54 Stunden im Museum Folkwang – Die Ausdauer der Folkwang-Student:innen

Die Performancekünstlerin Marina Abramović kuratierte zusammen mit Billy Zhao die Ausstellung „54 HOURS PERFORMANCES: FREE INTERDISCIPLINARY PERFORMANCE LAB“ im Museum Folkwang in Essen. Vom 30. Juni bis zum 09. Juli konnte man für 9 Tage jeweils 6 Stunden, also insgesamt 54 Stunden, dabei zusehen, wie 24 Student:innen Performances durchführten, die von ihnen alles abverlangten. Im Artikel mit begleitender Fotostrecke lest ihr, wie es sich als Zuschauerin angefühlt hat, anwesend zu sein.

Beitrag: Helena Wagner | Foto & Fotostrecke: Helena Wagner

Marina Abramović ist eine der bekanntesten Performance- Künstler:innen der Welt. Sie wurde unter anderem mit ihrer Performance „The Artist is Present“ bekannt, bei der sie 2010 im Museum of Modern Art in New York für insgesamt drei Monate jeden Tag auf einem Stuhl saß, während die Besucher:innen sich ihr gegenübersetzen konnten und dabei nicht selten von ihren Emotionen überwältigt wurden. Die Künstlerin hatte dieses Jahr als erste die Pina Bausch Gastprofessur an der Folkwang Universität der Künste inne. In diesem Rahmen hat sie gemeinsam mit 24 Student:innen aus allen Disziplinen die Ausstellung vorbereitet, die man für insgesamt 54 Stunden im Museum Folkwang besuchen konnte. Die Studierenden zwischen 17 und 39 Jahren haben in vier intensiven Arbeitsphasen zusammen mit Abramovic und ihrem Assistenten Billy Zhao die Long Durational Performances vorbereitet, die 54 HOURS-Ausstellung stellte den letzten Abschnitt dar.

Schon im Außenbereich des Museums geht es los. Neben dem Eingang sind mehrere verschieden hohe Leitern aufgebaut, die von einem jungen Mann namens Konstantin Pütz in Zeitlupe auf- und abgeklettert werden. Seine Kollegin Gloria Carobini befindet sich am Boden und gießt Pflanzen, tanzt oder spielt mit Wasser und Vasen. Uns kommt beim Betrachten direkt in den Sinn, wie er sechs Stunden am Stück für mehrere Tage bei teilweise 35 Grad oder Gewitter auf den Leitern ausharren kann. Der Gedanke „Wie schaffen das die Künstler:innen 54 Stunden lang?“ wird uns schon bei Betreten des Museums eingepflanzt und lässt uns die restliche Zeit nicht mehr los.

Ein lauter Museumsbesuch 

In den folgenden zwei Stunden, die wir uns im Museum aufhalten, kommen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus. Direkt hinter dem Eingang zur Ausstellung steht Janina Schweitzer, die in ihrer Performance „Aspiration“ ähnlich wie in einer Oper singt und immer lauter wird, bis sie ihren Kopf in ein Aquarium voll mit Wasser tunkt und so blitzartig verstummt. In ihrer Performance will sie darauf aufmerksam machen, dass sie ihr Leben lang gebraucht hat, um ihre Stimme zu finden, doch dass sie sie auch irgendwann wieder verlieren kann. Florian Kreßer sitzt gegenüber von ihr auf einem Podest an der Wand und dreht 54 Stunden lang in seiner Performance namens „The Last“ seine letzten Zigaretten, die er in einem Behälter neben sich sammelt. Am Ende der Performance lässt er sich noch im Museum die Zahl seiner gedrehten Zigaretten tätowieren. Wir merken, wie ungewöhnlich es ist, statt Bilder Menschen in einer Ausstellung zu betrachten. Sich vor ihnen über sie und ihre Performance zu unterhalten und Bilder zu schießen, fühlt sich für uns falsch an, weil wir sie wie Gegenstände betrachten.

Im Gegensatz zu einem herkömmlichen Museumsbesuch ist es nicht still, sondern uns umgibt eine ständige Geräuschkulisse. Ob abgespielte Videos, klackernde Schuhe, lauter Gesang oder verschiedene Instrumente, aus jeder Ecke kommt ein Geräusch. Egal wohin man blickt, es gibt in jeder Ecke etwas zu entdecken. Wir verweilen teilweise sehr lange vor einer Performance oder kommen nach einer Zeit wieder zu ihr zurück, um den Fortschritt und die Veränderung zu betrachten. So können wir bei der Performance „The Chicken“ von Klara Günther sehen, wie sich die Künstlerin am Anfang unseres Besuches noch mit Zuckerrübensirup einrieb, am Ende unseres Besuchs hatte sie bereits ein Federkleid am Körper und machte Hühnergeräusche. Die Ausstellung hat uns in ihren Bann gezogen, doch es ist nicht zu leugnen, dass es teilweise wirklich skurril war.

Kartoffeln schälen im Museum?

So auch die Performance von Aleksandar Timotić namens „Are Yu Hungry?“, bei dem der Künstler an einem runden Tisch mit einem Haufen Kartoffeln darauf sitzt und die Besucher:innen einläd, diese mit ihm zu schälen. Wir trauen uns und setzen uns zu ihm an den Tisch. Als sich die Plätze rund um den Tisch sich langsam füllen, steht der Künstler auf und fängt an zu singen. Den Gedanken „Ich sitze gerade im Museum mit fremden Menschen an einem Tisch und schäle in Stille Kartoffeln, während der Künstler auf seinem Stuhl steht und singt“ hatte ich vor meinem Besuch so nicht erwartet. Wir entschließen uns, nach fünf bis sechs geschälten Kartoffeln weiterzugehen, die Kartoffeln wurden alle vom Restaurant des Museums verwertet.

Ein anderer Künstler liest seine Tagebücher der letzten zehn Jahre vor und zerstört sie danach, draußen buddelt eine andere Künstlerin in einem weißen Hosenanzug ein Loch, wieder eine andere sammelte Spucke der Besucher:innen, um damit ein Bild des kürzlich verstorbenen ehemaligen italienischen Präsidenten Silvio Berlusconi in 54 Stunden aufzulösen. In unserer Fotostrecke zur Ausstellung bekommt ihr einen Eindruck davon, wie es war, Menschen bei der wahrscheinlich herausforderndsten Performance ihres Lebens zu beobachten.


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