Habe ich das Lesen verlernt?

Eine Kolumne von Freya Paluschke | Foto: Freya Paluschke

Wann hast du das letzte Mal ein Buch durchgelesen? Bei mir ist es zwei Monate her, was schon ein Wunder ist. Jahrelang habe ich gar nicht gelesen, aber auch kein Problem darin gesehen und nicht hinterfragt, warum das so ist. Heute weiß ich, dass es ein Problem ist und versuche, der Sache auf den Grund zu gehen.

Als Kind habe ich gerne gelesen. Zugegeben, ich war nie die Leseratte, aber das eine oder andere Buch habe ich gespannt verschlungen. Ich habe mir Geschichten selbst ausgedacht und aufgeschrieben, an Vorstellungskraft hat es mir nie gemangelt. Doch so bin ich schon lange nicht mehr. Vor allem seit meinen Teenie-Jahren kann ich mit Büchern nicht mehr viel anfangen. Möglicherweise wurde mir das Lesen durch die verpflichtende Lektüre für die Schule vermiest oder es war einfach uncool und ich hatte mit 15 spannendere Sachen zu erleben.

Durch die Uni bin ich Büchern wieder nähergekommen, aber der Funke ist noch nicht übergesprungen. In der Corona-Hochphase hätte ich doch genug Zeit gehabt, um mich durch Bücher zu wälzen. Stattdessen habe ich lieber Netflix durchgebinged. Ich ärgere mich deswegen über mich selbst. Seit Jahren halten mir meine Eltern vor, dass mein Wortschatz und Allgemeinwissen schlecht seien, weil ich nicht lesen würde. Und sie haben wahrscheinlich recht. Schon oft gab es Momente in meinem Studium, in denen ich dachte: „Mist, hätte ich mehr gelesen, dann würde ich jetzt den:die Autor:in kennen und wüsste, worum es in dem Buch geht.“ Dazu kommt noch ein strenger Professor, der meint, wenn wir nicht leidenschaftlich viel lesen, dann sollten wir die Wahl unseres Studiums hinterfragen. Da kommen schon Zweifel in mir auf.

Warum lesen wir?

Wir lesen, um Wissen zu erlangen, um Geschichte, Menschheit und Universum zu verstehen. Ich denke, wir lesen, um in fremde Welten und Leben einzutauchen und unserer eigenen Realität zu entfliehen. Beim Lesen entsteht ein Bild vor dem inneren Auge, ein Film zum Buch. Das Tolle daran ist, dass es mir ganz allein überlassen ist, wie ich mir die Geschichte und Charaktere in meinem Kopf ausmale. Fehlt mir also doch die Vorstellungskraft? Wenn ich lese, entstehen zwar Bilder, aber kein Film. Wahrscheinlich lande ich deshalb wieder vor Netflix.

Täglich sind wir mit Informationen aus dem Internet konfrontiert: kurze und knappe Posts auf Social Media, eine schnelle Google-Suche, mal eben den Artikel überfliegen. Wir lesen drei Sätze, denken, wir wissen genug und scrollen weiter. Öfter sehen wir uns lediglich ein Bild oder Video an, was mehr als tausend Worte sagt. Meine Aufmerksamkeitsspanne ist deswegen stark verkürzt. Es gibt Menschen, die ein Buch in zwei Tagen oder Wochen durchlesen. Ich hingegen brauche meist Monate, geschweige denn ich lese das Buch überhaupt zu Ende. Aber ich werde weiter versuchen, mich in einen winzigen Bücherwurm zu verwandeln, egal, wie lange das dauern mag.


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