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Selbstversuch: Van-Life für Anfänger:innen

Kolumne: Anna Olivia Böke | An der Algarve ist es ab 21 Uhr verboten, in der Natur zu stehen. [Foto: Anna Olivia Böke]

Jack Johnson Musik, Glorifizierung von Armut, Wild-Camping zum Ärgernis von Anwohner:innen, heuchlerische Hippies – Der Ruf des Van-Life ist von vielen Stereotypen und Kritik durchzogen, aber so muss es nicht immer sein. Unsere sonst Städte-trippende Redakteurin ließ sich auf ein Abenteuer in einem ihr unnatürlichen Habitat ein. 

Hätte man mir vor ein paar Jahren gesagt, dass ich mit einem ausgebauten Van quer durch Europa fahren würde, hätte ich das nie geglaubt. Aber wie es eben so ist: Man verliebt sich, Mann hat einen Van, man lässt sich auf Dinge ein und erlebt Neues. So war das auch bei mir mit dem Van-Life. 

Nachdem ich mich letztes Jahr entschieden habe, aus Seelenfrieden-Bewahrungs-Gründen Weihnachten dieses Jahr nicht nach Hause zu fahren, ergab sich die Möglichkeit, mit meinem Partner nach Portugal zu fahren, um dort in Luz an der Algarve die Feiertage mit seiner Familie zu verbringen. Das sind fast 2500 Kilometer und 23 Stunden reine Fahrtzeit. Auch wenn sich das umwelttechnisch nicht gut anfühlt, liegen die Emissionen für zwei Personen bei einem Flug der gleichen Strecke jedoch bei doppelt so viel CO2-Ausstoß, mit 598 kg statt 299,8 kg (vgl. Quarks CO2 Rechner). Preistechnisch ist außerdem abzuwägen, dass zwar Billigflüge für läppische 15 Euro zu ergattern sind, aber man bei einem Van die Unterkunft stets dabei hat. Die Sprit- und Mautkosten, die vor allem in Frankreich hoch sind, sind lange nicht so teuer wie Flüge, Gepäck und Ferienwohnung zusammen.

Auch wenn ich mich bislang nicht so sehr fürs Surfen begeistern kann, habe ich es lieben gelernt, einfach unterwegs zu sein – mich in Flexibilität, Spontaneität und Genügsamkeit zu üben. Es ist schön, sich mal komplett aus den Alltagsstrukturen zu lösen, morgens mit einem Kaffee direkt ans Steuer zu setzen und noch nicht zu wissen, wo man heute landen wird. Gerade für Arbeitsbienchen und Listen-Fanatiker:innen wie mich ist das eine Challenge. Neben dem Umweltfaktor gilt es aber auch noch andere moralische Faktoren auszuloten.

In den vier Wochen, die wir unterwegs sind, ertappe ich mich selbst dann doch mal beim Cringen über mich selbst. Oft fühle ich mich irgendwie wie ein Eindringling. Ich spreche kein Wort Spanisch, kein Wort Portugiesisch. Als ich das Schild mit dem verlockenden Angebot für tägliche Yoga-Stunden um 9 Uhr im schönsten Garten an der Steilküste entdecke, beiße ich natürlich an, wie es sich für eine weiße Mitteleuropäerin gehört. So stretche ich mich mit anderen Urlauber:innen und ausgewanderten Engländer:innen in der Sonne und kann mein Glück kaum fassen. Und ja, nach der ersten Yoga-Stunde erhielt ich bereits ein Angebot für einen Remote-Job als Nachhilfelehrerin. Zum Arbeiten sitze ich dann viel zu lang im Café „The Studio”, esse Avocado-Toast und freue mich über die tollen 1-Euro-Fundstücke aus dem Second-Hand-Laden nebenan. Ständig fühle ich mich konfrontiert mit der Frage: Lieber als Tourist:in in den teureren Etablissements mein gewohntes Leben nachahmen oder in den einheimischen Kneipen mit meinen unzureichenden Sprachkenntnissen nerven und die Preise in die Höhe treiben? Eine Antwort habe ich noch nicht gefunden.

