Wofür ist der Duden da?

Repost-Beitrag von ehemaligem Redakteur Erik Körner | Regeln für gutes Deutsch bestimmen unsere Wörterbücher nicht. [Symbolbild: pixabay]

Bereits in der Grundschule lernen wir: Wer die Schreibweise eines Wortes nachschlagen möchte oder Unsicherheiten bei grammatischen Fragen hat, soll einen Blick in die Bücher des Duden-Verlags werfen. Die Vermutung liegt nah, der Duden wäre eine Autorität innerhalb der deutschen Sprache, der Ratgeber für „gutes“ Deutsch. Zumindest behauptete das Patrick Bahners, Feuilltonkorrespondent in Köln für die Frankfurter Allgemeine, vergangene Woche in einem Artikel.

Diese Annahme widerspricht jedoch der Absicht und Funktion des Dudens. „Der Duden dokumentiert den gesellschaftlichen Konsens, den seine Verfasser:innen beobachten“, erklärt Pascal Wagner. Er ist Kultur- und Kognitionslinguist und arbeitet als Deutschprüfungsentwickler in der Zentrale des Goethe-Instituts in München.

Im Umkehrschluss heißt das: Der Duden schreibt nicht vor, welche Worte und Schreibweisen die Gesellschaft zu nutzen hat. Wie jedes Lexikon erfüllt er eine „deskriptive, also beobachtende, und keine präskriptive, also verordnende, Funktion“, wie es Wagner beschreibt. Dass dem Duden diese vermeintliche präskriptive Autorität zugeschrieben wird, liegt an seinen Nutzer:innen. Hierfür nennt Wagner eine schriftliche Bewerbung als Beispiel: „Wer eine Bewerbung mit ‚richtiger‘ Rechtschreibung abschicken möchte, rückversichert sich mit dem Duden und trägt damit zur Verfestigung eben jener Rechtschreibung bei, die wir gesellschaftlich als ‚richtig‘ akzeptieren.“

Keine gute oder schlechte Sprache

Wer bestimmt dann über die deutsche Rechtschreibung, wenn nicht der Duden? Schließlich suggerieren Wörter wie „Rechtschreibfehler“ gewisse Normen, gegen die vergessene oder verdrehte Buchstaben verstoßen. Wagner erläutert, dass solche Belange meist andere Organe übernehmen. „Bei der Rechtschreibreform 1996 war das etwa eine deutschsprachige Kommission aus Germanist:innen, Linguist:innen, Kultusministerien und vielen weiteren.“

Die Beschlüsse von 1996 bezogen sich allerdings primär auf das geschriebene Wort. „Gesetzestexte und Fachbücher, aber auch Romane und Poster sollen eben für jede:n so gut wie möglich lesbar sein und das lässt sich gesellschaftlich am besten über einheitliche Regeln lösen“, so Wagner. Eine sprachpuristische Instanz für alle Formen der Sprache, vergleichbar mit der französischen Académie française, existiert in Deutschland nicht. Ziel der Académie française, die häufig als Sprachhüter bezeichnet wird, ist die Vereinheitlichung der französischen Sprache. Diese Ziel versucht sie zum Beispiel durch normbildende Wörterbücher, die in regelmäßigen Abständen erreichen, zu erreichen.

Von bewertenden Begriffen wie „gut“ oder „schlecht“ sieht die Sprachwissenschaft ab. Denn: Keine Sprache oder Variante innerhalb einer Sprache ist wertvoller als eine andere. Eher sollte, so Wagner, eine Unterscheidung zwischen „mächtig“ und „machtlos“ fallen. „Was wir als Sprache bezeichnen, ist nämlich immer nur einer von vielen Dialekten einer Sprachfamilie, dem wir Macht gegeben haben, weil er Landessprache geworden ist“, konstatiert er. Wie sich Varianten der deutschen Sprache, wie Standarddeutsch, als Landessprache durchsetzen konnten, ist laut Wagner von der Zeitgeschichte abhängig und gibt folgende Fragen als Gedankenanstoß: „Wie hat die zur Zeit der nationalen Identitätsfindung relevante Adelsfamilie gesprochen und wo hat das staatengründende Parlament getagt?“

Sowohl die Rolle und Funktion des Dudens als auch die Macht von sprachlichen Varianten zeigt: Welche Formen Sprache annimmt, liegt an den Personen, die sie nutzen. Sie ist dynamisch. Die einzige Autorität liegt also nicht ausschließlich in Büchern oder Beschlüssen, sondern in ihrer Anwendung.


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