Rigby: Freundschaft, aber besser – Interview mit Regieduo Kaufmann/Witt

Artikel: Selome Abdulaziz | Schauspielerin Nadja Bruder als „Laura” in einem Rigby-Erlebnis. [Foto: Christian Schuller]

Mit dem Projekt Rigby bringt das Regieduo Kaufmann/Witt immersives Theater ins Ruhrgebiet. Die Regisseur:innen Saskia Kaufmann und Raban Witt haben das Konzept von Rigby entwickelt. Die Kooperation mit dem Theater Oberhausen und dem Ringlokschuppen Ruhr fand vom 05. November bis zum 16. Dezember statt.  

ak[due]ll: Was ist Rigby?

Saskia Kaufmann: Man kann es formal beschreiben als eine immersive Performance, bei der es 1:1 Begegnungen zwischen Performer:innen und Publikum gibt. Ein wichtiger Teil davon ist eine App, mit der das Publikum diese Begegnungen buchen kann. Inhaltlich hat es jemand mal beschrieben als „eine Black Mirror Folge, aber in real”, das hat mir gut gefallen.

Raban Witt: Wir spielen ein Start-Up, das Rigby heißt. Das macht jetzt einen Testlauf im Ruhrgebiet und will später expandieren. Die Idee von diesem Start-Up ist, private Freundschaft durch Dienstleistungen zu ersetzen. Dafür haben wir eine App kreiert, dort können Menschen Freundschaftserlebnisse aneinander verkaufen und sich gegenseitig begegnen. Man kann Punkte sammeln und Level aufsteigen.

Kaufmann: Die Ideologie von Rigby ist, im Vergleich zu Datingplattformen, dass soziales Zusammensein viel besser funktioniert, wenn es immer eine:n Käufer:in und eine:n Verkäufer:in gibt. Statt dass beide gleichberechtigt sind und jede:r einfach losquatscht, soll es klare Rollen geben. So will dieses Unternehmen soziales Zusammenkommen gestalten. 

ak[due]ll: Wie funktioniert das Ganze?

Witt: Wer teilnehmen möchte, lädt sich die App herunter und kauft sich ein Ticket beim Theater Oberhausen. Man findet die Informationen alle gut über unsere Website. Eine Vollpreis-Karte kostet 15 Euro, für Studierende gibt es eine ermäßigte Karte für 5 Euro. Mit dem Code auf dem Ticket schaltet man die App frei, ab dem Zeitpunkt kostet es kein echtes Geld mehr. Man bekommt am Anfang virtuelles Guthaben in Rigby-Coins, von dem man Erlebnisse kaufen kann. Diese Coins gehen einem irgendwann aus und dann muss man selbst Freundschaftsdienstleistungen anbieten, um weiterzuspielen und neues Guthaben zu generieren. Allerdings trifft immer nur Publikum auf Performer:in, also App-Nutzer:innen treffen sich nicht gegenseitig.

ak[due]ll: Wie kam die Idee?

Kaufmann: Eigentlich wollten wir eine Sekte gründen. [lacht] Tatsächlich sind wir beide sehr interessiert an unterschiedlichen Sekten und neuen religiösen Bewegungen. Eine der spannendsten Fragen ist für uns, wie es sein kann, dass Leute den größten Unsinn glauben. Es ist sehr augenscheinlich, dass es für Menschen einen Sog hat, wenn sie in einer Gruppe akzeptiert werden und das Gefühl von Zugehörigkeit bekommen. Durch diese Gespräche und unsere Erfahrung mit früheren immersiven Projekten haben wir gemerkt, wie sehr Menschen diesen Kontakt und dieses sich angenommen fühlen suchen. Deshalb wollten wir ein Projekt machen, wo es um Freundschaft und Zugehörigkeit geht.

Witt: Die Grundidee, dass man eine Plattform schafft, auf der man sich gegenseitig bewerten kann, war schon am Anfang da. Ursprünglich hatten wir noch stärker die Idee, dass Publikum mit Publikum spielt. Davon sind wir abgekommen in der Entwicklung, weil wir stärker künstlerisch lenken wollten, was passiert.

ak[due]ll: Wie laufen die Treffen ab?

Witt: In Level Eins kann man von weiter weg mitmachen und Telefonate buchen, sobald man weitermachen will, geht es um diese physische Begegnung. Ich bin froh darüber, dass sich schöne, besondere Orte aufgetan haben in Oberhausen und Mülheim, wo man sonst nicht hinkommt. Es gibt zum Beispiel ein Gewächshaus weit oben über den Dächern der Stadt oder ein leerstehendes Multiplexkino oder den Bahnhofsturm in Oberhausen. 