Fest steht: Portugies:innen haben teilweise echt die Schnauze voll von Van-Lifern. Das Parken mit Vans und Wohnmobilen ist im gesamten Küstengebiet mehrere Kilometer landeinwärts ab 21 Uhr verboten, da es sich um ein Naturschutzgebiethandelt. An beliebten Surf-Stränden wie Zavial findet man Graffitis wie „Stop surf biz!”. Einige Kommentare online berichten von Anfeindungen von Einheimischen, hohen Bußgeldern oder sogar Wohnmobilen, die mit Steinen beworfen werden. Das hat aber auch einen Grund. Einige Tourist:innen hinterlassen Müll, vor allem auch menschliche Hinterlassenschaften in der Natur – man merke: Achtsamkeit und Rücksicht sind das A und O!

Vor- und Nachteile

Das Leben „on the road” ist entschleunigend. Alles dauert etwas länger. Das Kochen mit wenig Utensilien und einem kleinen Gaskocher ist meditativ. Jedoch ist der Urlaub nicht ganz so erholsam wie in einem Airbnb. Ständig muss etwas gemacht werden: Der Wassertank gefüllt, ein Klo oder Schlafplatz gesucht, ständig eingekauft, da wenig Stauraum da ist. Wer also nach der ultimativen Erholung sucht, ist in einem klassischen Urlaub besser aufgehoben. 

Wenn man zu zweit unterwegs ist, lernt man sich spätestens dann sehr gut kennen. So ein Van-Urlaub kann sehr romantisch sein, aber um die Unterhaltungen ums kleine und große Geschäft kommt man einfach nicht herum. Diese müssen auch entweder in Cafés oder im Freien erledigt werden. Das ist besonders morgens und für alle blutenden Menschen sehr nervig. Ohne Periodentasse wäre das ganze um einiges schwieriger zu bewältigen. Über Wochen auf so engem Raum muss man gut kommunizieren können und die ein oder anderen Streitigkeiten aushalten. 

Dazu direkt eine Selbst-Notiz: man braucht weniger Klamotten als gedacht! Es gibt Waschsalons wie Sand am Meer und man kauft auch das ein oder andere Teil. Ich hatte bestimmt nur die Hälfte der Oberteile an, die ich eingepackt habe.

Ein stiller Passagier

Auch ein Auto hat manchmal so seine Zickereien bei einer langen Reise. Wenn also auf einmal der Auspuff qualmt und stinkt, heißt es cool bleiben und als Team strategisch vorgehen. Hier kommen wir zum ersten technischen Helferlein: ChatGPT. Gerade wenn es um Auto-Fragen geht, hat die KI sehr weitergeholfen, denn im Ausland bei jedem Verdacht in die Werkstatt zu fahren, ist teuer und umständlich. Als wir auf dem Rückweg wegen der orange leuchtenden Motorlampe dann doch kurz in Palencia in eine Werkstatt mussten, hat die KI als Dolmetscher:in fungiert und dafür gesorgt, dass wir eine Stunde später wieder weiterfahren konnten. Eine weitere große Hilfe ist die App Park4Night, die durch Erfahrungsberichte anderer Camper:innen in ganz Europa die besten Schlafplätze und Services verzeichnet. So kann spontan ein schönes Plätzchen zum Nächtigen gesucht werden und nichts muss mehr als fünf Minuten vorausgeplant werden. 

Im Großen und Ganzen bin ich ein Fan dieser Form des Urlaubs geworden. Man sieht viel von Europa, zwar etwa 80 Prozent davon sind Autobahn, aber selbst diese sind in Spanien teils von atemberaubender Landschaft und Sonnenuntergängen umgeben. Was definitiv feststeht, ist, dass das Überwintern in Portugal wirklich gut getan hat. Meist 18 Grad und Sonne lassen über wenig Platz, prekäre Pipi-Pausen und periodisches Schwimmbad-Duschen hinwegsehen.