Travis Scotts Utopia – Ein Land jenseits des Plastik-Pops

Artikel: Nikita Verbitskiy | Travis Scott veröffentlicht nach fünf Jahren Wartezeit wieder ein Album. [Foto: Nikita Verbitskiy]

Die Jahre, in denen Rap eine Nische und Subkultur war, sind vorbei. Artists wie Drake, Travis Scott und Post Malone haben geholfen, Rap zum populärsten Genre der Welt zu heben. Eine treibende Kraft dahinter war unter anderem Travis Scotts letztes Album, Astroworld. So konnte der Texaner auf dem Album gleich zwei Megahits mit mehr als einer Milliarde Klicks alleine auf Spotify verbuchen. Gespannt wartete die Hip-Hop Welt auf das Follow-Up, das 2020 in einer Instagram-Caption mit nur einem Wort angekündigt wurde: Utopia.

Das Album begrüßt vielversprechend. Ein unorthodoxes Intro, das auch als Einleitung für das Album dient, gefolgt von einem martialischen Boom-Bap Beat, der einen das Gesicht verziehen lässt. Ein Track, der durch seine Einleitung und Mangel eines Refrains nicht als Single laufen würde, lässt hoffen, dass es sich hierbei tatsächlich um ein Album und nicht um eine Ansammlung potentieller Hits handelt. Seit Jahren leidet das immer populärer werdende Genre unter der Playlist-Krankheit, bei der Künstler:innen das Medium des Albums missbrauchen, um einen Haufen Tracks an die Wand zu werfen und zu schauen, was dran kleben bleibt. Scott kündigte an, das Album erinnere ihn an sein gefeiertes Debüt-Album Rodeo. Eine Ankündigung, die zunächst für Promo gehalten werden kann, stellt sich hier doch als nicht unwahr heraus. 

Ein Beatswitch am Ende des ersten Songs sorgt für eine nahtlose Überleitung in den wundervoll düsteren Track Thank God. Hier treffen wir auf Travis Scotts Signature Sound, der psychedelisch-finster angehauchte Trap, den wir lieben lernten. Seine ins Jenseits verzerrte Stimme heult auf einer eklektischen Melodie, die aus einem Horrorfilm entnommen sein könnte. Auch hier wechselt das Instrumental in der Mitte des Tracks, eine u.a. von Scott im Hip-Hop pionierte Technik, die Hörer:innen spannende Übergänge und facettenreiche Tracks mit Abwechslung vergönnt. 

Von James Blake bis Playboi Carti

Abwechslung findet sich auf dem Album glücklicherweise zuhauf. My Eyes bricht zu Beginn komplett aus dem bisherigen Soundbild aus, schafft es dabei doch sinnig auf diesem Album stattzufinden – und etabliert sich zu einem der absoluten Höhepunkte. Zusammen mit Bon Ivers Justin Vernon und dem Sänger Sampha kreiert Scott hier eine meditativ-verträumte erste Hälfte, eine Collage an Soundschnipseln und Stimmen, die Hörer:innen stimmungsvoll auf den erneut folgenden Beatswitch vorbereitet. Fast unbemerkt wechselt die Stimmung des Songs komplett. Das ist nicht zuletzt der einzigartigen Produktion und dem Sounddesign zu verdanken. 

Travis Scott ist seit jeher bekannt für seine Wahl an Beats und seine eigenen Produktionen, so fing er selbst in der Musikbranche als begnadeter Produzent an. Auch bei Utopia hat er an 15 von 19 Tracks co-produziert. Eben diese Stärke ermöglicht es ihm, die Vielzahl an Stilen und Einflüssen zu einer Erfahrung zu flechten. Ob es der Playboi Carti-Rager FE!N oder der James Blake Closer des Albums ist – Travis Scott schafft es, diese Stile zu vereinen und umtanzt das Gefühl des Zusammengewürfelten meisterhaft. Auch Feature-Gäste sammelt Scott wie Pokémon. Zu den Highlights zählen das Westside Gunn-Feature auf Lost Forever, 21 Savage auf Topia Twins und Future zusammen mit SZA, die auf Telekinesis im letzten Drittel die Show stiehlt. 

Doch kein K-Pop?


Die Schwachstelle des Albums liegt in ihrer aufgeblähten Mitte. Hätte Scott eine Handvoll Tracks den B-Sides überlassen, könnten wir ein stringenteres Projekt genießen. Circus Maximus sollte vermutlich eine Ode an Scotts Mentor Kanye West und dessen Song Black Skinhead sein. Dieser wirkt aber leider nur wie eine dreiste Kopie. Und auch wenn natürlich niemand zu einem Beyoncé Feature nein sagen würde, hätte es Travis Scott diesem Fall mit Delresto gut getan. Am überraschendsten war allerdings die erste Singleauskopplung des Albums, K-POP, zusammen mit Bad Bunny und The Weeknd. Überraschend, da es sich dabei weder um K-Pop, noch um einen Travis Scott Song handelt. Er findet zwar darauf statt, das Projekt wirkt allerdings, als hätte man im Labor versucht einen Hit zu züchten: Zwei Superstars im Pop, die mehrere Sprachen und Kontinente abdecken, ein Name der polarisiert und ein tanzbar-fröhlicher Reggaeton-Beat. Zusammen ein Chaos ohne Persönlichkeit und Authentizität. Der absolute Plastikpop und ironischerweise das genaue Gegenteil vom Rest des Albums.


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