Ja, ich bin ein Jude. Nein, ich glaube nicht an Gott.

Wenn man an das Judentum denkt, haben die meisten eine der drei großen monotheistischen Weltreligionen im Kopf. Allerdings beschreibt das Wort nicht nur religiöse, sondern auch eine kulturelle und ethnische Zugehörigkeit. 

Artikel: Nikita Verbitskiy | Gläubige Juden tragen in der Synagoge und teilweise auch im Alltag eine Kippa. [Foto: unsplash]

Wenn man nicht wie ein:e typische Nordeuropäer:in aussieht, kommt in Gesprächen kurz nach dem Kennenlernen oft die Frage nach der Abstammung auf. Damals „Wo kommst du eigentlich her?“, heute ein etwas reflektierteres „Was sind eigentlich deine Wurzeln?“ stellt im Endeffekt die gleiche Frage, was denn genau an einem nicht Deutsch ist. Die Frage ist bei mir etwas kompliziert zu beantworten. Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen und sehe mich als Deutsch, gleichzeitig sind meine Eltern aus der Ukraine migriert, wozu ich auch eine Verbundenheit spüre. Jetzt kommt auch noch dazu, dass ich jüdisch bin. „Aber ist das nicht deine Religion?“, oder „Ich dachte, du glaubst nicht an Gott“ ist dann bei denen, die mich etwas besser kennen, oft die Reaktion. 

Die Antwort ist dabei ja und nein. Und nein. 

Das Judentum ist eine Religion, das ist richtig. Gleichzeitig sind die Juden allerdings auch ein Volk, das über Jahrtausende nicht an eine Nation gebunden war. Auch heute kann man Juden und Israelis nicht gleich setzen. Nur weil man in Israel wohnt, ist man kein Jude und nicht alle Juden wohnen in Israel oder haben die Israelische Nationalität oder ein Zugehörigkeitsgefühl. Es ist nunmal so, dass das Judentum sowohl die Religion, die Kultur als auch die ethnische Volkszugehörigkeit beschreibt. Dabei kann weiter zwischen aschkenasischen, mizrachischen und sephardischen Juden unterschieden werden. Hier wird beschrieben, in welchen Teilen der Welt die Vorfahren lebten und ebenfalls eine ethnische Unterscheidung vorgenommen. Aschkenasische Juden lebten in Zentral- und Nordeuropa, sephardische Juden in Südeuropa und Nordafrika und die mizrachischen Juden unter anderem im arabischen und persischen Raum. 

Kultur ≠ Religion

Da es sich in diesem Fall um eine spezielle Kopplung der religiösen und ethnischen Identität handelt, entstand mit der Zeit eine Gruppe an Menschen, die zwar weder religiös noch generell gläubig ist, sich doch weiterhin als Teil des Volkes sieht. Auch sieht man eine Verbundenheit zu den einst religiösen Aspekten aus einer kulturellen Perspektive. Ähnlich wie viele Menschen, die Weihnachten ohne christlichen Glauben als Tradition weiter aufrechterhalten, werden religiöse Feiertage mit der Familie verbracht und bestimmte Traditionen weitergeführt, wie zum Beispiel, dass Kinder an Channukah etwas Geld bekommen. Auch zu der Küche, Musik und Kunst, die als „jüdisch“ gesehen werden können, besteht ein Gefühl der Verbundenheit. Es gibt auch, wie bei der Kirche, viele Veranstaltungen und Möglichkeiten, die für alle Juden, ob gläubig oder nicht, zugänglich sind, die von den Synagogen organisiert werden. So zum Beispiel Sportligen, Urlaubsfahrten oder auch die Jewrovision.

Diese von der religiösen Praxis entkoppelte Identifikation wird als „Säkulares Judentum“ bezeichnet. Ja, ich bin ein Jude, nein, ich glaube nicht an Gott. Und bitte fragt nicht, ob ich beschnitten bin.  


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