Tempelhof Sounds: Mein erstes Festival seit der Pandemie

Kolumne: Selome Abdulaziz | Auf dem Tempelhof Sounds Festival spielten Bands zwischen Indie Rock und Post Punk. [Foto: Selome Abdulaziz]

Nach zwei Jahren Entzug pilgern Musik-Fans auf der ganzen Welt wieder zu ihren Lieblingsfestivals, um ein paar Tage abzuschalten. Auch ich bin dieses Jahr zum ersten Mal seit der Corona-Pandemie wieder auf einem Festival gewesen.

Vor der Pandemie bin ich gerne auf Festivals gefahren. Ich mag das Gefühl von Abenteuer. Vier Tage ohne Kontakt zur Außenwelt, an einem abgelegenen Ort, das Ernähren von Dosenbier und 5-Minuten-Terrinen. Sogar den kilometerlangen Marsch vom Auto zum Campingplatz mit Rucksack, Zelt und Campingstuhl, bei dem ich mich im Nachhinein frage, wie ich das überlebt habe. Und natürlich die Musik. 

Stundenlanges Stehen im ersten Wellenbrecher, um bei der Lieblingsband einen Blick aus wenigen Metern Entfernung erhaschen zu können. Blaue Flecken nach dem Moshen. Billigen Sangria aus Tetra Paks trinken und überteuerte Pommes essen, während man im Hintergrund den entfernten Klängen einer weniger geliebten Band lauscht und Menschen beobachtet, die lustige T-Shirts oder Hüte tragen. Im Regen tanzen, verkatertes Frühstück mit den Zeltnachbar:innen und Late-Night-Gespräche mit den besten Freund:innen. Das alles macht Festivals zu einem besonderen Erlebnis, auf das die Welt über zwei Jahre lang verzichten musste.

Im Juni starteten die ersten Festivals wie Rock am Ring oder das neue Festival Tempelhof Sounds in Berlin. Dort wage ich mich nach drei Jahre nach meinem letzten Festival inmitten einer Pandemie hin. Da das Tempelhof Sounds ohne Camping ist, fielen einige klassische Erlebnisse weg. Statt im Zelt wache ich in der Berliner Wohnung einer Freundin auf, wir frühstücken Hummus und Tofu statt Dosenravioli. Das Festivalgelände befindet sich nicht auf Feldern eines niedersächsischen Dorfes, sondern auf dem Tempelhofer Feld mitten in Berlin. Wir fahren mit der U-Bahn und laufen knapp 10 Minuten zum Eingang. Nachdem wir unsere Tickets vorgezeigt haben, bekommen wir grüne Bändchen ums Handgelenk gelegt. Ein ungewohntes Gefühl. 

Eine 3G-Kontrolle gibt es nicht. Ich habe trotzdem zuhause einen Test gemacht. Auch Masken sieht man, außer beim Personal, kaum. Trotzdem habe ich wenig Angst, mich anzustecken. Mittlerweile sind Aktivitäten wie feiern gehen und Restaurantbesuche uneingeschränkt möglich und in der überfüllten Straßenbahn oder beim Einkaufen fühle ich mich unwohler als bei dem Outdoor-Festival. Trotzdem ist meine Position privilegiert, da ich nicht zu einer Risikogruppe gehöre.

Das Tempelhof Sounds ist sauberer als die Festivals, die ich gewohnt bin. Statt Dixi-Klos gibt es Wasserspültoiletten und Trockentoiletten für die Ökos. Die meisten Menschen kommen frisch geduscht aus ihren AirBnBs, es liegt kaum Müll auf dem Boden und pöbelnde Besoffene sind rar. Ansonsten ist nicht viel anders als früher. Getränke und Essen auf dem Gelände sind gewohnt überteuert. Die Fans tanzen und singen ausgelassen zu Indie Rock und die Security zieht vereinzelte Crowdsurfer:innen aus der Menge. 

Verliebte Pärchen küssen und stören sich nicht daran, dass um sie herum alle wie verrückt pogen. Aber ich merke, dass ich mich verändert habe. Früher stand ich bei meinen Lieblingsacts immer möglichst weit vorne, um beim Moshpit auszurasten und trank schon vor den ersten Konzerten um 14 Uhr das ein oder andere Bier. Auch das ranzigste Dixi-Klo konnte mich nicht abschrecken und an regelmäßiges Wassertrinken oder Sonnencreme auftragen dachte ich gar nicht. Mittlerweile schaue ich mir Moshpits lieber auf der Leinwand an und tanze bei den meisten Bands mit etwas Abstand zu den Feierwütigen direkt vor der Bühne. Statt Bier habe ich immer Wasser in der Hand, creme mich dreimal am Tag mit Sonnenschutz ein und muss mich zwischen den Konzerten immer wieder hinsetzen. Ich weiß nicht, ob das an der Pandemie liegt oder ob ich einfach nur alt geworden bin.


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter: