„Queere Menschen haben ein Recht auf Spiritualität, Glauben und Kirche”

Artikel: Freya Pauluschke, Volker Strauß | Illustration: Jacqueline Mundri

Elias ist 23, bisexuell und cis. Er studiert evangelische Theologie an der Theologischen Hochschule Ewersbach, die zum Bund Freier Evangelischer Gemeinde (BFeG), einem Zusammenschluss von ungefähr 500 Gemeinden, gehört. Er möchte Pastor werden, um queeren Menschen einen Raum zu bieten, den sie oft vermissen. Doch wie steht es um die LGBTQ-Community in der Kirche? Ein ehrliches Interview. 

(Disclaimer: Elias versteht Bisexualität nicht als binären, sondern als Oberbegriff für alle Sexualitäten, die nicht ausschließlich auf ein Geschlecht fokussiert sind, also nicht monosexuell.)

ak[due]ll: Was hat dich dazu bewegt Theologie zu studieren, gab es da einen zündenden Moment? Oder war das eher ein Prozess?

Elias: Wir sollten vor allem darüber sprechen, was mich bewegt hat, immer noch Pastor werden zu wollen. In den letzten Jahren gab es Momente, in denen ich überlegt habe, nicht mehr weiterzumachen, weil ich einfach frustriert war von der Kirche und einigen Christ:innen. Aber ich habe mich dann dazu entschieden, hier den Master zu machen und zu versuchen, Pastor zu werden, auch wenn die Berufschancen als queerer Mensch teilweise eingeschränkt sind. Ich habe gemerkt, ich will Pastor werden und zwar als ich, Elias, wo auch meine Bisexualität und die Diskriminierungserfahrungen dazugehören. Ansonsten bin ich ja super privilegiert, ich bin weiß, cis, Mann, aus dem Mittelstand, das sind ja alles Aspekte, wo ich Diskriminierung gar nicht kenne.

Ich will Pastor werden, gerade für die, die eben nie in eine Gemeinde gegangen sind, weil sie dachten, dass sie als queerer Mensch da gar nicht hingehören oder Angst hatten, diskriminiert zu werden. Ich will Pastor werden für die, die mal da waren, aber gegangen sind oder rausgeschmissen wurden. Ich will für die da sein, die da sind und sind wie ich und sich nicht trauen darüber zu reden, weil sie Angst haben, ihr soziales Umfeld zu verlieren. Queere Menschen haben eben auch ein Recht auf Spiritualität, Glauben und Kirche.

ak[due]ll: Wie würdest du deine Erfahrungen als bisexueller Theologiestudent beschreiben?

Elias: Ich bin einer der ersten offen queeren Studierenden an meiner Uni, damit stehe ich ständig im Fokus und stehe auch immer stellvertretend für die queere Community. Auch in unserem Gemeindebund stehe ich im Fokus, denn durch die enge Vernetzung, wurde mein Outing sehr breit diskutiert. Es ist anstrengend, weil das Thema oft präsent ist, selbst wenn ich versuche, es auszublenden. Auch in manchen Diskussionen merke ich, dass sich die Dynamik ändert einfach, weil ich anwesend bin und die Leute nicht so offen sprechen, wie sie es sonst tun würden.

Es ist frustrierend, weil ich mitbekomme, wie lange Prozesse dauern, also sowohl in Gemeinden, christlichen Organisationen, Hochschulen und Gemeindebund, weil sich viele mit dem Thema Queerness noch nicht ausreichend auseinandergesetzt haben und Zeit brauchen, sich damit zu beschäftigen. Wenn du gar nicht weißt, worum es geht, dann machst du viele Sachen, die den Menschen nicht gerecht werden, weil du das nicht einschätzen kannst. So gibt es zum Beispiel Veröffentlichungen von meinem Gemeindebund wo nur von Homosexualität die Rede ist, nicht mal von Bisexualität oder anderen queeren Themen.

Foto: privat

ak[due]ll: Wie wichtig ist die Thematik denn aus theologischer Sicht?

Elias: Einige betrachten das tatsächlich als eine der Grundfragen, an der sich die Grundfragen menschlicher Existenz und der Heilsfrage entscheiden. Also inwiefern man errettet wird oder nicht und wer tatsächlich Christ:in ist und wer nicht. Andere sagen aber auch: „naja, es ist eine ethische Frage, die uns nicht so sehr tangieren darf“. Hier gibt es Miteinander und auch Gegeneinander, weil da Leute mit ganz verschiedenen Zielen sitzen. Manche haben queere Menschen im Blick und wollen sich für uns einsetzen, andere sehen aber auch die Gemeindemitglieder, die mit dem Thema überfordert sind, Angst haben und die man auch nicht verlieren will. Man kann nicht sagen, dass  sich nicht mit dem Thema auseinandergesetzt wurde. Aber man hätte andere Fragestellungen einbeziehen können: zum Beispiel, was es für queere Menschen bedeutet, wie Diskriminierung aussieht und wie wir gegen sie vorgehen können und uns gerade als Kirche gegen Ungerechtigkeit einsetzen sollten. Man hätte queere Menschen mehr in den Fokus stellen können, anstatt nur andere Leute über uns reden zu lassen. Das fehlt mir total.

ak[due]ll: Hat sich denn das deutsche Christentum in den letzten Jahren in Bezug auf LGBTQ-Themen verändert?

