Schwerpunkt: Polizeigewalt in Deutschland – Das Fallbeispiel Dramé 

Spätestens seit George Floyd ist das Problem der ausufernden Polizeigewalt gegenüber nicht-weißen Menschen in der öffentlichen Wahrnehmung allgegenwärtig. Zwischen wachsender Kritik und Konterbewegungen wie Blue Lives Matter, bei der Polizist:innen in Schutz genommen werden, wächst die Medienpräsenz des Themas stetig. Deutschland ist dabei von der Problematik nicht ausgenommen: In diesem Fallbeispiel für unseren März-Schwerpunkt besprechen wir das Thema anhand des Prozesses um den Tod von Mouhamed Lamine Dramé. Wir haben für euch die Hintergründe und den bisherigen Prozess zusammengefasst. 

Artikel: Nikita Verbitskiy | Illustration: Ronja Silvana

Der 16-Jährige Dramé fand sich einige Tage vor seinem Tod in einer katholischen Jugendhilfe in der Dortmunder Nordstadt ein. Er kam aus ärmlichen Verhältnissen im Südwesten Senegals nach Deutschland, um Geld für seine Familie zu verdienen. Am 7. März 2022 soll er laut dem WDR Selbstmordabsichten bei einer Polizeiwache geäußert und diese wenig später wieder bestritten haben. Am 8. März saß er im Hof der Jugendhilfe mit einem Messer an seinen Oberkörper gerichtet, woraufhin die Polizei verständigt wurde. 

Bereits 22 Minuten nach dem Anruf fielen sechs Schüsse aus einer Maschinenpistole auf den Körper des 16-Jährigen. Nach erfolglosen Kommunikationsversuchen seitens der Beamten kam es diesen zufolge zunächst zum Einsatz von Pfefferspray und Tasern. Als diese keine Wirkung zeigten und Dramé laut Berichten mit dem Messer in der Hand auf die Beamten zuging, eröffnete ein Polizist das Feuer und traf ihn ins Gesicht, Hals, Schulter, Arm und Bauch. 

Nun stehen er und vier weitere Kolleg:innen vor Gericht. Der Fall Dramé zeichnet sich dadurch als ein Ausnahmefall aus, in dem gegen Beamte der Polizei Anklage erhoben wird. Laut einer Studie der Forschungsgruppe KViAPol an der Ruhr-Universität Bochum kommt es bloß bei 2 Prozent der Anzeigen wegen Körperverletzung im Amt zu einer Anklage, ein Großteil wird eingestellt. 

Angeklagt werden der Schütze wegen Totschlags, drei Kolleg:innen wegen gefährlicher Körperverletzung und der Einsatzleiter wegen Anstiftung zu dieser. Ein wichtiges Detail in diesem Fall sei laut der Rechtsanwältin Lisa Grüter die Tatsache, dass Anklage wegen Totschlags und nicht wegen Körperverletzung mit Todesfolge erhoben wird. Hier liegt ein klarer juristischer Unterschied in der Schwere der Tat vor:  Bei Totschlag steht eine höhere Haftstrafe an. Sie vertritt die Angehörigen des Angeklagten, die für den Prozess nach Dortmund gereist sind. Die anderen Beamten werden wegen ihres Einsatzes von Tasern und Pfefferspray angeklagt, da bereits diese Einsätze laut des Dortmunder Oberstaatsanwaltes Carsten Dombert nicht verhältnismäßig waren. 

Die Prozesstage

Am 19. Dezember 2023 fand der Prozessauftakt im Dortmunder Landgericht statt. In der Anklageschrift wird verlesen, dass von Dramé keinerlei Gefahr für die Beamte oder Andere ausging. Zudem fand die Polizei ihn in einer „statischen“ Lage vor und äußerte weder Aufforderungen, das Messer wegzulegen, noch Androhungen ihrer Maßnahmen. Diese sind allerdings im Polizeigesetz festgelegt und Bestandteil rechtlich korrekten Vorgehens. Kurz vor Ende des Auftaktes meldete sich der Rechtsanwalt des Schützen Fabian S. und verlas eine Erklärung seines Mandanten, er sei rechtens von einer akuten Gefahr ausgegangen, da seine Kolleg:innen ähnlich aggressiv reagierten und die Hautfarbe Dramés habe in dieser Situation für ihn keine Rolle gespielt. 

