Posted in

Studieren ohne Skiurlaub? Yasmin Gannouchi im Interview

Yasmin Celin Gannouchi studiert Kultur- und Medienpädagogik in Merseburg, Sachsen-Anhalt. Seit Januar 25 macht dey polarisierende Videos über Klassismus und Studium. Wir haben mit Yasmin über Studium, Klassismus und Skiurlaub gesprochen.

Ak[due]ll: Du machst seit Anfang des Jahres Videos zum Thema Studium und Klassismus. Warum machst du das?

Weil es ein großes Thema für mich in meiner Uni-Laufbahn war, was mir anfangs noch gar nicht so klar war. Ich dachte, dass alle Studis kein Geld haben und ich glaube, viele Studis haben auch kein Geld. Oft ist es das Geld von deren Eltern. Ich habe mich dann mit ein paar Friends unterhalten und habe gemerkt, dass mein Umfeld vor allem sehr gutbürgerlich geprägt ist, was sicherlich auch daran liegt, dass ich mich mit Kunst und Kultur beschäftige. Letztes Jahr habe ich dann ein Video auf TikTok gemacht. Das hat viele Leute erreicht und ich habe dann gemerkt, dass es vielen Leuten so geht und ich hatte auch Lust, mich mit anderen Arbeiter:innenkindern auszutauschen.

Ak[due]ll: Gab es einen Moment an deiner Uni, wo du gemerkt hast: Ich bin anders aufgewachsen als andere hier?

Das wurde mir schon relativ früh durch kleine Sachen deutlich. Ich habe am Anfang noch kein BAföG bekommen und das war für viele aus meinem Studiengang gar kein Thema. Und ich habe öfter Kommentare zu dem Essen bekommen, was ich mitgebracht habe, weil es sehr eintönig war und langweilig und vielleicht nicht so healthy. Das hat mich tatsächlich sehr lange begleitet. Bis jetzt kriege ich manchmal noch Kommentare dazu, dass ich am Anfang ja so komisches Essen mitgebracht habe.

Ich studiere Kultur- und Medienpädagogik und immer wenn wir über Kulturveranstaltungen sprechen und es darum geht, wie zugänglich die sind, fällt mir das auch auf. Das ist ein sehr beliebtes Thema und wenn es über unterschiedliche Diskriminierungsformen geht, dann merke ich, wie meine Kommiliton:innen über andere Menschen sprechen. Dass sie gar nicht darauf kommen, dass vielleicht auch betroffene Personen mit im Raum sind. Und dass ich anders über Diskriminierung spreche, von der ich selbst betroffen bin, als andere Leute, die im Raum sind, die nicht davon betroffen sind.

Ak[due]ll: In deiner Bio steht: Ski-Urlaub canceln. Was bedeutet Skiurlaub für dich?

Skiurlaub steht für mich symbolisch für eine Situation, in der ich zum ersten Mal richtig gemerkt habe, dass ich in meinem Freundeskreis an der Uni irgendwie außen vor war. Wir waren essen und es ging um die Wintersemesterferien und alle sind in den Skiurlaub gefahren und ich nicht.

Ski-Urlaub ist für mich mit super viel Geld verbunden, Skifahren ist unglaublich teuer, sogar als Unisportkurs. Bei uns kostet das zum Beispiel 600 Euro im Semester. Im Skiurlaub versammeln sich oft weiße, heterosexuelle Personen, die irgendwelche misogynen Songs singen. So stelle ich es mir zumindest vor, ich war ja noch nie im Skiurlaub. Skiurlaub ist für mich: Ganz viele reiche Menschen, mit denen ich meistens gar nichts zu tun haben möchte.

Ak[due]ll: Es gibt eine Unsicherheit, was Jobs in Kunst und Kultur betrifft. Meinst du, dass genau diese Unsicherheit auch ein Grund ist, warum Menschen ohne finanzielle Rückendeckung oder ohne familiäre Netzwerke dort seltener vorkommen?