Elias: In den letzten Jahren hat sich schon einiges getan. Also es gibt jetzt zum Beispiel in der evangelischen Kirche einige Pfarrpersonen, die queer und auch geoutet sind und sich für Sichtbarkeit einsetzen, es gibt queere G*ttesdienste, queere Andachten und Andachtskollektive, queersensible Seelsorge und viel Literatur dazu, auch aus dem kirchlichen Kontext.

Ich war beispielsweise beim evangelischen Kirchentag in Nürnberg dieses Jahr. Da gab es eine Location, die sich nur mit queeren Themen auseinandersetzte, da fanden vier Tage lang Podiumsdiskussionen, Vorträge und etc. explizit für Queerness statt. Queersein ist viel akzeptierter, es ist viel mehr sichtbar, es wird sich viel mehr auch gegen Ungerechtigkeit gewandt. Es gibt viele Pfarrpersonen, die auch Instagram haben und da ganz viel berichten, ganz viele Podcasts.

In der katholischen Kirche gab es zum Beispiel die Out-in-Church-Bewegung. Da haben sich ganz viele katholische Mitarbeitende deutschlandweit zusammengetan und so ein Videoprojekt produziert, wo sie sich gemeinschaftlich geoutet haben. Das hat natürlich Wellen geschlagen, weil vom Vatikan aus, ist Queerness  kritisch gesehen und da gibt es aber eben viele Deutsche, die sich dafür eingesetzt haben. In der katholischen Kirche gibt es auch Menschen, die sich für die Belange der LGBTQ-Community einsetzen und Sichtbarkeit schaffen, das wäre vor 20 Jahren gar nicht denkbar gewesen, genauso wie dass sich eben einzelne katholische Kirchen und Angestellte auch explizit gegen Vorgaben aus dem Vatikan richten und zum Beispiel gleichgeschlechtlich Paare segnen. Da sind wir als Freikirchen  später dran, weil einige Freikirchen auch ein bisschen konservativer sind, obwohl Freikirche nicht gleich konservativ heißen muss, ist auch ganz wichtig. Es gibt zum Beispiel eine Baptistengemeinde, die einen schwulen Pastor angestellt hat. Das sind aber eher noch Einzelfälle.

ak[due]ll: Gibt es in der Kirche einen Diskurs, der sich mit Bisexualität beschäftigt? In unserer Gesellschaft werden bisexuelle Menschen  häufig belächelt.

Elias: Ich erlebe gesamtgesellschaftlich Biphobie oder Bifeindlichkeit und das erlebe ich im kirchlichen Kontext auch sehr stark, besonders im freikirchlichen Kontext, weil da häufig die Auseinandersetzung fehlt. Bei uns im Bund zum Beispiel wird gerade nur über Homosexualität geredet. Ich erlebe auch, dass sehr viele Menschen dann damit überfordert sind, wenn ich sage, ich bin bisexuell, weil sie dann denken, „oje, ich bin nur mit Homosexualität noch gar nicht fertig, was ich dazu denken soll und jetzt kommst du mit einem neuen Begriff“. Und dann denke ich mir: „sehr gut, bei LGBTQ sind wir jetzt beim dritten Buchstaben schon überfordert“. Ich finde schade, dass das so langsam läuft. Ich verstehe aber natürlich auch, dass man Zeit dafür braucht. Ich habe selber auch sehr viel Zeit dafür gebraucht.

Es wird ein Dualismus aufgemacht: Die gute, gesunde Heterosexualität und die schlechte, krankhafte Homosexualität. Das ist auch etwas, was an mich herangetragen wurde, weil ich mich als Teenager  in Mädchen und Jungs verliebt habe. Wenn ich mich in Mädchen verliebe, dann ist das gut, weil ich soll ja auch eine Frau heiraten und hetero sein und das will G*tt segnen. Und sich in Menschen anderer Geschlechter zu verlieben ist etwas, was vom Teufel kommt, was Anfechtung ist, was Krankheit ist, was loswerden muss, was man wegbeten muss. Deswegen habe ich sehr lange gebraucht, um zu verstehen, dass ich bisexuell bin, und dass das alles ein Teil von mir ist. Sowohl die Anziehung zu den gleichen oder ähnlichen Geschlechtern und zu anderen Geschlechtern, als auch meine Spiritualität. Das alles gehört zusammen. Und da erlebe ich, dass viele damit immer noch verwirrt sind und das nicht einordnen können, wenn sie mich kennenlernen und dann merken, okay, irgendwie passt das für mich gar nicht zusammen.

