Junge Menschen und Oper? – Interview mit Marie-Helen Joël

Artikel: Selome Abdulaziz | Marie-Helen Joël ist Solistin und Leiterin der Theaterpädagogik am Aalto-Theater in Essen. [Foto: Volker Wiciok]

Ein Opernbesuch gehört meist nicht in den Studierenden-Alltag. Wie junge Menschen und Oper zusammenpassen, verrät Theaterpädagogin und Solistin Marie-Helen Joël im Interview.

ak[due]ll: Was machen Sie am Aalto-Theater?

Marie-Helen Joël: Ich bin Solistin im Aalto-Musiktheater-Ensemble. Vor 13 Jahren habe ich noch meinen Master of Music-Education absolviert und leite nun seit elf Jahren zusätzlich die Theaterpädagogik. Seit dieser Spielzeit arbeiten wir von der Theaterpädagogik noch enger mit der Dramaturgie zusammen, sodass wir uns mit einer gemeinsamen Kulturvermittlung noch breiter aufstellen und viele unterschiedliche Zielgruppen erreichen können. Meine Aufgaben sind vielfältig: Ich schreibe Stücke, moderiere Konzerte, organisiere Führungen und Backstage-Vormittage für Kitas und Schulklassen, führe Regie und stehe als Mezzosopranistin bei Abendveranstaltungen auf der Bühne. Aktuell werden wir mit zwei großen Projekten vom Land Nordrhein-Westfalen gefördert. So erreichen wir mit unseren mobilen Produktionen AaltoMobil Personen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht zu uns kommen können. Wir arbeiten in Senioreneinrichtungen, Justizvollzugsanstalten oder auch Schulen. Bei dem Projekt Aalto:StartUp beschäftigen wir uns mit der Vielseitigkeit, mit unserer eigenen Diversität und die der Bevölkerung. Hier kommen wir mit dem Publikum ins Gespräch.

ak[due]ll: Wie sehen die Besucherzahlen aus, was Alter und Demografie angeht?

Joël: Da muss man deutlich differenzieren. Ein Großteil unseres Publikums setzt sich zusammen aus den Besucher*innen, die Zeit und Geld für einen Besuch haben. Das sind überwiegend Menschen ab Mitte 40 aufwärts. Andererseits haben wir auch viele Kindergärten und Schulklassen, die uns regelmäßig besuchen. Besuchen Schulen unsere Abendveranstaltungen, bieten wir gerne vorab Führungen sowie Livegespräche mit Kunstschaffenden für die Schüler:innen an. Wenn ich selbst als Solistin an einer Produktion beteiligt bin, übernehme ich das Gespräch auch selbst. Ein wichtiger Weg, um Menschen egal welchen Alters für Theater zu begeistern, ist der individuelle Kontakt. Man sollte gemeinsam die Emotionen – die Freude oder Trauer – teilen können.

ak[due]ll: Haben Sie den Eindruck, dass viele junge Menschen Interesse an der Oper haben? Es gibt beispielsweise das sehr günstige Kulturticket und Rabatt für Studierende und Azubis. Wird das Angebot genutzt?

Joël: Das Kulturticket existiert nun seit fünf Jahren, in diesen Zeitraum fallen auch die coronabedingten Schließungen von Konzertsälen und Theatern. Zurzeit ist es unsere Aufgabe, das Publikum generell wieder neu für Theater und Konzert zu begeistern. Ich glaube, dass das Kulturticket am Anfang mehr genutzt wurde. Durch die zwei Jahre, die das Leben von der Pandemie bestimmt wurde, ist das Kulturticket bei vielen Studierenden in Vergessenheit geraten. Vielen ist nicht bewusst, dass sie für einen Euro ins Theater kommen können. Dieses Bewusstsein müssen wir wieder beleben. Schön wäre es, wenn wir die Studierenden so begeistern könnten, dass sie sich in unseren Spielstätten regelmäßig verabreden: „Hey, wir gehen heute Abend zusammen ins Konzert, ins Theater oder ins Musiktheater.“ – Das Theater als Treffpunkt, um gemeinsam Kultur zu erleben.

ak[due]ll: Die Oper hat den Ruf, steif zu sein. Wie erleben Sie die Oper?

Joël: Oper und Musiktheater bieten eine unfassbare Vielfalt an Angeboten. Wie bei einem Besuch im Kino gibt es Produktionen, die mir gut gefallen und welche, die mir eben nicht so gut gefallen. Dafür muss ich kein:e Opernkenner:in sein. Wenn ich das Bedürfnis habe zu lachen, dann lache ich, und wenn ich wehmütig und traurig werde, dann weine ich. All diese Emotionen sind gewünscht. Wir Darstellenden auf der Bühne leben davon, dass das Publikum in irgendeiner Form mitgeht, dass es Emotionen zeigt und uns daran teilhaben lässt. Eine Live-Vorstellung ist ein Dialog zwischen Zuschauerraum und Bühne. Wenn sich das Publikum nicht rührt, ist das katastrophal. Dann fühlt es sich an, als hätte man etwas falsch gemacht. Ich ermuntere Interessierte gerne dazu, Neugier und Mut aufzubringen, um selbst zu beurteilen, was sie gut finden oder nicht. Wenn eine Vorstellung nicht gefallen hat, heißt das noch lange nicht, dass das beim nächsten Mal wieder so sein muss. Vielleicht schlägt der nächste Theater- oder Konzertbesuch Wellen und die Begeisterung sorgt für eine regelmäßige Benutzung des Kulturtickets.

ak[due]ll: Sind junge Menschen für Sie eine interessante Zielgruppe?

Joël: Auf jeden Fall. Alle Menschen sind als Zielgruppe interessant. In unserem neuen Projekt Aalto:StartUp geht es genau darum. Das Projekt ist so aufgebaut, dass wir mit vielen Menschen im Entstehungsprozess einer neuen Musiktheaterproduktion ins Gespräch kommen – Menschen, die nicht vorrangig an einem Musiktheater arbeiten, sondern Profis in ganz anderen Bereichen sind. Wir diskutieren über Inszenierungsideen, musikalische Ansätze, Kostümbilder und vieles mehr, um neue Darbietungsformen zu entwickeln. Wir wollen die Diversität des Publikums wahrnehmen und mit den Menschen ins Gespräch kommen, die kreativ daran interessiert sind, Veränderungen im Theaterbetrieb anzustoßen. Wer daran Spaß hat, kann sich gerne bei mir melden!

ak[due]ll: Haben Sie Tipps für Personen, die das erste Mal in die Oper gehen?

Joël: Einfach kommen, das ist toll! Es gibt keine starren Regeln, keinen Dresscode, man kann nichts falsch machen. Wer aus dem Event etwas Besonderes machen möchte, kann gerne die Gala-Robe anlegen, wer es lieber sportlich mag, kommt in Turnschuhen. Um die richtige Oper auszuwählen, würde ich schauen, was der Titel mit mir macht. Vielleicht habe ich einen Titel schon mal gehört und möchte mehr wissen. Oder man ist fasziniert von einem Titel, den man noch nie gehört hat und lässt sich auf die Überraschung ein. Man sollte Mut haben, etwas auszuprobieren. Gerne kann man mich anschreiben, wenn man Fragen hat oder unsicher ist, was einen erwartet. Ich habe drei wunderbare Kolleginnen, die mir zur Seite stehen – also, gebt Bescheid!

Das Programm des Aalto-Theaters findet ihr hier.


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