Kunst (?!) auf der KÖ: Soziale Ungleichheit inmitten goldener Mülleimer

Artikel: Julika Ude | Auf der KÖ in Düsseldorf: Zwischen Luxusgeschäften und Bildern sozialer Ungleichheit. [Foto: Julika Ude]

Die richtige Werbung, große Bekanntheit und „ein Gespür für soziales Ungleichgewicht“ – mehr braucht es nicht, um ein paar Schnappschüsse auszustellen und teuer auf der Königsallee, der „Straße der Reichen“ in Düsseldorf, zu verkaufen. Zumindest wirkt das bei der „Black & White Thinking“ Fotoausstellung des Schauspielers Lars Eidinger so. Warum die Ausstellung für großes Unbehagen bei unserer Redakteurin sorgte und sie bis heute nicht mehr loslässt.

Ein Kommentar von Julika Ude

Black & White Thinking“, die Überschrift einer Fotoausstellung, die mir ins Auge sticht, als ich das Internet nach interessanten Veranstaltungen durchforste. Ich lese weiter: „In seinen Aufnahmen beschäftigt sich der Künstler mit der Tendenz, die Welt in Extremen wahrzunehmen.“ Lars Eidinger mache „mit dem Gespür für das soziale Ungleichgewicht und einem Hang zum Grotesken“ durch seine Werke das sichtbar, was wir im Alltag übersehen. Seine Bilder werden in Düsseldorf und in Salzburg ausgestellt. Am Ende der Beschreibung lässt das Zitat von Hamlet aus dem gleichnamigen Stück „For there is nothing either good or bad, but thinking makes it so“ auf besonders impulsgebende Bilder hoffen. Spannend, denke ich und markiere mir die Internetseite für später.

Rezensionen zu der Ausstellung finde ich keine. Nur weitere Beschreibungen der Ausstellung. Eine Website schreibt, der Künstler „zeigt uns eine Welt voller Nuancen und Zwischentöne und beweist damit, dass Schwarz-Weiß-Denken out ist. Das musst du sehen!“ Mit Freund:innen und hohen Erwartungen im Gepäck mache ich mich also auf den Weg nach Düsseldorf. Ein Fehler, wie ich später bemerken muss.

Mein Navi führt uns nach Düsseldorf zur KÖ-Galerie in den Leica Store, einem Kameraladen, der in einem Extraraum die kostenlose Fotoausstellung anbietet. Im Ausstellungsraum angekommen begrüßt mich das nächste eloquente Zitat, diesmal aus Georg Büchners Drama Dantons Tod: „Die Welt ist das Chaos. Das Nichts ist der zu gebärende Weltgott.“ Eidingers Fotos würden nicht erklären oder kommentieren, sondern offenbaren. Hinter diesem Zitat nehmen mich eine handvoll große, eingerahmte Bilder in Empfang. Auf der einen Seite eine Cowboy-Figur, die auf einem Dach thront und zum Teil hinter Rauch verschwindet. Die Bilder auf der gegenüberliegenden Seite zeigen unter anderem einen Fuchs in Berlin, einen Fahrraddemonstranten in Star Wars Verkleidung – und eine obdachlose Person in Pappe eingewickelt, die neben einem Bankautomaten liegt.

Leid fotografieren, um es auf der Königsallee zu verkaufen?

Das Bild des Cowboys soll darauf aufmerksam machen, dass entgegen gängiger Erzählungen nicht der „Indianer“ der Böse ist, sondern der Cowboy. Ein guter Punkt, denke ich. Die weiteren Bilder sind künstlerisch gesehen keine Meisterwerke, aber witzige Aufnahmen, die einen Widerspruch in sich bergen. Ein Fuchs zum Beispiel, der sich auf den Straßen Berlins fast schon in die urbane Bevölkerung eingliedert.

Das Bild mit der obdachlosen Person lässt mich zum ersten Mal innehalten – dann stutzig werden. Es ist wichtig, für soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit zu sensibilisieren. Doch das Bild ist absurd. Nach Eidingers Interpretation, weil er Geldautomaten als eine Art „Glücksversprechen sieht“ und die Person nur einen Pin Code und eine Metallwand von finanziellem Reichtum entfernt ist. Doch für mich vielmehr, weil ich es als Eingriff in die Privatsphäre empfinde und als überheblich, vermeintliches Leid zu fotografieren und auf der Düsseldorfer Königsallee auszustellen.

