Halden im Ruhrgebiet: Überbleibsel der Industriezeit werden zu Orten für Renaturierung und Kunst

Text und Foto: Freya Pauluschke

Kohle, Stahl, dampfende Schornsteine und staubige Luft: Das Ruhrgebiet ist geprägt von Industriegeschichte. Erst 2015 schloss die letzte Zeche des Bergwerks Prosper-Haniel in Bottrop. Seitdem in den 1990er Jahren die Umweltverschmutzung der Zechen deutlich wurde, werden Abraumhalden in Renaturierungsräume umfunktioniert. Wir stellen euch die eindrucksvollsten Halden im Ruhrgebiet vor.

Bis zum 18. Jahrhundert war die Landschaft des Ruhrgebiets sehr agrarisch geprägt. Mit der Erfindung der Dampfmaschine und der Erschließung des riesigen Kohlevorkommens veränderte sich die Region ab 1850. Eine erfolgreiche Industrialisierung des Ruhrgebiets gelang. Der damit einhergehende gewaltige Aufschwung verwandelte die Region ins größte europäische Zentrum für Bergbauindustrie. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die durch die Industrie verursachten Umweltschäden immer deutlicher: Flüsse und Bäche wurden zu verpesteten Kloaken wegen der Kohleschlamm-Abwässer, die Luftqualität war miserabel und die enorme Flächennutzung der Zechen nahm Lebensraum von Flora und Fauna. Erst 1999 konnten kontaminierte Böden und Abwässer gründlicher saniert werden mithilfe des Bundesbodenschutzgesetzes. 

Seit dem Schließen der Zechen findet ein Strukturwandel im Ruhrgebiet statt. Es soll der Weg zur Natur gefunden werden, ohne die Industriekultur in den Hintergrund zu rücken. Zwischen 1989 und 1999 entstanden 120 Projekte rundum Renaturierung von Industriebrachen und Abwasserläufen. Industriestätten wurden zu Kunst- und Kulturstätten umfunktioniert. Eine Vielzahl von Denkmälern kann man heute auf der Route der Industriekultur durchs Ruhrgebiet begutachten.

Halde Rheinelbe mit der Himmelstreppe

Die 40 Meter hohe Halde Rheinelbe in Gelsenkirchen wird durch ihren kegelförmigen Gipfel und der darauf thronenden Großskulptur Himmelstreppe von Land-Art-Künstler Herman Prigann ausgezeichnet. Die Halde gehört zu den brennenden Halden, das heißt: im Inneren des Haldenkörpers lodert ein Schwelbrand. Bei Berghalden aus dem Kohlebergbau bleibt meist ein Restkohleanteil von bis zu 20 Prozent, der sich unter Druck in Kontakt mit Luftsauerstoff selbst entzündet. Um einem an die Oberfläche tretenden Brand vorzubeugen, entstand im Rahmen des Industriewaldprojekt Ruhrgebiet Mitte der 90er Jahre durch Aufschüttung der Spiralberg auf dem Haldenplateau. Der Spitzkegel dieses Berges ist nicht begrünt und hebt sich daher mit seinem schwarzen Bergmaterial von der sonst bewachsenen Halde ab. Die Himmelstreppe besteht aus Abfallmaterialien der Kokerei Königsborn. Prigann hat dadurch ein Artefakt der Industriezeit geschaffen, das Kunst, Natur und Industrie verschmelzen lässt.

Halde Beckstraße mit dem Tetraeder

Der 1994 errichtete stählerne Tetraeder auf der Halde Beckstraße gilt als imposantestes Wahrzeichen Bottrops. Die Großskulptur dient als Aussichtsplattform über das Ruhrgebiet und ist als Landmarke schon von weitem sichtbar. Die Halde Beckstraße ist mit 72 Metern eine der höchsten im Ruhrgebiet. Von 1969 bis 1993 wurde hier Abraum von der Zeche Prosper aufgeschüttet. Ihren Namen erhielt die Halde durch die an ihr vorbeiführende Beckstraße. Als Tafelberg aufgebaut führen Serpentinenwege auf das Plateau, auf dem sich der 50 Meter hohe Tetraeder erhebt. Auf vier tragenden Säulen schwebt das Stahlgerüst über der Halde. Besucher:innen können über Treppen auf drei Aussichtsplattformen gelangen und über Essen, Bottrop, Oberhausen, Duisburg und bei gutem Wetter sogar bis nach Düsseldorf schauen.

Der Rest des Haldenplateaus ist mit einer gewölbten Stein- und Kiesfläche bestückt. Hier entstand im Jahr 2008 ein skandalöses Kunstwerk eines Bottroper Künstlers, es wurde von niemandem in Auftrag gegeben. Es stellte Aliens aus unterschiedlich hellen und dunklen Steinen dar. Da viele die größere Kunst in den Alien-Figuren anstatt im Tetraeder sahen, wurde das Werk 2009 untergebaggert, damit das Stahlgestell die Hauptattraktion bleibt. Die Aliens wurden “zum Schutz des Gesamtkunstwerks” entfernt. Heute kann man lediglich verschwommene Formen erahnen.

Schurenbachhalde mit der Bramme für das Ruhrgebiet

Die in Altenessen liegende Schurenbachhalde entstand hauptsächlich durch Abraum der Zeche Zollverein. Benannt ist sie nach dem Schurenbach, der in den 70er Jahren unter ihr begraben wurde. In den 80er Jahren wurde die Halde mit 250.000 Bäumen bepflanzt, doch das Plateau ähnelt einer Mondlandschaft. Kommt man oben an, findet man sich auf einer riesigen Fläche schwarzer Schutterde wieder. Auf dem höchsten Punkt der Halde ragt die 1998 errichtete Bramme für das Ruhrgebiet aus dem Boden gen Himmel. Diese 15 Meter hohe und zehn Zentimeter dicke Landmarke aus Stahl wurde von Land-Art-Künstler Richard Serra entworfen.

Halde Heinrich-Hildebrand-Höhe mit Tiger and Turtle

Die Heinrich-Hildebrand-Höhe zeichnet sich durch die 2011 entstandene einzigartige Landmarke Tiger and Turtle aus. Hierbei handelt es sich um eine Achterbahn, auf der man herumlaufen kann. Mit Loopings und Schleifen windet sich die stählerne Großskulptur auf dem Hügel. Nachts wird sie durch hunderte LEDs beleuchtet. Über 249 Stufen können Besucher:innen die Kurven, Steigungen und Gefälle der Achterbahn ablaufen. Im Namen Tiger and Turtle stehen eine schnelle Wildkatze und ein langsames Panzertier gegenüber. Er spielt darauf an, dass die Achterbahn von weitem einen schnellen Eindruck macht, jedoch bewegen sich die Menschen langsam darauf.

Halde Haniel mit Totems

Mit 118 Metern ist die Halde Haniel die zweitgrößte im Ruhrgebiet. Zwischen Bottrop und Oberhausen gelegen entstand sie aus Bergmaterial der Zeche Prosper-Haniel I und II. Der Höhepunkt der Halde ist gekennzeichnet von der Installation von Totems, einer Reihe von 105 bunt angemalten und vertikal in den Boden aufgestellten Bahnschwellen. Von diesem „Windkamm“ aus blickt man hinunter auf ein Amphitheater im Kessel des Gipfels: die BergArena. Hier finden Veranstaltungen wie Open-Air-Konzerte oder Rock-Musicals statt.

In unserer Fotostrecke könnt ihr einen Eindruck der Halden bekommen [Fotostrecke: Freya Pauluschke]:


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter: