Was beeinflusst unseren Wortschatz? Eine Studie über bilinguale Kinder 

Artikel: Saskia Ziemacki | Der Ähnlichkeitseffekt hilft beim Sprachenlernen. [Foto: Saskia Ziemacki]

Apfel, Apple oder Jabłko: Je ähnlicher eine Sprache unserer Muttersprache ist, desto einfacher ist sie zu erlernen. Eine aktuelle Studie unter der Leitung der Universität Duisburg-Essen (UDE) fand heraus, dass Kinder, die mit zwei ähnlichen Sprachen aufwachsen, einen größeren Wortschatz aufweisen als Gleichaltrige mit unterschiedlichen Sprachen. 

Die Studie ist die erste, die einen Effekt der Sprachähnlichkeit auf die Wortschatzentwicklung bei Kleinkindern nachweist, die von Geburt an mit zwei Sprachen aufwachsen, heißt es in der Veröffentlichung im Journal of Language Contact. Forschende der Universitäten Duisburg-Essen (UDE), Leipzig und Zürich befragten dafür Eltern von 306 Kindern im Alter von 18 bis 36 Monaten zum Wortschatz ihrer Kinder. Studienleiterin Dr. Anja Gampe vom Gerhard Mercator Graduiertenkolleg der UDE erklärt: „Jeweils ein Elternteil hat Schweizerdeutsch gesprochen und das andere Elternteil eine andere Muttersprache wie Spanisch, Englisch oder Türkisch.“ Insgesamt gab es 19 verschiedene Sprachkombinationen. 

Es ist bereits bekannt, dass Erwachsene im Fremdspracherwerb einen Ähnlichkeitseffekt zeigen: je ähnlicher die neue Sprache der Muttersprache ist, desto schneller kann sie erworben werden. Warum es jetzt bei Kleinkindern untersucht wurde, wird im Journal erklärt: Der Hauptunterschied betrifft die zeitliche Struktur des Sprachenlernens. Wortwissen und grammatikalische Strukturen der Muttersprache von Erwachsenen können als Gerüst für das Erlernen der Zweitsprache dienen. Beim bilingualen Erstspracherwerb werden Konzepte und Wortformen in beiden Sprachen zeitgleich erworben.

Man geht in diesem Fall davon aus, dass ähnliche Wörter wie Wasser [ˈvasɐ] im Standarddeutschen und seinem schweizerdeutschen Äquivalent [ˈʋasːəʁ] stärker gegenseitig aktiviert werden, wodurch die Produktion erleichtert wird. „Die Studie zeigt, dass unter den untersuchten Kombinationen Türkisch-Schweizerdeutsch sprechende Kindern weniger Wörter im gleichen Alter produzierten als Hochdeutsch-Schweizerdeutsch sprechende Kinder“, führt Gampe aus.

Entwicklungsunterschiede bei Kindern 

Der Wortschatz bilingualer Kinder ist auch im Vergleich zu einsprachigen Gleichaltrigen in der jeweiligen Sprache geringer. Zweisprachige Kinder bekommen weniger Input pro Sprache, also hören Wörter seltener. Sie müssen die Zeit auf zwei Sprachen aufteilen. Wenn man beide Sprachen zusammennimmt, produzieren bilinguale Kinder aber gleich viele oder sogar mehr Wörter. „Bilinguale Kinder haben trotzdem Vorteile“, erklärt Studienleiterin Gampe. „Sie kommen viel häufiger in die Situation, dass sie ein Wort benutzen, das der Gegenüber nicht versteht“, erzählt die Studienleiterin. Verbale „Verspätungen” können sie daher mit anderen Mitteln kompensieren, so Gampe: „Bilinguale Kinder können mehr Informationen mit den Händen, also in einer Geste, ausdrücken und sich besser an ihren Gesprächspartner anpassen.“ 

Auch Faktoren wie der sozioökonomische Status der Eltern und die Identifikation mit der Sprache tragen zu einem unterschiedlichen Wortschatz bei. „Je diverser die Möglichkeiten, die dem Kind in der Welt zur Verfügung stehen, desto einfacher und schneller kann es die Sprachen erlernen“, weiß Gampe. Dabei lernt man diejenige Sprache besser, mit der man sich identifiziert und wohlfühlt. „Wenn man hauptsächlich deutsch im Alltag oder im Kindergarten spricht, dann kann es die Sprache sein, in der man sich gerne ausdrücken möchte, obwohl zuhause eine andere Sprache gesprochen wird“, so die Studienleiterin.


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