Warum eine junge Ärztin beschloss, trotz Bedrohungen Schwangerschaftsabbrüche anzubieten

Gastautorin: Sophie Schädel | Bild: Die Ärztin Gabie Raven bei einem feministischen Protest gegen Abtreibungsgegner:innen. [Foto: Sophie Schädel]

Gabie Raven (61) ist in den Niederlanden bekannt: Sie betreibt drei Praxen für Schwangerschaftsabbrüche. Nun expandiert sie nach Dortmund. Allerdings nicht aus wirtschaftlichen Gründen. Sie bekommt für ihre Arbeit Hass und Hetze zu spüren, da radikale Abtreibungsgegner:innen vor ihrer neuen Tagesklinik protestieren. Dass sie sich all das antut, liegt an Erfahrungen, die sie schon als junge Ärztin kurz nach dem Medizinstudium machte.

1986, als Gabie Raven gerade 25 Jahre alt war, arbeitete sie in einem Missionskrankenhaus im afrikanischen Sambia. Immer wieder seien Patientinnen mit für sie unerklärlichen Beschwerden in die Klinik gekommen. „Ich war so blöd, ich habe lange nicht verstanden, was mit ihnen los ist“, erinnert sich die Ärztin. Nach einem halben Jahr habe sie das Vertrauen der Frauen gewonnen und erfahren: Sie waren schwanger, und ein Schamane hatte mit einem Kräutertrunk einen Abbruch versucht. Viele Frauen habe das das Leben gekostet. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) kennt das Problem. Sie geht davon aus, dass weltweit rund 5 bis 13 Prozent der Müttersterblichkeit auf unsichere Abtreibungen zurückgehen. Raven erinnert sich, wie entsetzt sie damals in Sambia war: „Das ist doch wirklich schrecklich, dass Frauen sterben müssen, nur weil sie kein Kind wollen!“ Als die Ärztin zurück in die Niederlande kam, fing sie in einer Praxis für Schwangerschaftsabbrüche an. Sie wusste: Die Aufgabe ist unbeliebt, niemand will diese Eingriffe vornehmen. „Ich dachte: Na gut, dann mache ich das jetzt mal fünf Jahre und suche mir dann was anderes. Das ist jetzt 30 Jahre her.“

Nur wenige deutsche Ärzt*innen bieten noch Abbrüche an

Heute sind ihre Haare grau, Lachfalten haben sich rund um die blauen Augen ins Gesicht gegraben. Raven ist eine Frau mit Haltung, die sie klar und deutlich ausspricht – mit niederländischem Akzent und dem ein oder anderen Fluch in den Telefonhörer, als sie im Interview über ihre Erfahrungen spricht. Dank ihrer deutschen Mutter und drei Jahren Arbeit in hiesigen Praxen beherrscht sie auch die deutsche Sprache gut.

In den 30 Jahren seit ihrem ersten Schwangerschaftsabbruch hat Raven viel erlebt. Anfeindungen evangelikaler Christen, die mit einem gelben Bus vor ihrer Praxis in Rotterdam auftauchen und versuchen, das Viertel gegen sie aufzuhetzen. Und immer häufiger verzweifelte deutsche Patientinnen, die über die Grenze kommen, weil ihnen zuhause niemand hilft. „Die Frauen in Deutschland finden manchmal lange keinen Arzt, der den Abbruch macht. Und dann sind sie in der 14. Woche nach Empfängnis, und es ist zu spät“, berichtet die Ärztin.

Tatsächlich fehlen in Dortmund wie in ganz Deutschland Ärzt:innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. In Dortmund haben vor zehn Jahren noch neun Praxen Abbrüche vorgenommen; heute sind es mit Gabie Ravens Tagesklinik vier. Das entspricht auch der bundesweiten Entwicklung: Zwischen 2003 und 2022 hat sich die Anzahl an Praxen und Kliniken für Schwangerschaftsabbrüche laut dem Statistischen Bundesamt halbiert.