„Bei LGBTQ+ sind wir beim dritten Buchstaben schon überfordert.“ [Illustration: Jaqueline Mundri]

ak[due]ll: Welchen Rat würdest du anderen queeren Personen in der Kirche geben?

Elias: Lass das Ringen zu. Es ist ganz selbstverständlich, sich mit sich, seiner Sexualität und seinem Glauben auseinanderzusetzen und das zu müssen. Und ich finde es ganz wichtig, das zuzulassen und nicht einfach zu unterdrücken. Es ist auch ganz normal, da Zeit zu brauchen. Ich selbst habe 10 Jahre gebraucht, um von meinem „Oh, vielleicht bin ich queer“, zu, „ich bin bisexuell“, oute mich und es ist okay und ich kann das mit meinem Glauben vereinbaren.

Zweitens, mein Standpunkt muss auch nicht der Standpunkt von allen sein. Ich kenne auch Christ:innen, die anders mit ihrer Sexualität umgehen und das möchte ich nicht abwerten. Ich habe meinen Weg gefunden, kann aber auch nicht sagen, so muss es für alle sein. Das finde ich in Diskussionen dann ganz schwierig, wenn das gegeneinander ausgespielt wird. Ganz wichtig: Deine Sexualität wird dich aber niemals von G*tt trennen. Denn das kann nichts und niemand, in Römer 8:39 steht, dass uns nichts von G*ttes Liebe trennen kann. Das habe ich erst nach 10 Jahren Auseinandersetzung verstanden. Mein Glaube ist echt, auch wenn ich queer bin und mich oute. G*tt liebt dich, so wie du bist. Punkt. Daran ändert sich auch nichts.

Gib nicht auf nach Christ:innen zu suchen, die selbst queer sind oder Allies sind. Denn auch, wenn ganz viele Leute dir sagen werden, du bist der:die Einzige, das stimmt nicht. Es gibt uns, wir sind viele, wir sind vernetzt und wir nehmen auch gerne alle neuen Menschen auf, die auf der Suche sind oder Gemeinschaft und Support brauchen.

Ich habe mich lange Zeit nicht getraut, mich an Andere zu wenden oder Gemeinschaft zu suchen. Aber gerade das hat mir geholfen, Selbstbewusstsein zu bekommen und zu merken, ich bin kein Alien. Vernetz dich! Und oute dich dann, wenn es für dich gut ist, wenn du dich wohlfühlst, wenn du ein Support-System aufgebaut hast. Kirche war und ist manchmal ein Ort, der hart für queere Menschen ist. Du brauchst Support, Leute, die dich  freundschaftlich, familiär, seelsorgerlich auffangen können. Und gleichzeitig die Hoffnungsperspektive. Da sind ganz viele Menschen, die daran arbeiten, dass Kirche zukünftig anders aussieht. 

ak[due]ll: Was können Pastor:innen und Theolog:innen anders machen, um queere Menschen zu empowern?

Elias: Zuerst einmal sich selbst mit Queerness auseinandersetzen. Weil, wenn man sich als Pfarrperson, Pastor:in oder Theolog:in  selbst nicht damit auseinandergesetzt hat, tritt man in Fettnäpfchen, die man vermeiden könnte. Das ist ganz wichtig, um einfach zu verstehen, worum es überhaupt geht. Brauchst du irgendwas? Was genau brauchst du? Häufig werden Dinge für queere Menschen getan, die wir gar nicht wollen oder die gar nicht hilfreich erscheinen. Und dann auch zu fragen, „möchtest du Teil davon sein?”, aber niemals die Forderung stellen, dass man das machen muss. Denn das geht nicht. Also eine diskriminierte Person aufzufordern: „ja, dann hilf uns bitte damit umzugehen”. Nein. Die Kirche und der:die Theolog:in muss das machen. Und wenn die Menschen nicht einbezogen werden wollen, dann ihnen Schutzräume schaffen in der Kirche, sodass sie in der Kirche sein können, ohne sich mit ihrer Diskriminierung auseinandersetzen zu müssen. Ich würde mir wünschen, dass Seminare über queeres Leben und Antidiskriminierung für die Kirchengemeinden angeboten werden, und dass diese für Ehren- und Hauptamtliche auch verpflichtend sind. Weil da einfach die Kompetenz fehlt, die wir heutzutage brauchen.

