaft gut gemacht: Das neue Album von WILLOW übertrifft alle Erwartungen. Am 03.05. erschien das dritte Studioalbum des jüngsten Entsprungs der Smith Familien-Talentschmiede. Irgendwo zwischen RnB, gregorianischen Gesängen, Jazz und Rock – empathogen strotzt vor theatralischer Musikalität.

Das Album eröffnet mit home (feat. Jon Batiste), einem Stück, das afrikanische Percussion mit Jazz verbindet und damit eine kulturelle Hommage darstellt und gleichzeitig musikalische Grenzen sprengt. Von Anfang an ist klar: Hier erwartet die Hörer:innen eine Reise, die sie weit über ihre Erwartungen hinausführen wird. WILLOWs Vielseitigkeit zeigt sich in jedem Track, von der eindringlichen Stimme bis zur beeindruckenden Fähigkeit, Genres nahtlos zu verschmelzen.

Ein faszinierender Aspekt von empathogen ist die Art und Weise, wie WILLOW ihre eigenen Einflüsse und Erfahrungen in die Musik einbringt, ohne dabei ihre eigene Identität zu verlieren. Das Album durchbricht konventionelle Grenzen und experimentiert mit Klängen, die von Jazz über Rock bis hin zu dunklem Pop reichen. Dabei schafft sie es, einen einzigartigen Klangkosmos zu erschaffen, der gleichermaßen vertraut und doch erfrischend neu klingt. Das Album glänzt in seiner musikalischen Theatralität, verliert sich jedoch lyrisch in faden Aphorismen: „Don’t ask questions/When life’s expressing/Itself through you and speaking the truth“, liest sie aus dem neuesten Facebook-Post deiner Tante auf „between i and she“.

Die Texte von empathogen reflektieren eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit persönlichen Themen wie Selbstentdeckung, Angst und Selbstakzeptanz. Tracks wie symptom of life und the fear is not real bieten eine introspektive Reise, die den Zuhörer dazu einlädt, sich mit eigenen inneren Konflikten auseinanderzusetzen. 

Run! erfasst den Kampf, sich in den eigenen Gedanken gefangen zu fühlen, und die zyklische Natur negativer Gedanken. Das Motiv des Unvermögens, zu entkommen, spiegelt sich in den Versen wider, in denen die Sprecherin ein ungenanntes Gegenüber auffordert, sie nicht mehr als Freundin oder Preis zu betrachten. Sie deutet auf eine Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung Anderer und ihrer inneren Erfahrung hin, die von spiralförmigen Gedanken dominiert wird, die sie als „verrückt machend“ beschreibt. 

In False Self bringt WILLOW zusammen mit ihren makellosen Background-Vocals den Wunsch zum Ausdruck, sich von Rechtfertigungen und äußerer Bestätigung zu lösen, wobei sie das Selbst mit einer unbewohnten Insel vergleicht. Es gibt ein Eingeständnis einer unausweichlichen Anziehungskraft, sich selbst zu verstehen („I can’t escape the pull“), gepaart mit der Erkenntnis, dass frühere Selbsttäuschungen nicht mehr haltbar sind („My false self must die“).

Diskutabel als Jazz klassifiziert enthüllen diese zwölf Songs eine weitere Entwicklung in ihrer künstlerischen Reise. Die inhärente Sanftheit akustischer Stücke wie Pain for Fun, verstärkt durch St. Vincent, mag subtil erscheinen, aber jede Interpretation erlaubt WILLOW, ihr unbestreitbares Talent zu zeigen. Dennoch ist es eindeutig, dass sie ihr Repertoire in jeder Hinsicht erweitert hat – insbesondere in b i g  f e e l i n g s, einem Höhepunkt, der spektakulärer ist als alles, was sie zuvor produziert hat. Ihre Texte mögen nicht die stärksten sein, aber ihr grenzenloser Enthusiasmus hält die Dinge zusammen. Der Refrain „Acceptance is the key/Acceptance gives me wings“, der b i g  f e e l i n g s antreibt, mag auf dem Papier generisch aussehen, aber im schwebenden Falsett innerhalb eines psychedelischen Jazz-Wirbels gesungen, fühlt sich der Song  an, als würde WILLOW ihn für ihr wichtigstes Publikum singen: sich selbst.

WILLOW glänzt nicht nur mit ihrer musikalischen Waghalsigkeit, sondern den Vocals. Ihre Stimme hat einen wunderschönen Klang, und von gefühlvollen Melodien über kraftvolles Belting bis hin zu Jodeln navigiert sie mühelos durch extrem vielfältige stimmliche Techniken mit ausgezeichneter Kontrolle.
Insgesamt ist empathogen ein eindringliches und kühnes Statement einer Künstlerin, die keine Angst davor hat, neue Wege zu beschreiten und sich dabei stets treu zu bleiben. Ihrem Wunsch, der Klassifizierung als „Nepo-Baby“ zu entkommen und ein „ernsthaftes Musiker:innen-Album“ zu machen, ist ihr gelungen. WILLOW ist Nonkonformistin. Seit ihrem Debüt ist ihre musikalische Persönlichkeit ständig im Wandel. Sie spiegelt ihre Anliegen, Kollaborationen und Einflüsse wider, die ihre prägenden Jahre dominiert haben. Dieses Album festigt weiterhin ihren Platz als wegweisende Künstlerin in der zeitgenössischen Musik.


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