Angehende Gynäkolog:innen lernen den Eingriff nicht

Das hat viele Gründe: Im Medizinstudium und der Facharztausbildung wird der Eingriff meist nicht gelehrt. Wer in Deutschland Fachärzt:in für Gynäkologie wird, hat in der Regel noch nie eine Abtreibung durchgeführt. Wer möchte, übt den Eingriff an Papayas.

Außerdem sind Abbrüche in Deutschland illegal und nur unter bestimmten Regeln wie beispielsweise einer zeitlichen Frist straffrei – für Ärzt:innen wenig attraktiv. Auch die Stigmatisierung und der Protest von Abtreibungsgegner:innen machen Angst. Zusätzlich gehen die Ärzt:innen aus der 68er-Generation, die sich für das Recht auf Abtreibung einsetzte, aktuell nach und nach in Rente und finden keine Nachfolge.

Gabie Raven füllt mit ihrer Dortmunder Klinik also eine wichtige Versorgungslücke. Anders als die meisten deutschen Kolleg:innen hat sie sich auf Abbrüche spezialisiert. „Ich habe gemerkt, dass es schwer ist, etwas gut zu machen, wenn man es nur selten macht.“ Außerdem will sie ihren ungewollt schwangeren Patientinnen nicht zumuten, im Wartezimmer neben glücklich Schwangeren im achten Monat zu sitzen.

Also bietet sie in ihrer Praxis in Dortmund ausschließlich Abbrüche an. Ab Januar plant sie zusätzlich Vasektomien, also Sterilisation von Männern, perspektivisch auch Beratung zum Thema Verhütung. „Das ist mir wichtig. Wir wollen die Frauen ja nicht noch mal für einen Abbruch sehen.“

Drohungen und antisemitische Hetze: Gabie Raven muss einiges aushalten

Doch in Dortmund trifft Raven auf ungeliebte alte Bekannte: Der gelbe Bus der Abtreibungsgegner: aus Rotterdam ist ihr extra nachgereist, um auch vor ihrem neuen Standort zu protestieren. An ihrem Bus hängen sie ein großes Transparent mit dem Schriftzug „Abtreibung ist Babycaust“ auf. Diese Gleichsetzung eines medizinischen Eingriffs mit der Schoah lässt die Polizei nicht lange stehen: Sie sorgt dafür, dass das Banner nach wenigen Minuten abgehängt wird, und schreibt eine Anzeige.

Der gelbe Bus aus Rotterdam. [Foto: Sophie Schädel]

Gabie Raven und ihr Team kommen heraus und bringen einer feministischen Gegenkundgebung Waffeln und heißen Kaffee vorbei, der die kalten Hände wärmen soll. Online wird Raven und ihren Mitarbeiterinnen explizit gedroht. In einem Blogpost eines bekannten deutschen Abtreibungsgegners ist von US-amerikanischen Zuständen die Rede: „Dort wird in Abtreibungskliniken Feuer gelegt und geschossen. Das gibt es in Europa natürlich nicht. Noch nicht.“

Gabie Raven lässt sich davon nicht einschüchtern. Über Schwangerschaftsabbrüche wird oft hitzig debattiert, da das Thema aufgeladen ist mit Fragen von Leben und Tod, Sexualität und Religion, Freiheit und Gesundheit. Raven selbst sieht Abtreibungen eher nüchtern: „An sich ist es kein politischer Akt. Ich will kein politisches Statement über Frauenkörper machen. Es ist ein normaler Eingriff.“

Manchmal werde sie gefragt, ob sie Abbrüche durchführe, weil sie Kinder hasse, erzählt Raven. „Natürlich nicht“, sagt die dreifache Mutter. „Wir müssen für die Frauen da sein.“ Zu ihr kommen die Frauen nach der verpflichtenden Beratung. Dann zähle nur eine Frage: Wünsche ich mir dieses Kind jetzt? „Wenn die Antwort Nein und die Frau sich in ihrer Entscheidung sicher ist, dann mache ich den Abbruch.“


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