UNSER LAND. 75 Jahre Nordrhein-Westfalen – Eine Jubiläumsausstellung ohne Jubel

Artikel: Selome Abdulaziz | Durch die grüne Eingangstür erkennt man das Haus der Geschichte NRW von Weitem. [Foto: Selome Abdulaziz]

Zum 75-jährigen Jubiläum des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen veranstaltet die Stiftung Haus der Geschichte Nordrhein-Westfalen eine Ausstellung mit dem Titel „UNSER LAND. 75 Jahre Nordrhein-Westfalen“ in Düsseldorf. Unsere Redakteurin war vor Ort und berichtet.

Schon der Ausstellungsort, der sogenannte Behrensbau, ist eng mit der Geschichte Nordrhein-Westfalens verbunden. Die ehemalige Firmenzentrale des Stahlkonzerns Mannesmann AG war einst Sitz der britischen Militärverwaltung, des Ministerpräsidenten und der Staatskanzlei. Das eindrucksvolle Gebäude beherbergt auf der ersten Etage die Jubiläumsausstellung, die bis zum 28. August geöffnet ist. 2028 soll hier das Haus der Geschichte NRW entstehen.

Die Ausstellung ist in acht Bereiche geteilt, die sich an Herausforderungen orientieren, die das Bundesland meistern musste. Damit ist sie nicht chronologisch, sondern thematisch angeordnet. Die Bereiche sind räumlich voneinander getrennt und unterscheiden sich in ihrer farblichen Gestaltung. Der erste Raum behandelt den „Politischen Neubeginn“. Es geht um die Anfangszeit und die Vorgeschichte des Bundeslandes, das am 23. August 1946 von der britischen Militärregierung gegründet wurde sowie um die Zeit des Kalten Krieges. Weitere Themen sind der Strukturwandel in der Kohle- und Stahlindustrie sowie in der Textilindustrie und Landwirtschaft, das wachsende Bewusstsein für die Auswirkungen der Industrie auf die Umwelt, die Bedeutung von Religion für die Menschen in NRW und neue Freiheiten für die Medien- und Kulturbranche.

Neben Faktenwissen und technischen Exponaten wie einer Dieselkatze, die seit den 1960er Jahren im Bergbau für den Transport genutzt wird, spricht die Ausstellung besonders die Emotionen an. Das gelingt durch zahlreiche Zeitzeug:innen, die in kurzen Videos zu Wort kommen. Besonders beeindruckend ist die Rede von Mevlüde Genç, deren Familienangehörige 1993 bei einem rassistischen Brandanschlag auf das Haus der Familie in Solingen ermordet wurden. Sie ruft trotz der Gewalt gegen ihre Familie zur Versöhnung auf: „Ich habe keinen Hass auf euch oder dem deutschen Volk gegenüber. Die Türkei ist meine Heimat und auch Deutschland ist meine Heimat.“ 

Das Thema Vielfalt spielt eine wichtige Rolle in der Ausstellung, die beispielsweise Fluchtbewegungen in das Land thematisiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg werden viele Deutsche aus den ehemals von Deutschland besetzten Ostgebieten vertrieben. Auch aktuelle Fluchtbewegungen werden aufgegriffen und anhand der Geschichte von Yussra verdeutlicht. Sie flüchtet 2014 im Alter von 13 Jahren mit ihrer Familie aus Syrien und lebt seit 2019 in Gelsenkirchen. In einer digitalen Videostation spricht sie über ihre Gedanken zum Thema Heimat: „Ich liebe Syrien, aber ich kann nicht mehr das Wort Heimat für ein bestimmtes Land benutzen. Ich komme aus der Erde und es macht für mich keinen Sinn mehr, dass ich mein Leben für irgendetwas opfere, das nur aus Stein und Sand besteht.“

Ein weiteres emotional aufgeladenes Thema ist das Unglück bei der Loveparade in Duisburg 2010, bei der 21 Menschen starben und mindestens 652 Menschen verletzt wurden. Im Museum ist ein Stein aus der Gedenkstätte für die Opfer in Duisburg ausgestellt, die 2020 verwüstet wurde. Er trägt die Inschrift „Im Gedenken an die Verletzten und Traumatisierten der Lopa 2010“. Auch den Betroffenen und Opfern der Flutkatastrophe 2021, die Teile NRWs besonders stark traf, wird in der Ausstellung gedacht.

Soziale Gerechtigkeit rund um Arbeit und Bildung ist ein weiterer Aspekt. 1972 wurden in dem Bundesland gleichzeitig fünf Gesamthochschulen gegründet, unter anderem in Wuppertal, Duisburg und Essen. Diese vereinten Universität, Fachhochschule und Pädagogische Hochschule an einem Ort und sollten mehr Menschen den Zugang zur höheren Bildung ermöglichen. 2003 wurden die Gesamthochschulen zu Universitäten, das Modell wurde abgeschafft. So wurde aus Bergische Universität – Gesamthochschule Wuppertal die Bergische Universität Wuppertal.

Es gibt verschiedene Arten, die Ausstellung zu erkunden. Media Guides, die online über die Website oder mit einem Leihgerät verfügbar sind, führen auditiv durch das Museum. Außerdem gibt es mehrmals die Woche kostenlose öffentliche Führungen, zu denen man sich online oder vor Ort anmelden kann. Auf Barrierefreiheit wurde geachtet: Es gibt ein Bodenleitsystem für Menschen mit Sehbehinderung und einen Aufzug. Der Mediaguide ist auch in leichter Sprache oder in Gebärdensprache verfügbar.  

Dass die Kurator:innen sich so kritisch mit der Landesgeschichte auseinandersetzen und negative Ereignisse nicht aussparen, ist wichtig. Auch die vielen Bezüge zur Gegenwart zeigen richtigerweise auf, dass viele Probleme, wie der Rechtsextremismus, noch aktuell sind. Es wäre dennoch wünschenswert, dass das künftige Haus der Geschichte noch mehr positive und alltägliche Elemente der nordrhein-westfälischen Geschichte vermittelt. Denn so ist die Ausstellung zwar spannend und lehrreich, aber auch düster.


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