Let’s Talk About Sex, Habibi – Queerfeministische Lesung in Bochum

Artikel: Selome Abdulaziz | Der Autor Mohamed Amjahid liest aus seinem neuen Buch „Let’s Talk About Sex, Habibi“. [Foto: Selome Abdulaziz]

Im Rahmen der feministischen Aktionswochen steht in der Bochumer Oval Office Bar der März unter dem Motto „Queer Sex Education“. Am Mittwochabend luden die Veranstalter:innen den Autoren und Journalisten Mohamed Amjahid zu einer Lesung seines neuen Buches Let’s Talk About Sex, Habibi ein. Wir waren vor Ort und konnten dem Autoren einige Fragen stellen.

Das Sachbuch Let’s Talk About Sex, Habibi. Liebe und Begehren von Casablanca bis Kairo verschafft einen Einblick in die Sexualität der Menschen Nordafrikas. Der Autor Mohamed Amjahid wurde in Frankfurt am Main als Sohn sogenannter Gastarbeiter:innen aus Marokko geboren. Er erzählt auf der Bühne, dass ihnen das Essen zu schlecht, das Wetter zu kalt und die Almans nicht nett genug waren. Deshalb gingen sie zurück nach Marokko, wo Amjahid aufgewachsen ist. Als junger Erwachsener kam er für sein Studium wieder nach Deutschland und lebt mittlerweile in Berlin. 

In seinem Buch räumt Amjahid mit rassistischen Stereotypen auf und mischt gesellschaftspolitische Analysen, alltägliche Beobachtungen und eigene Erfahrungen seiner Jugend in Marokko. Witzige Passagen, in denen Amjahid beschreibt, wie er in verschiedenen nordafrikanischen Städten Kondome in Apotheken kauft, treffen auf empowernde Texte über sexpositive Heiligenfeste und Beschreibungen von Unterdrückung queerer und weiblicher Menschen. Im Prolog weist Amjahid auf die Erwähnung sexualisierter Gewalt und Diskriminierung hin.

Die Lesung in der queerfeministischen Oval Office Bar ist gut besucht. Die Veranstaltung soll um 19 Uhr beginnen, schon um zwanzig vor sieben ist Einlassstopp. Einige Besucher:innen erwischen die begehrten Sitzplätze, andere stehen oder setzen sich auf den Boden, um Amjahids Worten zu lauschen. Er sitzt auf einem Stuhl inmitten der Bühne, vor ihm ein kleiner Tisch mit Getränken und seiner Ausgabe von Let’s Talk About Sex, Habibi, in der kleine Post-Its kleben. Im gemütlichen Licht der Leselampe erzählt er, dass er für jeden Ort andere Passagen wählt, bevor er aus dem Kapitel Marokkanischer Striptease vorliest, wie sein Onkel Fouad ihn als Kind mit in einen Stripclub nimmt. Er beschreibt detailliert, wie eine Tänzerin in dem Club einen erotischen Tanz vollführt. Amjahid versteht es, das Publikum zu begeistern. In den richtigen Momenten bringt er einen witzigen Spruch, es wird viel gelacht. Zwischen dem Vorlesen spricht er über seine Motivation, dieses Buch zu schreiben.

Der Autor leistete mit den Büchern Unter Weißen und Der weiße Fleck einen Beitrag zur Aufarbeitung des Alltagsrassismus in Deutschland. Nun habe er das Thema Sex gewählt, um die voyeuristische Art der Menschen zu nutzen, sodass er viele verschiedene Themen ansprechen konnte. Er erzählt, dass er oft mit Klischees konfrontiert wurde, die die Sexualität in Nordafrika betreffen und dass er mit diesen aufräumen wollte. Im Interview berichtet er von der Widersprüchlichkeit der Vorurteile, die ihm begegnet sind. „Zum einen gibt es das Klischee, dass Menschen, die muslimisch gelesen werden, gar keinen Sex haben, weil sie alle prüde und religiös seien.“ Zum anderen würden die gleichen Personen Nordafrikaner:innen hypersexualisieren und behaupten, sie denken nur an Sex. Diese rassistisch aufgeladenen Vorurteile haben Amjahid zufolge den Diskurs in den vergangenen Jahren beherrscht, beispielsweise bei der sogenannten Kölner Silvesternacht, der er in seinem Buch ein Kapitel widmet. „Viele Geschichten über Nordafrikaner:innen werden fremdbestimmt. Ich versuche einen Beitrag zu leisten, dem entgegenzuwirken.“