Sichtbarkeit zeigen. Da gibt es ganz viele Möglichkeiten. Auf der Website und bei Social Media kommunizieren, dass man tatsächlich willkommen ist. Auch mit Symbolik arbeiten, mit Regenbogen oder auch explizit darauf hinweisen, dass auch queere Menschen willkommen sind. Es gibt viele Kirchengemeinden, die irgendwo stehen haben, bei uns sind alle willkommen, dann kommst du als queerer Mensch und merkst: Oh, doch nicht. Das ist das Schlimmste eigentlich. Gerade queere Menschen werden oft aus Kirchen ausgeschlossen oder müssen gehen.

Ich kenne zum Beispiel jemanden, der seine Gemeinde verlassen hat, weil er wusste, dass wenn er bleibt, sich die Gemeinde an dieser Frage spalten wird. Das wollte er nicht, also ist er gegangen, hat aber seitdem keine Gemeinde gefunden, in der er sich so wohlfühlt wie in seiner damaligen. Wenn er jetzt in eine Gemeinde kommt, wo auf der Website steht, hier sind alle willkommen und in der Predigt wird er auf einmal als Sünder bezeichnet, dann geht er irgendwann auch mal zehn Jahre nicht mehr in den G*ttesdienst.

Es gibt Kirchengemeinden, die haben Regenbogenflaggen an der Kirche befestigt. Das ist nicht zu unterschätzen, wie ermutigend und berührend das sein kann. Beim CSD waren evangelische Kirchen vertreten, manche sogar mit eigenem Truck. Das hat unglaublich viel positive Rückmeldung gegeben, weil viele gesagt haben: „Krass, ich war ja auch mal in der Kirche und bin rausgegangen, weil ich das nicht mehr konnte. Wie schön zu sehen, dass es wieder geht.”

ak[due]ll: Sollten die Kirchen Versöhnungsarbeit leisten?

Elias: In Vergangenheit und Gegenwart ist und passiert immer noch viel Schreckliches in der Kirche. Machtstrukturen, Rassismus, Sexismus, Klassismus, Queerfeindlichkeit, Gewalt, Diskriminierung etc. Es wurde quasi gegen alle geschossen, die nicht absolut privilegiert sind. Das System funktioniert so nicht. Es widerspricht allem, was Jesus gepredigt hat. Er ist  immer zu denen gegangen, die aus dem System rausgefallen sind. Jesus war nicht weiß, kein Christ, sondern Jude und würde heute auch unter Antisemitismus leiden.

Wir als Kirche müssen Versöhnungsarbeit leisten, wir müssen uns entschuldigen, wir müssen bekennen, was wir falsch gemacht haben und um Vergebung bitten. Das passiert teilweise. Zum Beispiel hat die evangelische Kirche Hessen-Nassau ein Statement veröffentlicht, in dem sie sich entschuldigt hat und um Vergebung bittet. Das machen viele aber noch nicht. Das muss auch damit einhergehen, es in Zukunft anders zu machen.

G*tt liebt jeden Menschen, G*tt ist auch im OP-Raum bei der Transitions-OP von trans Menschen und hält deine Hand. Sie ist auch bei Dragshows in der ersten Reihe und feuert dich an. Und They ist auch dabei, wenn du vor Gericht bist und deinen Geschlechtseintrag, deinen Namen ändern möchtest und du in den Raum rein musst, und vorne auf dem Schild steht dein Deadname. Ich glaube, dass G*tt da ist, dich umarmt und mit dir da durchgeht. Wenn wir das nicht im Blick haben, dass G*tt genau an diesen Orten ist, sondern nur an Orten, an denen wir meinen, als privilegierte Menschen sein zu können, dann läuft da was falsch und das ist auch nicht die Kirche, die Jesus widerspiegelt.

ak[due]ll: Was veranstaltet die Kirche, um queere Inhalte zu vermitteln?

Elias: Es gibt Antidiskriminierungsseminare, in denen besprochen wird, wie Diskriminierung überhaupt aussieht und welche Formen es gibt. Man lernt Begriffe und Beispiele und kann sich austauschen. Außerdem gibt es oft Settings, wo queere Menschen interviewt werden und vor allem biografisch erzählen, wie sie das Queer-Sein mit ihrem Glauben vereinen können. Sowas ist natürlich sehr persönlich. Beim Kirchentag gab es viele Podiumsdiskussionen, wo auch queere Menschen und Allies eingeladen wurden. Es wurde darüber diskutiert, wie wir als Kirche mit zum Beispiel der Segnung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften umgehen. 

Wenn ihr euch für Queeres Leben in der Kirche interessiert, hat Elias euch ein paar weiterführende Links zusammengestellt:

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