Album des Monats: Lime Garden – One More Thing

Artikel: Anna Olivia Böke | ‘One More Thing’ gibt es jetzt auf allen Streaming-Plattformen zu hören. [Foto: Anna Olivia Böke]

Die vierköpfige Band Lime Garden aus Brighton veröffentlichte am 16. Februar 2024 ihr Debütalbum One More Thing. Sie überzeugen mit Klängen und Ästhetik sowohl aus dem Indie-Sleaze der späten 00er Jahre als auch aus dem zeitgenössischen Alternative-Pop. Dieses herausragende Album, das seinen Namen von einer Kurzgeschichte von Raymond Carver entlehnt, ist nichts weniger als elektrisierend.

Von den Anfängen mit Singles wie Surf N Turf bis zu Pulp katapultieren sich Bassistin Tippi Morgan, Drummerin Annabel Whittle, Gitarristin Leila Deeley und Sängerin/Gitarristin Chloe Howard an die Spitze der Ones-To-Watch-Listen. Seitdem haben sie The Big Moon auf Tour unterstützt und sind auf großen Festivals weltweit aufgetreten, wodurch sie schon vor dem Release ihres Debütalbums Momentum aufgebaut haben. Nun treten sie mit One More Thing eine wagemutige Reise an.

Die Reise einer typischen Zwanzigjährigen Person wird hier mit den Ambitionen, es in der Musikbranche zu schaffen, verschmolzen. Dieses Album verkörpert perfekt das flüchtige Gefühl des Älterwerdens und das Verpassen von Chancen.

Einer der längeren Tracks auf dem Album, Pine, geht mit den ätherischen, hallenden Hintergrundgesängen von Howard melancholisch vor, die an den alternativen Sound der 80er Jahre erinnern. Mit Zeilen wie „Everybody wants to make it, yet nobody seems to try.” treffen diese Texte voller Zynismus und Witz  einen Nerv bei denen von uns, die Angst haben, den großen Schritt in Richtung unserer Träume zu wagen. 

Ein herausragender Track auf dem Album ist I Want to Be You. Neben Love Song gehört er zu den melodiösesten und eingängigsten Songs der Platte. Lime Garden schreiben über die Komplikationen und Feinheiten weiblicher Beziehungen, die sowohl von Eifersucht und Vergleichen als auch von Bewunderung und Respekt erfüllt sind.

Die Zeile aus I Want to Be You „I want to consume you but where do I start?” stellt eine obsessive Haltung gegenüber der betreffenden Person dar und ähnelt den Ideen, die in Little Big TownsGirl Crush’ erkundet werden. Howard selbst sagte, dass die Texte aus einem Gefühl heraus entstanden seien, das sie hatte, als sie eine Band live sah und sich fragte: „Will ich wie du sein oder mit dir sein, oder will ich beides?”

Auf One More Thing ist nichts schwarz-weiß, während Lime Garden weiterhin mit diesen existenziellen Ideen spielen, die sich selbst und ihrem Publikum unaussprechliche Fragen stellen. Klanglich einzigartig und verspielt in seinen Texten und der Produktion ist Floor, mit verzerrten, Autotune-Vocals und klobigen elektronischen Klängen, der wohl experimentellste Track auf dem Album. „You’re my ceiling, you’re my floor, I’d put you in my top drawer” ist ein eigenartiges Liebesgeständnis und eine meiner Lieblingszeilen auf dem Album.

Fear enthält die düstersten Zeilen, die die Verwirrung der Zwanziger ansprechen. Er offenbart die tiefsten, dunkelsten Ängste der Band. Als jemand, der ebenso in der Musikbranche tätig ist, treffen mich die Worte „I fear the feeling of failure, I fear the thought of some success” direkt ins Herz.

Mit Looking endet das Album eher auf eine düstere Note und lässt einen emotional erschöpft zurück – auf die bestmögliche Weise. Sein minimalistischer und roher Wiegenlied-Klang weckt Emotionen, mit denen man nicht gerechnet hätte, wenn man die ersten Songs des Albums hört.

Während die Themen auf One More Thing von Anfang bis Ende klar und konsistent sind, ist die Musikalität dieses Albums unglaublich vielfältig und nimmt euch auf eine Achterbahnfahrt der Klänge mit, die sowohl nostalgisch als auch völlig originell sind. Ein gut durchdachtes und mit Spannung erwartetes Album, das all die Aufmerksamkeit verdient, die es zweifellos bekommen wird. Und ich bin sicher, dass Fans und neue Hörer:innen gleichermaßen mit Emotionen konfrontiert werden, die sie nicht bereit waren anzugehen.


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