Ja, das glaube ich auf jeden Fall. Ich habe mich schon oft gefragt, ob ich es nochmal machen würde. Mir war zwar am Anfang schon klar, dass es so ein unsicherer Job ist. Den Taxifahrerspruch, den habe ich auch schon zu hören bekommen, als ich gesagt habe, dass ich Kultur- und Medienpädagogik studieren möchte. Und vor einem Jahr hätte ich sicher gesagt, dass ich lieber BWL studiert hätte als Kultur- und Medienpädagogik, weil mich die Jobperspektive mega traurig gemacht hat. Es gibt auch jetzt noch Momente, wo ich lieber etwas anderes studiert hätte. Gleichzeitig möchte ich unbedingt im Kulturbereich arbeiten, weil es genau das ist, was ich machen möchte. Ich möchte mehr Awareness schaffen, weil ich verstehen kann, wenn man sich im Studiengang mega unwohl fühlt, weil die Leute die ganze Zeit unangenehm und diskriminierend sind.

Einerseits will ich Leute ermutigen. Aber ich verstehe auch jede Person, die sich das nicht traut oder sich dagegen entscheidet, weil sie einfach Angst davor hat. Und gerade jetzt, wo im Kulturbereich so viel gestrichen wird, wird es immer schwieriger, dort überhaupt einen Job zu finden.

Ak[due]ll: Sprechen Studis zu wenig über Geld?

Ich habe das Gefühl, dass viel über Geld gesprochen wird. Es kommt auf jeden Fall auf die Bubble an. Es wird viel über Angebote gesprochen, in welchem Supermarkt kannst du gut einkaufen und wo second-hand shoppen. Es gibt tausende Seminare über Marx und den Kapitalismus, über den die ganze Zeit gesprochen wird. Was mir fehlt, ist eine ehrliche Auseinandersetzung mit Geld, wie man selbst aufgewachsen ist und was man für Möglichkeiten hat. 

Ak[due]ll: Was können Universitäten oder ASten besser machen?

Das wäre dann vor allem Symptombekämpfung, die ist aber auch wichtig. Dazu gehört beispielsweise eine Gruppe, in der man sich austauschen kann, die vielleicht vom StuPa organisiert wird. Allein der Austausch ist schon super hilfreich, wenn man eine Community hat und sich mit Leuten vernetzen kann, fühlt man sich nicht alleine. Das macht viel aus. Und auch Informationen darüber zu bekommen, ob und wo man sich beispielsweise Laptops ausleihen kann.

Ak[due]ll: Warum hat das Thema Klassismus und Studium so wenig Plattform an deutschen Unis?

Weil es sehr viel mit Scham behaftet ist. Ich kenne das ja auch. Ja, ich rede im Internet darüber und ich mache auch Videos, wo ich erzähle, dass ich den ganzen Vormittag wegen einer Rechnung geweint habe. Aber als ich dieses Video hochgeladen habe, war mir das irgendwie auch peinlich.

Über Armut und Klassismus zu sprechen und dann noch mit Leuten aus der Uni darüber zu sprechen, bei denen du irgendwie cool sein willst und bei denen du gut ankommen willst, ist schwierig. Es ist ein bisschen wie in der Schule, du willst nicht als uncool dastehen. Das ist vor allem im Kultur- und Kunstbereich ein Thema. Armut passt da nicht so ganz rein, wenn man auf die Vorurteile hört.

Ak[due]ll: Unter deinen Videos gibt es sehr viel Zuspruch und auch sehr viele Leute, die ihre Perspektive teilen. Aber es gibt auch Kommentare von Leuten, die sich auf den Schlips getreten fühlen von deinen Videos. 

Ich verstehe, wenn Leute sich von meinen Videos provoziert fühlen. Ich habe mit meinen Freunden auch viele dieser Diskussionen und die sagen mir oft, dass sie gar keinen Bock haben, mit mir zu diskutieren, weil ich die ganze Zeit provozierend bin und nochmal den Finger in die Wunde lege. Das habe ich auch schon oft gespiegelt bekommen, aber ich glaube, das ist meine Art zu diskutieren. Meine Erfahrung ist, dass ich Leuten ihr Verhalten zu 100 Prozent spiegeln muss, weil wir sonst nicht vorankommen. Das klingt vielleicht hart, aber manchmal muss es ein bisschen wehtun, damit Leute aufwachen.

Volker (23) schreibt seit September 2023 für die Ak[due]ll. Er studiert Wirtschaftsinformatik an der UDE. Sein Redaktionskürzel ist [vos].