Ein Mann, der aus der Zeit gefallen ist. [Foto: Carolin Neumeier]
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Er ist wieder da! Der alte weiße Mann in der deutschen Medienlandschaft

Ein Kommentar von Carolin Neumeier

Egal, ob jemensch gefragt hat oder nicht, manche deutsche Medien-Männer scheinen die Antwort sowieso zu kennen. Nach seinem Wetten, dass ..? Abschiedsjammer inszeniert sich Thomas Gottschalk in den Medien derzeit wieder von seiner problematischsten Seite: Es funktioniert und ich bin genervt!

Egal in welches große Wochenblatt man schaut: überall bekommt Thomas Gottschalk derzeit Platz, um seine Meinung kundzutun. Ich – und viele meiner Freund:innen – fragen sich: Warum ist das so? Warum werden offensichtlich diskriminierende Aussagen in den Medien reproduziert und diesen Ansichten eine Bühne gegeben? 

Aber erstmal von vorne, für alle, die Kontext benötigen: Thomas Gottschalk hat – noch – ein Buch über sein ach so erzählenswertes Leben geschrieben. Anscheinend hat er sich selbst, nach jahrelangem beruflichen Gefummel im Öffentlich-Rechtlichen, in der deutschen Medienlandschaft unterrepräsentiert gesehen. Ungefiltert. Bekenntnisse von einem, der den Mund nicht halten kann, scheint allein anhand des Titels ein Fünkchen Selbstreflexion zu suggerieren. Es handelt sich hier wohl um ein Missverständnis, denn laut den meisten Buchrezensionen liegt hier eine langgezogene Rechtfertigung seines Selbst vor. Es ist die ewige „Man darf ja heute gar nichts mehr sagen” Attitüde, die sich in den Mehrfach-Skandalen von Comedians wie Luke Mockridge widerspiegelt und sich etwas zu sehr an politischer Korrektheit aufhängt. 

Ich verstehe bis heute nicht, wo die Schwierigkeit darin besteht, sich so zu äußern, dass man dabei möglichst niemanden diskriminiert. In der Buchbeschreibung des dritten Gottschalk Buches steht: „Was früher für Lacher sorgte, kann heute Empörung auslösen” und das ist gut so. Es zeigt, dass sich Gesellschaften weiterentwickeln und nicht stagnieren. Wer mit diesem Satz eigentlich nur rückwärtsgewandt an seinen eigenen zahlreichen Privilegien festhalten will, hat die Message leider etwas verfehlt. Die mediale Präsenz, die Gottschalk mit solch polarisierenden Aussagen bekommt, macht derart sexistische und diskriminierende Aussagen leider weiterhin salonfähig. 

Als junge Frau, die sich – wie der Großteil meiner Freundinnen – häufig schon in unangenehmen Situationen mit Männern Ü40 wiederfand, muss ich hier mal wieder betonen, dass der sexistische Umgang mit Frauen* den Gottschalk reproduziert, in keinster Weise angemessen ist, und es niemals war! Kleiner Reminder: Niemand – unabhängig von Geschlecht, Alter, Religion, Körperbeschaffenheit, Hautfarbe oder Bildungsgrad – darf konsenslos einfach so angefasst werden. Die Würde eines jeden Menschen ist immer noch unantastbar, lieber Herr Gottschalk. Personen, die etwas anderes behaupten, sollten nicht als Meinungsmacher:innen im Fernsehen abgelichtet oder gar zum SPIEGEL-Interview geladen werden. 

Besagtes Interview sollte vor allem eines: Gezielt Aufsehen erregen. Warum sonst nimmt Gottschalk einen Titel wie “Ich habe Frauen im TV rein dienstlich angefasst” ab? Vielleicht weil er in seiner Villa in L.A. ohne mediale Präsenz in Deutschland zu wenig Sinnhaftigkeit erfährt. Zeit-Autor Dirk Peitz, bringt es auf den Punkt: Gottschalk muss unbedingt seinen weinerlichen Schlussmonolog vom letzten Wetten, dass ..? weiterführen. Bis zu einem gewissen Grad habe ich auch Verständnis für den extrovertierten Entertainer, der einfach nicht ohne das Rampenlicht kann. Aber ist das dann die produktivste Art und Weise? Vor laufenden Kameras groteske Dinge zu sagen, die im besten Fall polemisch und im schlimmsten Fall populistisch sind? In Zeiten der weiter andauernden politischen Polarisierung ist das einfach nur unnötig. Oder ist das dann wieder zeitgemäß?

Wir kennen diese Personen alle: der Onkel, der mit dem Zeitgeschehen nicht mehr mitkommt oder die Oma, die weiterhin beim Kuchenessen die Körperform kommentiert. Ob sie es verstehen oder nicht, wenn wir uns schon bemühen zu erklären, warum solche Kommentare nicht angemessen sind, dann sollten Schlagzeilen in den deutschen Medien diese Bemühungen nicht direkt wieder zunichtemachen. 

Warum biete ich der Gottschalk-Situation also hier in der ak[due]ll noch eine Bühne? (1) Ich glaube, die Bühne ist nicht wirklich vergleichbar mit dem SPIEGEL oder der Zeit. (2) Ich empfinde es immer als wichtig unangemessenes Verhalten an den Pranger zu stellen und als solches zu betiteln und (3) wenn ich mit einem Kommentar über meine Wut gegenüber Männern wie Gottschalk noch Geld verdienen kann, dann dürft ihr sicher sein, dass ich das tun werde. 

Carolin (24) schreibt seit April 2024 für die ak[due]ll. Als Redakteurin interessieren sie Themen wie intersektionaler Feminismus, das Campusleben in Essen und lokale Happenings. In der Redaktion ist sie als car bekannt.