Eine besonders fallrelevante Ankündigung des Auftaktes fiel durch den Richter Thomas Kelm, der ein mögliches „Beweisverwertungsverbot“ in Betracht zieht. Dabei würden alle zuvor getätigten Aussagen der Angeklagten nicht verwertet werden können, da sie aus der Rolle von Zeug:innen und nicht Angeklagten getätigt wurden. Das könnte dazu führen, dass Aussagen seitens der Polizist:innen umformuliert neu getätigt werden könnten. 

„Du bist unsere letzte Chance

Die folgenden beiden Prozesstage fanden am 10. und 17. Januar statt. An diesen Tagen wurde der Tatbefundbericht des Vorfalls vom 8. August verlesen und die ersten Zeug:innenaussagen getätigt. Der Gruppenleiter des Jugendhauses schilderte seine Wahrnehmung der Situation: Dramé habe eindeutig die Absicht zur Selbstverletzung gehabt, woraufhin er nach erfolglosen Kommunikationsversuchen die Polizei verständigte. 

Ein weiterer Mitarbeiter des Hauses empfing die Polizei vor Ort und schilderte die von ihm vernommene Vorgehensweise, die der Einsatzleiter der Gruppe anordnete: Versuch der Ansprache, falls erfolglos, Einsatz von Pfefferspray, um eine Reaktion hervorzurufen. Sollte diese nicht erfolgen, sollte es zum Einsatz von Tasern kommen. Zum Einsatz der Maschinenpistole soll der Einsatzleiter zu dem Angeklagten Fabian S. gesagt haben: „Du bist unsere Last Chance, unser Last Man Standing”. Außerdem beschrieb der Zeuge, Dramé habe sich nach dem Einsatz des Pfeffersprays „langsam, eher desorientiert wirkend“ bewegt. Im Laufe der Befragung wird es dem Zeugen zu viel. Er bricht unter Tränen zusammen, woraufhin die Befragung beendet wird. 

Am vierten Prozesstag kamen die Angehörigen Dramés zum Prozess dazu. Sie wurden von einem Dolmetscher begleitet, da ihre Muttersprache Wolof ist. Richter Kelm las die Spurensicherung und gesammelten Beweisgegenstände vor, woraufhin die Angehörigen baten, die persönlichen Gegenstände Dramés ausgehändigt zu bekommen, die nicht als Beweismittel notwendig sind. Am fünften Prozesstag, dem 21. Februar, wurden erneut die Mitarbeiter:innen der Jugendhilfe befragt, wobei der zuvor verhörte Mitarbeiter erneut verdeutlichte, dass Dramé sich „langsam“ und „nicht zielorientiert“ auf die Polizist:innen zu bewegte.Ein Kollege widersprach und beschrieb Dramés Bewegungen als schnell und hektisch. Dieser Widerspruch könnte in weiteren Prozesstagen eine erhebliche Relevanz für das Urteil haben. 

Es sind weitere Termine für jeden folgenden Mittwoch bis April angesetzt. Laut Richter Kelm werden einige weitere Termine bis Juli folgen. Mit einem Urteil könne man frühestens im Sommer rechnen, sicher ist das allerdings nicht. Falls ihr selbst an einem Prozesstag dabei sein wollt, ist das möglich, der Prozess ist offen. Jeden Mittwoch ab 09:30 Uhr könnt ihr zum Dortmunder Landgericht, wobei es sich der Erfahrung nach empfiehlt, eine halbe Stunde früher da zu sein, um einen Platz zu bekommen. Sobald es ein Urteil gibt, werden wir euch hier darüber informieren. 


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