„Die Realität ergibt keinen Sinn“

Als zweiten Text liest er aus dem Kapitel Mariage Blanc, das seine Tante Afaf thematisiert. Diese ist an Frauen interessiert und nimmt ihn und seine Schwester als Teenager ebenfalls in einen Stripclub mit. Nachdem die ersten zwei Texte humorvoll waren, liest der Autor nun aus einem Kapitel mit ernstem Hintergrund. In Kairo traf er einen Polizisten, der es sich zur Aufgabe machte, schwule Männer über Dating-Apps ausfindig zu machen, sich mit ihnen zum Sex zu verabreden und sie dann von der Polizei abführen zu lassen. Auch in Marokko stehen homosexuelle Handlungen sowie außerehelicher Sex unter Strafe. Wie passt das laut Amjahid mit der Gesellschaft, die er als durchaus offen beschreibt, zusammen?

„Es passt sehr gut und gar nicht so gut zusammen. Die Realität ergibt keinen Sinn.“ Er erläutert: „Alles passiert nebeneinander: das Patriarchat, Queerfeminismus, Emanzipation, aber auch die Unterdrückung vor allem von Frauen. Als Betrachter:innen brauchen wir Durchhaltevermögen, um diese Ambiguität auszuhalten. Das kann die deutsche Gesellschaft noch nicht so gut.“ Er beschreibt einen Widerspruch zwischen der marokkanischen Gesellschaft, die in ihrer Kultur sehr sexpositiv geprägt sei, aber in ihrer Gesetzgebung auf Verbote pocht. Aktuell gebe es in Marokko allerdings eine große Debatte, diese Gesetze abzuschaffen. „In den vergangenen Jahren haben viele queerfeministische Aktivist:innen darauf hingearbeitet.“

Nach etwa einer Stunde ist der erste Teil der Lesung vorbei; es gibt eine kurze Pause, in der Fragen aus dem Publikum auf Zetteln gesammelt werden. Die Moderator:innen ziehen die Fragen aus einer Vase und lesen sie vor. Die erste Frage lautet: „Wann Lesung mit Tante Afaf?“ Amjahid lacht und erwidert: „Erstmal mache ich eine Lesung mit meiner Mutter. Sie will eh 15 Prozent der Einnahmen.“ Das Publikum lacht. Er fährt fort, dass seine Mutter für sein Buch eine wichtige Rolle gespielt habe. Er habe sich mit seinen Tanten, Schwestern und seiner Mutter zusammengesetzt, um seine Erinnerungen abzugleichen und ihre weibliche Perspektive mit aufzunehmen. „Es hat mich gefreut, aber auch überrascht, wie offen die Menschen über bestimmte Geschichten gesprochen haben.“  

Eine weitere Person aus dem Publikum fragt, ob es Unterschiede in der Sexualität Nordafrikas und der Deutschlands gebe. „So anders ist es nicht“, beginnt Amjahid. In einem Kapitel seines Buches beschreibt er, wie ein Mitschüler pornografische CDs an seine Klassenkameraden verteilt. Ein Leser schrieb ihm eine Mail, dass es bei ihm in der Schulzeit in Deutschland genauso ablief. Viele Menschen würden sich in den Geschichten wiedersehen. Ein paar Unterschiede fallen ihm doch ein: „Ich beschreibe ja Heiligenfeste, in denen die Menschen sexpositiv feiern, so etwas gibt es in Deutschland nicht.“ Außerdem beschreibt er im Buch die Atmosphäre im marokkanischen Hamam und kontrastiert diese mit der Atmosphäre in einer deutschen Sauna. „Es gibt also Räume, wo man Gegensätze beobachten kann“, schließt er schmunzelnd.

Zum Abschluss liest der Autor noch zwei unterhaltsame Abschnitte über einen Kondomkauf gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Zeit als begehrtes Heiratsobjekt in seiner Kairoer Nachbarschaft. Mit tosendem Applaus wird die Lesung beendet, Amjahid bleibt aber in der Oval Office Bar, unterschreibt zahlreiche Bücher und plaudert mit dem Publikum. 


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