Autorin: Freya Pauluschke | Illustration: Jacqui Mundri
Eine Forschungsgruppe des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin und des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) initiierte das Projekt „Gender Award Gap“. Wissenschaftliche Preise in der Medizin werden unterdurchschnittlich häufig an Frauen vergeben. Es gilt herauszufinden, inwiefern ein „Gender Award Gap“ in der Medizin in Deutschland präsent ist. Wir haben mit Annegret Dreher über das Projekt gesprochen.
Seit 2000 waren unter allen Preisträger:innen des Nobelpreises für Naturwissenschaften 7,3 Prozent Frauen. Betrachtet man den Nobelpreis nur für die Medizin, liegt der Anteil im Zeitraum von 1900 bis 2022 bei 5,3 Prozent. Nun forscht ein Team aus Wissenschafts- und Medizinhistoriker:innen und Gesundheitswissenschaftler:innen der HHU an dem sogenannten „Gender Award Gap“. Der Begriff ist angelehnt an das bekannte Phänomen des Gender Pay Gap. Ziel ist es, das Ausmaß des geschlechtlichen Missverhältnisses bei Preisvergaben der Medizin in Deutschland herauszufinden. Das Projekt soll im September 2024 abgeschlossen werden.
Hintergrund ist, dass Preise und Auszeichnungen im Bereich medizinischer Forschung, Physik, Chemie und Physiologie unterdurchschnittlich häufig an Frauen vergeben werden. Aber auch die Art der Preise wird bei dem Projekt berücksichtigt. „Frauen erhalten weniger renommierte oder hoch dotierte Preise als Männer. Außerdem erhalten Frauen mehr Preise für die Lehre oder für ihr soziales Engagement, aber weniger für ihre Forschungstätigkeit und ihr Lebenswerk“, bemerkt Annegret Dreher, Epidemiologin und Teil des Forschungsteams. Dabei seien letztere in der Wissenschaft wesentlich höher angesehen und ausschlaggebender für die Karriere.
Das Arbeitsprogramm des Projekts besteht aus verschiedenen Säulen. Die erste Säule ist die Erhebung sämtlicher Preise der Medizinischen Fachgesellschaften in Deutschland. „Aus dem englischsprachigen Bereich wissen wir, dass es bereits Hinweise auf einen Gender Award Gap gibt, aber aus dem deutschsprachigen Raum gibt es noch keine Zahlen dazu“, erklärt Dreher. Das Team analysiert unter anderem das Geschlechterverhältnis der Preisträger:innen, die Art des Preises, wie hoch dotiert der Preis ist und welches Ansehen der Preis innerhalb der Fachgesellschaft hat. Die zweite Säule sind Gespräche mit Expert:innen, die beispielsweise in Preisjurys mitwirken oder sonstige Einflüsse auf Preisvergaben haben, um wer einen Preis erhält. Die dritte Säule ist die Öffentlichkeitswirksamkeit: „Wir möchten Awareness für den Gender Award Gap schaffen, aber wir möchten auch Schulungen für junge Frauen in der Medizin anbieten.“

Epidemiologin Annegret Dreher forscht am Projekt „Gender Award Gap“. [Foto: UKD/Universitätsklinikum Düsseldorf]
Die Problematik von Unconscious Bias
Ein weiteres Ziel des Projekts ist es, Strategien zur Erhöhung der Sichtbarkeit von Frauen in wissenschaftlichen Anerkennungsprozessen der Medizin zu entwickeln. Dazu gehören Workshops wie zum Beispiel „Wie bekomme ich einen Preis?“ für Wissenschaftlerinnen als Fortbildungsangebot an der HHU oder die Erstellung einer Anleitung für Mentor:innen zur Formulierung von Nominierungen und Empfehlungsschreiben für Wissenschaftlerinnen. „Empfehlungsschreiben für Frauen werden anders geschrieben als die für Männer. Sie sind zum Teil kürzer und enthalten andere Begriffe, die Wahl der Adjektive ist ganz anders. Die Frau war ‚trotz ihrer Familienleistung fleißig‘, während der Mann ‚exzellente herausragende Forschungen betrieben hat‘“, schildert die Expertin. Die Workshops sollen für Medizinstudierende der HHU angeboten werden. Wenn damit gute Erfahrungen gemacht werden, soll das Konzept an weiteren Unis verbreitet werden.
Einige medizinische Fachgesellschaften verleihen Preise, die nur an Frauen vergeben werden und für die sich auch nur Frauen bewerben können: die „Frauenpreise“. Befürworter:innen sagen, es sei eine Möglichkeit, Frauen durch diese Preise sichtbarer zu machen und Preise zu schaffen, die nach einer Frau benannt sind. Kritiker:innen sagen, „Frauenpreise“ genießen nicht das gleiche Ansehen und fungieren wie ein Extra-Preis für Frauen, die „nicht gut genug“ waren.
Dass sich die Öffentlichkeit mehr für Preise und Auszeichnungen statt für Forschungen und Publikationen interessiere, zeigt, wie ausschlaggebend Preisverleihungen für die Sichtbarkeit und Bekanntheit von Mediziner:innen sind. „Wir wissen, dass Preise zu weiteren Preisen führen und dadurch zu mehr Forschungsgeldern und Berufungen. Wenn Frauen also keine oder weniger Preise erhalten, sind sie weniger sichtbar“, bestätigt Dreher.
Preisjurys und höhere Karrierestufen in der Medizin sind deutlich männerdominiert. Das mag daran liegen, dass Männer gerne Männer fördern und es an weiblichen Vorbildern mangelt, um weiblichen Nachwuchs zu fördern. Der Begriff des „Unconscious Bias“ impliziert, dass alle Menschen eine unbewusste Voreingenommenheit haben. Von der Gesellschaft haben wir unbewusste Denkmuster, die unser Verhalten prägen. Möglicherweise sind diese Paradigmen mit Grund dafür, dass Preise eher an männliche Kandidaten vergeben werden anstatt an Frauen im gebärfähigen Alter, die möglicherweise ausfallen. Die Expertin ergänzt: „Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Frauen weniger Preise bekommen, wenn der Preis nach einem Mann benannt ist. Hier könnte man diskutieren, ob es daran liegt, dass die Jury sich unterbewusst denkt ‚Ein männlicher Preisname gehört zu einem männlichen Preisträger‘ oder die Bewerberin unterbewusst denkt ‚Der Preis ist nach einem Mann benannt, da bewerbe ich mich nicht‘.“ Daher ist in Überlegung, Preise häufiger nach Frauen zu benennen oder neutraler, wie zum Beispiel „Dissertationspreis“ oder „Habilitationspreis“.