Mit diesem Unwohlsein gehe ich in den zweiten Raumteil, um mir die anderen Fotos anzuschauen. Sie werden nicht besser. Rund 30 andere schwarz-weiße Fotografien blicken mir entgegen. Davon ein paar, die fotografisch witzig aufgebaut sind, andere, die einfach stumpf sind. Kurz zweifle ich an mir selber. Erkenne ich die Kunst hinter den Bildern einfach nicht? Aber: Der Baum vor einem Bauzaun erscheint mir einfach nicht als  ausstellungswürdiges Kunstwerk. Eine Freundin von mir trifft den Nagel auf den Kopf: „Weißt du noch, als man mit 10 Jahren eine Kamera in die Hand gedrückt bekommen hat und dachte, man ist es? So sehen diese Bilder für mich aus.“

Bauzäune, Gitterzäune, umgekippte Zäune

Baumwurzeln und Zäune haben es Eidinger anscheinend angetan. Wurzeln, für die eine Lücke in einem Zaun oder einer Holzverkleidung gelassen wurde, werden gleich auf mehreren Bildern abgebildet. Bauzäune, Gitterzäune, umgekippte Zäune sind zu Hauf zu finden. Und zwischen all diesen Bildern gibt es vier oder fünf weitere Bilder, die wohl gemeint waren, als Lars Eidingers „Gespür für soziales Ungleichgewicht“ angepriesen wurde: Eine erwachsene Person im Babywagen sitzend, ein Mann mit Arbeitsklamotten, der erschöpft auf einer Steinerhebung liegt oder ein anderer, der gebeugt neben einer großen Plastiktüte steht. Ich setze mich auf eine Bank im Ausstellungsraum, um meine Gedanken zur Ausstellung zu sortieren. Das unbehagliche Gefühl hat sich tief in meinem Magen festgekrallt. Irritiert blicke ich in die Runde der Fotos um mich herum. Wie kommt diese Ausstellung zustande?

In dem Moment redet ein Freund von den Schauspielrollen, die der Künstler der Ausstellung, der primär Schauspieler ist, in der Vergangenheit besetzt hat. Erst jetzt verknüpfe ich den Namen auf dem Papier mit seiner Person und mir wird einiges klar. Lars Eidinger gilt als einer der renommiertesten Schauspieler und hat zum Beispiel in Richard III oder Hamlet die Hauptrolle gespielt. Welches der Bilder hätte es in die Öffentlichkeit geschafft, wenn Eidinger keinen Namen in der Schauspiel-Szene gehabt hätte?

6.000 Euro für die in Pappe eingewickelte Person

Und welches dieser Bilder würde für so viel Geld verkauft werden? 15.000 Euro kostet der Cowboy auf dem Dach. 3.000 Euro zahlt man für Baum und Gartenzaun. 3.000 Euro für den erschöpften Mann auf der Steinerhebung, die Frau im Babywagen, oder den Mann neben der Plastiktüte. 6.000 Euro für die in Pappe eingewickelte Person neben den Bankautomaten. Es schüttelt mich.

Nicht nur, dass die unspektakulären Bilder der Ausstellung hier hängen und dieses Geld kosten. Absurder wird es bei dem Gedanken daran, dass neben ihnen die Bilder von obdachlosen Personen dort hängen, wo die Mülleimer golden und Handtaschen 3.000 Euro wert sind: auf der Königsallee, kurz KÖ, einer der reichsten Gegenden in Düsseldorf. Wozu kaufen sich Personen, die 6.000 Euro für eines dieser Bilder aufbringen können, Fotos, die soziale Ungleichheit „offenbaren“? Um sich daran zu ergötzen, dass es Menschen gibt, die finanziell am Boden liegen und man selber das Geld dafür über hat, sich das Abbild dieser Ungerechtigkeit ins Wohnzimmer zu hängen?

Auch nach einem zweiten Besuch in der Ausstellung finde ich keinen Frieden mit ihr. Ich lese, dass Lars Eidinger eine Kamera von dem Store, in dem die Bilder aushängen, nutzen sollte, um Fotos zu schießen. Das erklärt die willkürlich zusammengewürfelte Ausstellung. Das heißt aber auch, dass die reiche Gegend, wo die Bilder sozialer Ungleichheit gezeigt und verkauft werden, nicht bewusst gewählt und Teil der Kunst sein kann. Stärker als zuvor frage ich mich: Wissen die Personen auf den Bildern, dass sie fotografiert und ausgestellt wurden? Werden sie jemals einen Cent von den 6.000 Euro zu Gesicht bekommen, die Lars Eidinger und der Store für dieses Bild einfahren? Wie könnte Lars Eidinger in Interviews immer so selbstreflektiert daherreden und ihnen nichts zukommen lassen? Und vor allem: Wie kann es sein, dass es keine (öffentlichen) Stimmen gibt, die ähnliche Punkte an der Ausstellung kritisieren?

Bis heute stelle ich mir diese Fragen. Denn: Nachdem mir Lars Eidingers Management versicherte, bei ihnen mit Fragen zu der Ausstellung an der richtigen Adresse zu sein und ich ihnen daraufhin meine Zweifel zusendete, bekam ich auch nach wiederholter Nachfrage keine Antwort mehr. Deshalb hoffe ich, dass Eidingers „Gespür für soziales Ungleichgewicht“ zumindest so viel Substanz hat, den Personen auf den Fotos einen Teil von seinem Profit abzugeben – oder ihnen zumindest anderweitig etwas Gutes zu tun.

Die Ausstellung „Black & White Thinking“ fand vom 08. Mai bis zum 12. August im Leica Store in Düsseldorf statt. Da eine mögliche Antwort des Managements von Lars Eidinger mit in diesen Text einbezogen werden sollte, erfolgt die Publikation des Artikels erst jetzt.


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