Kaufmann: Wir wollten zum einen die Orte künstlerisch gestalten können, zum anderen gibt es den sicherheitstechnischen Grund. Zuhause bei den Leuten wäre uns wegen der Sicherheit unserer Performer:innen nicht so geheuer. Bei den Treffen selbst gibt es einen groben Ablaufplan, auf den wir uns in den Proben geeinigt haben. Darin steht zum Beispiel, wenn das ein Erlebnis ist, bei dem man sich durch die Gegend bewegt, dass man circa bei Minute 20 an einem bestimmten Ort angekommen sein soll. Oder dass man bei Minute 30 ein bestimmtes Thema anschneiden oder bei Minute 45 einen überraschenden, neuen Impuls setzen soll. Der Beginn der Treffen ist besonders wichtig, der bestimmt, wie stark man in das Erlebnis reinkommt. Den haben wir besonders genau geprobt. Es wird natürlich nicht wortwörtlich geskriptet, was gesprochen wird, das geht gar nicht. Es ist sehr unterschiedlich, was Menschen mitbringen. 

Witt: Es ist ein bisschen wie Jazz spielen: Es gibt etwas, worauf man sich bezieht, aber man improvisiert auch. Damit man gut improvisieren kann, braucht man aber diesen Bezugsrahmen.

ak[due]ll: Was ist das Ziel?

Witt: Ich finde es bei künstlerischen Arbeiten schwierig, ein Ziel zu benennen, aber was wir versuchen, ist eine widersprüchliche Erfahrung für unser Publikum zu organisieren. Dass sie einerseits in eine Dystopie reinkommen, die etwas ist, das schon ziemlich nah an unserer Wirklichkeit ist. Es ist ein weiterer möglicher kapitalistischer Entwicklungsschritt, dass man versucht, Freundschaften als Markt stärker zu erschließen. Auf der anderen Seite nehmen wir die Möglichkeiten davon sehr ernst, dass in diesen 1:1 Begegnungen ein echtes Gefühl von Nähe entsteht. Da entstehen echte Gefühle beim Publikum, teilweise auch bei den Schauspieler:innen. Auch wenn sie Figuren benutzen entsteht da eine richtige Verbindung. Gleichzeitig ist es Teil von einer Erzählung, die auch bösartig ist. 

Kaufmann: Es geht genau um diese Ambivalenzerfahrung. Ich würde sagen, eine ideale Publikumsreaktion wäre, wenn eine Person dieses Firmenmodell abstoßend findet und weiß, dass sie sich mit einer Performerin trifft. Wenn es dann aber in diesen Begegnungen passiert, dass da wirklich Nähe und Berührung entsteht, und die Person dann ein Gefühl von einer tiefen Ambivalenz bekommt und sich fragt: „Ist das echt, ist das nicht echt?” Darauf ist das Projekt angelegt. Welche Ableitung Menschen für ihr Leben machen, kann man bei diesen Projekten nicht vorgeben, wir schaffen einen Erfahrungsrahmen, in dem man dieses Erlebnis machen kann. 

ak[due]ll: Wie kommt das Projekt an?

Witt: Feedback in dem Sinne, dass wir mit Publikum darüber reden, wie sie die Erfahrung finden, gibt es nur sehr sporadisch. Das wird erst bei dem Abschlussevent am 16. Dezember stattfinden. Da sind alle Leute eingeladen, die Rigby genutzt haben. Wir wollen auch etwas erzählen, aber wir wollen auch sehr gerne hören, wie die Teilnehmer:innen Sachen wahrgenommen haben. Ansonsten sehen wir, wie sich Leute in dem Spiel verhalten und beobachten, dass es einige Leute gibt, die da sehr tief einsteigen – stärker, als wir erwartet haben. Einige haben das über mehrere Wochen intensiv gespielt. Es gibt Leute, die haben schon über 20 Erlebnisse gebucht.

Kaufmann: Genau dafür ist Rigby gedacht. Es war ein Wunsch von uns, eine immersive Welt zu erschaffen, wo du als Publikum nicht Teil davon wirst, sondern wo die Welt umgekehrt Teil von deinem Leben wird. Das ist ja der Fall: Die Menschen leben ihr Leben, haben ihre Berufe und Hobbys und machen ab und zu etwas mit Rigby aus. So wird es in den Alltag integriert.

Witt: Bei immersiver Performance ist es meistens so rum, dass man, wie sonst im Theater auch, eine Karte und einen Termin hat, an einen Ort geht und eine Zeitlang eintaucht. Und dann kommt man wieder raus. Bei Rigby ist das genau der umgekehrte Vorgang: Die Kunst integriert sich ins Leben.


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