Album des Monats: Charli xcx – BRAT

Artikel: Anna Olivia Böke | Foto: Anna Olivia Böke

Am 07. Juni veröffentlichte Charli xcx ihr sechstes Studioalbum BRAT. Es ist ihr bisher unverblümtestes und ehrlichstes Werk und behandelt Themen wie Unzulänglichkeit, Trauer, Wettbewerb und Frausein. Wieso es eines der bedeutendsten Alben von 2024 ist und wieso wir alle BRATs sind, erfahrt ihr hier.

Charli xcx war schon immer eine Chamäleon-Künstlerin, die mit jeder Ära ihre Kunst und ihren Sound neu erfindet und dabei dennoch das Wesentliche ihrer selbst bewahrt. Sie stammt aus der Underground-Rave-Szene Londons und trat bereits mit 14 Jahren bei Raves auf, wobei ihre Eltern sie von ihrem Zuhause auf dem Land in die Stadt fuhren. BRAT fühlt sich an wie eine Rückkehr zu diesen Wurzeln, eine Hommage an ihr jüngeres Selbst und die Person, die sie sein wird.

In einem Interview mit Billboard erklärte Charli, was es für sie bedeutet, ein:e „Brat“ zu sein: „I think being a brat is pretty nuanced. It’s not just about being stroppy and difficult. Brattish behavior often comes from insecurities; it’s when people put their walls up, get stressed out, and act out. It’s a combination of ultra-confidence and ultra-vulnerability.“ Es gibt keine bessere Beschreibung für das Album als diesen letzten Satz. Die Gegenüberstellung von Tracks wie Von dutch, die vor Selbstbewusstsein und Frechheit strotzen, und dem Stream-of-Consciousness Song I think about it all the time über die Unsicherheiten in Bezug auf die Frage nach Kindern fasst die Bandbreite des BRAT-Spektrums ziemlich gut zusammen.

Album-Highlights:

360

Der Album-Opener, 360, ist eine mutige Erklärung von Charlis Einfluss auf die Popkultur. Sie feiert ihre Rolle als Vorbild für andere und hebt dabei andere Frauen mit hervor. Der Song und sein Musikvideo zeigen zahlreiche It-Girls, darunter Emma Chamberlain und Julia Fox, und fangen den Zeitgeist des modernen Pop ein.

Sympathy is a knife

Sympathy is a Knife sticht als spaßiger Dance-Track mit einer verletzlichen Botschaft hervor. Charli gesteht, sich neben einer anderen Frau unzulänglich zu fühlen. Zeilen wie „Don’t wanna see her backstage at my boyfriend’s show” stützen die Gerüchte, dass der Song von Taylor Swift während ihrer On-Off-Beziehung mit Matty Healy von The 1975 handelt. Charlis Verlobter George ist Mitglied derselben Band, was dem Songtext eine zutiefst persönliche Note verleiht.

Girl, so confusing

Dieser Track erforscht die verschwommenen Grenzen zwischen Rivalität und Freundschaft und bietet einen rohen und ehrlichen Einblick in die Dynamik der Industrie und die Komplexität des Frauseins. Am 21. Juni wurde ein Remix dieses Songs mit Lorde veröffentlicht, der enthüllte, dass es um die Beziehung zwischen den beiden geht und der das Original durch ihre Perspektive ergänzt und kontextualisiert. Im Remix antwortet Lorde auf den Song und eine Sprachnachricht von Charli und das auf eine so ehrliche und im Pop zu selten vorkommende Art. 

Es ist erfrischend zu sehen, wie der unausgesprochene Konflikt auf eine unterstützende Weise ausgetragen wird und das über den Gegenstand ihrer Rivalität: die Musik. Nichts ist beschönigt oder versteckt. Beide stehen zu ihrem eigenen inneren Zynismus und den Spannungen. Trotzdem geben sie sich gegenseitig Raum, um diese auszudrücken, was zu einem Remix führt, der größer ist als die Summe seiner Teile. Dies macht diesen Song zu einem der bedeutendsten und ehrlichsten Momente des modernen Frauseins im Pop. Jede Frau hat eine Lorde in ihrem Leben – eine Frau, die man gleichzeitig unglaublich nervig findet und gleichzeitig bewundert, während man sich schuldig fühlt, so zu empfinden. Dieser Song zeigt, wie echte Ehrlichkeit und Verletzlichkeit helfen können, diese internalisierten patriarchalen Ansichten von Frauen übereinander zu überwinden. Zurecht macht der Song mit seiner heilenden Wirkung Frauen auf der ganzen Welt emotional.

I might say something stupid

Diese Lo-Fi-Ballade erforscht Themen wie Selbstzweifel und Zugehörigkeit. Charli singt: „I’m famous but not quite, but I’m perfect for the background,“ und gibt den Hörer:innen einen intimen Einblick in ihre Kämpfe mit Ruhm und Unsicherheit.

Everything is romantic

Ein einzigartiger Track, der mit verspielten Orchesterarrangements beginnt. Everything is romantic beschreibt das Verlieben im Ausland. Die Texte sind leb- und bildhaft, und der Song verwandelt sich in einen Dance-Track, der die Aufregung der Liebe im Paradies einfängt.

Rewind

Rewind zeichnet sich durch eine spritzige, spaßige Produktion aus, aber die Texte behandeln ernste Themen wie Körperbildprobleme und den Druck kommerziellen Erfolgs. Charli reflektiert über ihre Unsicherheiten und ihre Beziehung zu den Erfolgsmetriken der Musikindustrie.

So I

Ein ergreifendes Tribut an die verstorbene Produzentin und Kollaborateurin Sophie, So I befasst sich mit Trauer und Verlust. Charli drückt ihr Bedauern über die Beziehung aus und bezieht sich dabei auf Sophies Song It’s Okay to Cry. Die spürbare emotionale Tiefe dieses Tracks macht ihn zu einem herausragenden Stück des Albums.

It’s BRAT summer

BRAT verzichtet auf Metaphern und blumige Lyrik, sondern setzt auf eine direkte und offene Ausdrucksweise. Charli hat dazu in einem Interview gesagt, dass dieses Album die Art und Weise widerspiegelt, wie sie mit ihren Freund:innen spricht, und ihre Gedanken und Gefühle ungefiltert präsentiert. Das Album nimmt die Zuhörer:innen mit auf eine Reise durch Charlis Gedanken, schwankend zwischen Selbstbewusstsein und ängstlicher Unsicherheit. Es ist ein ehrliches Porträt ihrer Erfahrungen mit Ruhm, Einfluss und persönlichem Wachstum. Zugleich ist es ein ehrliches Porträt des Menschseins. Befinden wir uns nicht alle irgendwo zwischen hart und weich, frech und zerbrechlich oder aufgesetzt und authentisch? Beim genauen Hinhören können wir uns sicherlich alle auf die eine oder andere Art mit dem BRAT-tum identifizieren und diesen Sommer gilt es, sich in all diesen Facetten zu zeigen und zu zelebrieren – Es ist BRAT summer, baby!


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